HANS HEILING

Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Marschner-Portal

Theater an der Wien
13. 9. 2015
Premiere

Dirigent: Constantin Trinks

Regisseur: Roland Geyer
Bühne: Herbert Murauer
Kostüme: Sibylle Gädeke
Choreographie: Ramses Sigl
Licht: Reinhard Traub

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schönberg Chor

Königin der Erdgeister - Angela Denoke
Hans Heiling - Michael Nagy
Anna - Katerina Tretyakova
Gertrude - Stephanie Houtzeel
Konrad - Peter Sonn
Stephan - Christoph Seidl
Niklas - Patrick Maria Kühn


Eine Wiederentdeckung
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat für die erste szenische Produktion der neuen Saison eine ganz spezielle Rarität ausgegraben – und damit einen durchaus überraschenden Erfolg eingefahren.

Heinrich August Marschners „Hans Heiling“ war im 19. Jahrhundert ein geschätztes Werk – solange bis Richard Wagner die deutsche romantische Oper für sich „okkupiert“ hat. Wagner hat den „Hans Heiling“ gut gekannt. In einem Brief an Rosalie Wagner vom 11. Dezember 1833 fand er die Musik recht hübsch, bemängelte aber den Mangel an Effekten: „Ich weiß nicht, die besten Effekte hat er ganz unbenutzt vorübergehen lassen; - was sind das für Akt-Schlüsse! - In den Chören welche Melodienlosigkeit! Im 2ten Finale behandelt er den Culminations-Punkt des Ganzen: »er stammt vom Reich der Gnomen und der Zwerge, und ist der Geisterfürst der Berge!« so nachlässig und hebt die Steigerung so wenig hervor, daß man denkt, es geschieht etwas ganz Unbedeutendes! - Kurz nicht eine einzige Nummer kann packen!“*

Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass „Hans Heiling“ unüberhörbar ein musikalisches Vorbild für Richard Wagner gewesen ist, dass er als die deutsche romantische Oper des Übergangs den Weg von Webers „Freischütz“ zu Wagners „Fliegendem Holländer“ und zum „Tannhäuser“ gewiesen hat. Die Oper wurde 1833 in Berlin uraufgeführt. 1846 leitete der Komponist Aufführungen des Werkes in Wien, das im Soge der starken Wagner Rezeption in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einiger Kontinuität an der Hofoper gespielt wurde. Im 20. Jahrhundert riss diese Kontinuität mit dem Ersten Weltkrieg ab. Die letzte Aufführung in Wien fand 2002 konzertant im Wiener Konzerthaus statt.

Marschner hat seine Oper mit einigen „Extravaganzen“ versehen. Die Ouvertüre zum Beispiel folgt erst nach einem Vorspiel und verbindet dieses mit dem ersten Akt. Das Vorspiel behandelt den Abschied Hans Heilings von seiner Mutter, Königin der Erdgeister. Der erste Akt zeigt zuerst Heilings Wohnung in der Menschenwelt. Heiling ist eben gegen den Willen seiner Mutter aus dem Geisterreiche emporgestiegen. Er ist in Anna verliebt, die aber letztlich von Heilings Eifersucht verstört, in die Arme des Jägers Konrad getrieben wird. Ein Mordanschlag Heilings auf Konrad misslingt. Bevor Heiling die Hochzeit zwischen Anna und Konrad für seine persönliche Rache missbrauchen kann, schaltet sich Heilings Mutter ein und holt ihren Sohn ins Geisterreich zurück. Anna heiratet Konrad und das Finale erinnert stark an den „Freischütz“ – die Bedrohung durch die Geisterwelt ist abgewehrt: „Gottes Allmacht hat entschieden, / allen Recht und allen Frieden.“

Im Theater an der Wien hat sich der Direktor persönlich dem „Hans Heiling“ angenommen. Die starke Mutterbeziehung „Heilings“ hat Roland Geyer sexualisiert – und während der Ouvertüre wird auf der Bühne in kurzen blitzlichtartigen Szenen gezeigt, wie nahe sich Mutter und Sohn gekommen sind. Heiling hat durch seine „übergriffige“ Mutter eine schwere Traumatisierung davongetragen. Geyer ist es in Folge gelungen, Heilings Eifersuchtsanfälle und seine übertriebenen Liebesbezeugungen in ein Psychogramm umzuwandeln, in dem Auslöserreize (etwa durch die auf der Bühne erscheinende Mutter) in Heiling „Flashbacks“ hervorrufen – die überraschend gut zur Musik Marschners passen. Geyer lässt das Vorspiel am Grab Heilings beginnen, die Mutter trauert um ihn, die Geister (innere Stimmen) erscheinen: Die Handlung der Oper spielt sich in der Erinnerung der Mutter ab. Am Schluss lässt Geyer Heiling suizidal sterben, das Grab wird mit Kränzen geschmückt.

