DON QUICHOTTE
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Massenet-Portal

Theater a.d. Wien
16.7.2002
Premiere

Klangbogen Wien in Koproduktion mit den Bühnen der Stadt Köln

Dirigent: Emmanuel Villaume
Inszenierung:Torsten Fischer
Bühne: Herbert Schäfer

Kostüme: Ute Lindenberg
Licht: Hartmut Litzinger

Don Quichotte - David Pittsinger
Sancho Pansa - Richard Bernstein
Dulcinea - Liliana Nikiteanu
Juan - Otokar Klein
Rodrigues - Laurent Koehl
Pedro - Elisabeth Kulman
Garcias -
Gisela Theisen
Cervantes, Räuberhauptmann - Tim Grobe


Sommer-Oper
(Dominik Troger)

Der Titel drückt es ja schon aus. Er stimmt einen milde, macht einen aufnahmebereit für Neues, er lässt einen das Mittelmaß, das einen bei dieser Aufführung des Wiener Klangbogens in Koproduktion mit den Bühnen der Stadt Köln entgegengähnte, besser ertragen.

Dabei hatte man gleich zu Beginn Hoffnung, es könnte sich der Abend zu einem richtigen kleinen Sommer-Opern-Skandal entwickeln. Überkreativ wie Regisseure nun mal sind, hat Torsten Fischer die Figur des Erzählers (=Cervantes) „erfunden“ und in die Oper verwoben. Zu Beginn darf dieser Cervantes zu einleitenden Takten ein bisschen was aus seinem Don Quichotte-Roman plaudern. Ein Besucher des III.Ranges meinte daraufhin lautstark, er wäre gekommen um Musik zu hören und wolle sich da nicht dreinreden lassen. Daraufhin wurde er von anderen Zwischenrufern zum Gehen aufgefordert. Aber wahrscheinlich hat die Mehrheit der Anwesenden geglaubt, das wäre der „Übergag“ der Regie gewesen. Nun, es ging dann nicht in dieser Tonart weiter. Langeweile begann sich einzuschleichen. Und dafür gibt es eine ganze Menge Gründe.

Massenet‘s „Don Quichotte“ wurde 1910 in Monte Carlo uraufgeführt. Er ist zwar nicht Massenet’s letzte Oper, (um einem allgemein verbreiteten Missverständnis zu begegnen: Zwei Monate vor seinem Tod im Jahre 1912 vollendete Massenet die Reinschrift zur Orchestrierung von „Cléopatre“, die 1914 ebenfalls in Monte-Carlo uraufgeführt werden sollte!) aber er ist ein Alterswerk, ein wenig abgeklärt, ein wenig mit ironischem Augenzwinkern, aber auch mit sehr viel Sentimentalität. Und auch wenn die Komposition da und dort schon stark veristische Züge trägt, so bleibt doch – im Zentrum der „Ritter von der traurigen Gestalt“ und seine unglückliche Liebe – das Thema ein höchst romantisches. Am Beginn setzt Massenet noch stark auf schwungvolle Klangmalerei: spanisches Kolorit sorgt für eine carmen-ähnliche, kastagnetten-begleitete Feststimmung. Aber am Schluss verwandelt sich alles in ein zartes, verständnisvolles Abschiednehmen (ganz im Gegensatz zum existentialistischen Toteskampf eines „Werther“), bis dem Don Quichotte mit seinem letzten, aufbäumenden Aufschrei der Tod doch noch ziemlich brutal in den Leib fährt. Massenet spielt das Werk hindurch mit wenigen, eingängigen Leitmotiven, ohne sich zu ihrem Gebrauch wirklich verpflichtet zu fühlen, und er weiß um die emotionale Kraft der Streicher, die sich vor allem dann ins Gemüt so richtig einschmeicheln dürfen, wenn Don Quichotte seinen Träumerein nachhängt. „Don Quichotte“ ist ein reifes Werk, dessen Süße man aber nicht mehr richtig auskosten kann, weil man um deren Vergänglichkeit weiß – eine Oper des Abschiednehmens, und der unerfüllten Lebensträume. Diesem Verständnis nach – sucht man auch noch den historischen Kontext – ist „Don Quichotte“ Massent’s ganz persönlicher Schwanengesang sowie der einer ganzen Epoche.

