THÉSÉE
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Mueumsquartier Halle E
1.3.2023
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Ensemble: Les Talens Lyriques
Le Choeur de Chambre de Namur

Thésée - Mathias Vidal
Médée - Karine Deshayes
Egée - Philippe Estèphe
Aeglé - Deborah Cachet
Cleone / Cérès - Marie Lys
Minerve / La Grande Prêtresse de Minerve - Bénédicte Tauran
Dorine / Venus - Thaïs Raï-Westphal
Bacchus / Plaisir / Vieillard - Robert Getchell
P laisir / Viellard / Combattant - Fabien Hyon
Arcas / Mars / Plaisir - Guilhem Worms


„Mythologische Liebesverwirrungen
(Dominik Troger)

Médée liebt Thésée, Egée liebt Aeglé, Thésée liebt Aeglé. Heftige Liebesgefühle beherrschen den Athener Königshof, den die Zauberin Médée kräftig aufmischt. 1675 haben der Komponist Jean-Baptiste Lully und sein Librettist Philippe Quinault diese Liebesverwirrungen und -irrungen zur Tragédie en musique „Thésée“ verarbeitet.

Für Schlangen vor der Kassa sorgt französische Barockoper hierzulande sehr selten, aber es gibt ein Stammpublikum, dass dem Theater an der Wien auch an seinem Ausweichspielort in der Halle E des Museumsquartiers treu bleibt. Die konzertante Aufführung war sehr gut besucht, die Abwanderungstendenzen in der Pause hielten sich in Grenzen. Mit Christophe Rousset und dem Ensemble Les Talens Lyriques waren auch Spezialisten am Werk, die dem Wiener Publikum bereits in der Vergangenheit einige Kostbarkeiten des französischen Repertoires nahegebracht haben – und diesmal war es eine ganz besondere „Preziose“, ein Erfolgsstück der damaligen Epoche, das bis weit ins 18. Jahrhundert hinein immer wieder gegeben wurde.

Jean-Baptiste Lullys „Thésée“ bietet dem Publikum viel Abwechslung: Kriegslärm und Schlachtenmusik, intimes Liebesleben und -leiden, großartige Bühneneffekte und sogar einen in letzter Sekunde verhinderten Mordanschlag. „Thésée“ ist ein barocker „Blockbuster“, in dem der Athener Königspalast abbrennt, um sekundenschnell wieder neu zu erstehen. Wenn Médée im Finale mit einem Drachen apokalyptisch am Himmel erscheint und Vernichtung sät, stockt der Atem – aber glücklicherweise braucht die göttliche Minerva nur mit dem Finger zu schnippen, und alles ist wie zuvor, nur noch schöner.

Bei „Thésée“ handelt es sich um eine verherrlichende „Allegorie“ auf die Herrschaft Ludwig XIV. sowie um eine „theatralische Palastastrologie“, die von ausgeboteten Mätressen und illegitimen Söhnen weiß (das Publikum wurde im Einführungsvortrag eine halbe Stunde vor Aufführungsbeginn diesbezüglich kurz „gebrieft“). Aber wer will sich schon ausmalen, welches „Intrigantenstadl“ so ein barocker Königshof gewesen ist. Ein weiterer realweltlicher Anlass war der für Frankreich günstig verlaufene Niederländisch-Französische Krieg. Er bestimmt den Prolog mit Venus und Mars als Gegensatzpaar von Liebe und Kampf.

Am meisten überrascht aus heutiger Sicht, dass „Thésée“ das Thema „Liebe“ fast schon psychologisch angeht, dass es zum Beispiel richtig „modern“ wird, wenn der gealterte König Egée und die „Femme fatale“ Médée rational und einvernehmlich ihre Beziehung beenden: Schließlich haben sich beide in Jüngere verliebt. Der König liebt Aeglé, Aeglé liebt aber wie Médée den Helden Thésée, bei dem es sich um dem fern vom Hofe erzogenen Sohn des Königs handelt, der sich diesem aber nicht zu erkennen gibt. Médée lässt ihre Widersacherin um die Gunst von Thésée buchstäbliche Höllenqualen erleiden. Und Aeglé wird der Liebe erst entsagen, wenn Médée damit droht, Thésée selbst zu vernichten.