Dass sich diese psychoanalytische Deutung in manchen Szenen gut in anderen weniger gut mit dem Libretto vertrug, liegt auf der Hand. Aber es war wohltuend zu sehen, dass Geyer – obwohl er vordergründig eigentlich eine ganz andere Geschichte erzählt hat, als das Libretto – eine gewisse Doppeldeutigkeit der Szene belassen hat: Der Geisterchor trat zum Beispiel wirklich auf, mit leicht verfremdet wirkenden Kostümen, und wer partout an Geister glauben wollte, konnte sich das wahrscheinlich auch irgendwie zusammenreimen. Das Bühnenbild behalf sich mit ein paar naturalistischen Versatzstücken oder etwa der Projektion der Hochzeitskirche. Das Dorfbild im ersten Akt brachte die Dorfgemeinschaft mit Schwung auf die Bühne – mit Maibaum, der Bierspende einer Wiener Brauerei und einer anzüglichen Statue. Geyer hat die Handlung natürlich nicht im Erzgebirge des 14. Jahrhunderts angesiedelt. Heiling war künstlerisch Tätig, fotografierte Mutter, fotografierte Anna. Laut Programmheft zierte die große Reproduktion eines „Filmstill“ von Valie Export Heilings Wohnung. Die Bühne zeigte sich insgesamt mehr praktikabel als aufregend gestaltet.

Die günstige Aufnahme, die die Oper am Premierenabend erfuhr, hatte stark mit dem musikalischen Leiter des Abends Constatin Trinks zu tun. Trinks hat zusammen mit dem ORF Radio Symphonieorchester für eine überzeugende Wiedergabe gesorgt. Er beließ der Musik dank fülliger Streicher eine romantische Schwermütigkeit, die heutzutage meist einer kühlen Klangpolitur zum Opfer fällt. Er sorgte für eine durchgehende Lebendigkeit in der Wiedergabe, man fühlte gleichsam wie sich sein Glaube an diese Musik auf das Orchester und auf die Sänger übertrug. Trinks hat die emotionalen Kurven, die Marschner komponiert hat, mit Gespür und Energie umgesetzt, die beiden Melodramen bewahrten – trotz des seichten Librettos – eine düstere Spannung. Die viel beklatschte Ouvertüre (die als Satz einer Mendelssohn- oder Schumannsymphonie durchgehen könnte) hinterließ einen starken Eindruck. Jetzt müsst nur noch in der Lautstärke ein wenig „nachgeregelt“ werden.

Auf der Bühne lieh Michael Nagy dem Hans Heiling seinen Bariton. Nagy wäre auch als Wolfram oder Holländer willkommen, und der Sänger zeigte auch die notwendige Ausdruckskraft. Angela Denoka war eine Geisterkönigin von Wagnerformat und jener erotischen Bühnenausstrahlung, die stark zur Glaubwürdigkeit des Regiekonzepts beitrug. Katerina Tretyakova überzeugte als Anna, ihr Sopran hielt den Gefühlsausbrüchen stand, ließ vielleicht ein wenig an lyrischem Raffinement und Zartheit vermissen. Peter Sonn hatte mit dem Konrad auch keine leichte Aufgabe, und meisterte sie, in dem er seinen Tenor ein bisschen zu „offensiv“ ins „Feld“ führte. Gertrude wurde von Stephanie Houtzeel mit Erfolg beigesteuert. Allen war aber dann und wann anzumerken, dass Marschner die Singstimmen gerne ein wenig überspannt und aus einer „gesunden“ Gesangslinie in ein mehr verschleißförderndes Fahrwasser treibt. Neben den kurzen Partien von Stephan, Christoph Seidl, und Niklas, Patrick Maria Kühn, zeigte sich der Arnold Schönberg Chor wieder in bestechender Form.

Fazit: Insgesamt ein erfreulicher Saisonstart, der vom Publikum etwa sieben bis acht Minuten lang beklatscht wurde. Direktor Roland Geyer erntete als Regisseur zwar keinen Bravosturm, durfte sich aber über eine angemessen wohlwollende Aufnahme seiner Inszenierung freuen.

* Zitiert nach der Ausgabe von Wagners „Werke, Schriften und Briefe“ in der Digitalen Bibliothek 107, Berlin 2004.