Das Werk hat sich zumindest in Frankreich all die Jahre am Spielplan erhalten und die Herausforderung der Rolle des „Don Quichotte“ hat viele große Bassisten immer wieder stark angezogen. Schon die Uraufführung hat mit Fjodor Schaljapin einer der ganz großen seines Faches gesungen – und es braucht auch für diese Partie einen Sänger ersten Formates, der Don Quichotte‘s vordergründige Sentimentalität in ein, aus der eigenen Lebenserfahrung gespeistes Seelendrama umgießt. Massenet hat dieses erschütternde Scheitern ein wenig hinter Don Quichotte’s Liebes-Romanzen und Traumgebilden versteckt, aber er lässt es beispielsweise in der Szene vom Windmühlenkampf oder auch in den Schlussakkorden mächtig anklingen. Gelingt das nicht, bleibt die Partie genau auf dieser sentimentalen Ebene stecken, die sich sehr schnell erschöpft und langweilig wird. Und genau das ist wiederum an diesem Abend geschehen. Man kann nun sagen „Sommer-Oper“ und sich trotzdem genußvoll zurücklehnen, aber man sollte auch aufzeigen, welche Möglichkeiten in diesem Werk stecken, das heute, nach der ja auch von der Staatsoper forcierten Renaissance der französischen Oper, durchaus als eines der gehaltvolleren dieses Genres gelten könnte. (Und es bietet sich ja auch der direkte Vergleich mit der Klangbogen-Produktion von Massenet’s „Werther“ vor zwei Jahren an, die künstlerisch weitaus besser und zwingender umgesetzt worden war.)

Tortsen Fischer’s Idee, Don Quichotte als melancholischen weißen Clown auf die Bühne zu stellen, hat zweifelsohne viel für sich, weil sich dadurch die schon angesprochene Doppelbödigkeit der Figur und ihr idealistisches Scheitern ganz gut visualisieren lässt. Weil aber zu einem Clown notwendig (?) ein Zirkus gehört, wurde das ganze Spiel in eine Art Zirkusarena verlegt, hinten und an der Seite abgeschlossen von einer hohen, weißen halbrunden Wand, an der aufwärtsstrebend, von links beginnend, eine Treppe bis unter den Schnürboden führt. (Für die Besucher der oberen Ränge war das weniger gut, weil man das Spiel auf der Treppe nur ungefähr bis auf die Höhe der Bühnenmitte einigermaßen nachverfolgen konnte.) Die Arena selbst war mit rotbraunem Sand gefüllt. Direkt in der Bühnenmitte hatte die weiße Wand ein großes „Bullauge“, das immer wieder für Auftritte genutzt wurde oder in dem sich in der Windmühlenszene auch so eine Art von „Ventilator“ drehen sollte. Das Bühnenbild wirkte letztlich zu kahl und unemotional, der Zirkus-Realismus der Szene konnte die Metaphorik des „Weiß-Clowns“ Don Quichotte, der einen langen belaubten Eichenstab als Lanze führte, in keiner Weise stützen, und so ergab sich hier schon mal ein Defizit – denn in einer leeren Zirkusarena hängt natürlich sehr viel von der Personenregie, sonstigen Einfällen und der dramatischen Wirksamkeit der Darsteller ab.

Manches gelang durchaus schwungvoll, etwa der Windmühlenkampf, der mit einem großen Ventilator endete, der sich herabsenkte und an dem Rosinante ein paar Runden herumwirbeln durfte (apropos Pferde: es handelte sich dabei um Kostüme mit Pferdekörpern, in die die Sänger hineinschlüpften und mit denen sie, an der Hüfte getragen wie Reifröcke, durch den Manegensand „ritten“), anderes wirkte ziemlich einfallslos, wie die Sesselorgie nach der Pause, schwarze Sessel in der Manege, damit Dulcineas Freier und Festgäste etwas zum Niedersetzen haben, und mit denen sie letztlich den armen Don Quichotte doch nicht zu verprügeln. Dieser 4. Akt zeigte überhaupt eine ziemlich platte Massenchoreographie, aber was soll man auch anfangen mit dieser Sandarena. Am Schluss schließlich hebt sich diese weiße halbrunde Wand etwas in die Höhe, der Raum wird offen, die Bühne dreht sich und Don Quichotte lagert sich mit Sancho Pansa unter die Körper weißer Pferde, die den ersten Akt mit einem ziemlich läppisch wirkenden Lippizaner-Ross-Ballett eingeleitet haben, von den Choristen gezügelt und gegängelt. Dulcinea muss dann ihre letzten Sätze unverständlicherweise mit dem Rücken zum Publikum singen. Tod und Aus.

Vielleicht hätte das Alles eh noch irgendwie gepasst, (auch wenn man dabei immer wieder gedacht hat: „Sommer-Oper“!), wenn nicht letztlich die Sänger zuwenig „Persönlichkeit“ gewesen wären, um die ganze Sache auf den Punkt zu bringen. Die Dulcinea von Liliana Nikiteanu wirkte außerordentlich kühl und war auch stimmlich zu Beginn im wahrsten Sinne des Wortes noch nicht ganz auf der „Höhe“. Gewünscht hätte man sich hier einen breiten, raumfüllenden, erotisch knisternden Mezzosopran, der dem armen Don Quichotte (und dem Publikum) so richtig ans Herz geht. Nikiteanu hat eben eine andere Art von Stimme, klarer, „klassischer“, besser für Mozart geeignet, als für die „Vamp“-Rollen der französischen Oper (und die Dulcinea ist doch eine feurige Spanierin(!) – und man konnte sich nur wundern, wie wenig Bühnenpräsenz sie entwickelte – noch dazu im ohnehin sehr SängerInnen-freundlichen Theater an der Wien. David Pittsinger wird in zehn Jahren vielleicht einen ausgezeichneten Don Quichotte singen. Aber für dieses Mal wirkte Pittsinger einfach noch zu unausgegoren. Bezeichnenderweise war auch er ziemlich unpräsent, in Ensembleszenen schon rein akustisch schwer auszunehmen, in Gesang und Spiel eindimensional, ohne Überzeugungskraft, von äußerst blasser Psychologie. Einzig der Sancho Pansa von Richard Bernstein vermochte einen mit seinem schlanken, dramatisch ausbaufähigen Bassbariton aufzurütteln. Er wusste sich auch darstellerisch glaubwürdig zu präsentieren und bekam als einziger Mitwirkender stärkeren Szenenapplaus.

Da fragt man sich natürlich, wer sucht die Sänger für eine solche Produktion aus – und da wird man auch wieder gewahr, dass es hierzulande, allen Bemühungen zum Trotz, seit vielen Jahrzehnten keine Aufführungstradition für die französische Oper mehr gibt, auf der man stilsicher aufbauen könnte. Da hätte natürlich Emmanuel Villaume am Pult einiges an nativem Know-how einbringen können, aber dem war leider nicht so. Das RSO Wien zeigte sich von seiner grobschlächtigen Seite – wie fast jedes Jahr beim Klangbogen, muss man da schon schreiben. Wahrscheinlich unterschätzen die Dirigenten immer wieder die akustischen Fähigkeiten des Theaters an der Wien und fordern das Orchester zu übertriebener Lautstärke heraus und verabsäumen es, größten Wert auf die klangliche Ausdifferenzierung der einzelnen Instrumentengruppen zu legen. Aber es ist zu hoffen, wenn diese Örtlichkeit dann in ein paar Jahren wieder so richtig als Opernhaus reüssieren darf, dass man dann auch wieder besser die akustischen Feinheiten dieses Raumes zu würdigen weiß. Villaume ließ es also losknallen, wo es seiner Meinung nach knallen sollte, und zerstörte damit, was er an melodischen, zarten Gefühlsregungen in der Partitur durchaus zu aufzustöbern wusste. Aber auch er ist die Sache – wie das ganze Produktionsteam – zu „realistisch“, zu „veristisch“ angegangen, und hat damit Massenet mehr in die Nähe eines „Bajazzo“ oder einer „Tosca“ gerückt, als der Sache dienlich war.

Das Publikum gab sich bis auf den Zwischenfall gleich zu Beginn sehr zufrieden. Das Haus war einerseits mit Wiener Opern-Habitués gefüllt, für die der Klangbogen in den Sommermonaten vor Ort die nahezu einzige Möglichkeit zur Suchtbefriedigung darstellt, und mit in- und ausländischen Gästen (unter anderem vom gleichzeitig tagenden Welt-Psychotherapie-Kongress). Nicht nur das Bravogerufe nachher, sondern auch das zustimmende „Gepfeife“ lässt einiges an Rückschlüssen auf die Besucherstruktur zu. Sommer-Oper eben...