Die emotionalen Beziehungen stehen aber nicht für sich, sie sind in einen politischen Kontext eingebettet – etwa der Kampf gegen ungenannte Rebellen im erste Akt, deren Niederlage mit einer Huldigung Minervas gefeiert wird, oder die Frage nach einer palastrevolutionären Machtübernahme des beim Volk beliebten Thésée. Auf diese Weise wird das Publikum bei der Stange gehalten und Lully steuert auf der musikalischen Ebene viele Möglichkeiten bei, den Gefühlsausdruck der Figuren zu nuancieren oder um mit „Pauken und Trompeten“ martialische oder herrschaftliche Emotionen zu wecken.

Gesungen wurde auf der offenen Bühne und im Bühnenbild der aktuellen „Belshazzar“-Produktion, das ob seiner funktionellen Kargheit einen praktikablen Rahmen bot. Karine Deshayes betrieb als Médée mit einem zu angenehmer Eleganz gereiften, leicht schillernden Mezzo ihre Intrigen und stach in der Rollengestaltung positiv aus dem zum Teil noch recht jung wirkenden Ensemble heraus, in dem mir ein wenig die Persönlichkeiten abgingen. Der gealterte König wurde von Philippe Estèphe zwar mit angenehm timbriertem Kavaliersbariton gegeben, aber sein Werben um Aeglé hatte (zu) viel jugendlich-getriebene Leidenschaftlichkeit. Ein graues Barthaar durch die Stimme geflochten hätte sein Königtum mehr herausgestrichen, die ursprünglich geplante Heirat Médéens plausibler gemacht.

Der Held der Geschichte, Thésée, wurde vom Tenor Mathias Vidal gegeben. Leichtere, lyrische Stimmen werden von der Hallenakustik, wie mir scheint, eher nicht bevorzugt, weil sie ihnen trotz den Bemühungen der Tontechnik ein wenig die Charakteristik nimmt. Sein Thésée wirkte deshalb ein wenig zu naiv auf mich, zu sehr junger Liebhaber, der in Deborah Cachet vielleicht auf eine zu gefasst Liebe und Leiden erduldende Aeglé traf. Cachet besitzt einen lyrischen, mit leichtem Funkeln besetzten lyrischen Sopran, der in der Akustik des altehrwürdigen Theaters an der Wien reizvoller zur Geltung gekommen ist. Guilhem Worms lieh Arcas und Mars einen jugendlichen Bass, was insofern zur Rolle passte, weil Arcas in den Augen seiner Geliebten Dorine (Thaïs Raï-Westphal mit lyrischem Sopran) offenbar doch nicht der Held ist, den sie gerne an ihrer Seite hätte.

Die übrigen Mitwirkenden fügten sich ins „angenehm temperierte“ Gesamtbild ein, das außerdem durch die Interpretation von Christoph Rousset geprägt wurde. Ich glaube mich zu erinnern, dass auf der Gesamtaufnahme der Oper vom Boston Early Music Festival (2007) Spiel und Gesang insgesamt akzentuierter sind, zum Beispiel hat man den Auftritt der beiden Greise im zweiten Akt „deftiger“ herausgearbeitet – wobei man mit Robert Getchell an diesem Abend sogar einen (Charakter-)Tenor zur Hand gehabt hätte, um diese Passage sogar ein bisschen zu ironisieren. Insgesamt wurde Lullys Musik vielleicht ein wenig zu nüchtern gehandhabt. In der reizvollen pastoralen Stimmung im Finale des vierten Aktes ging etwas die Spannung verloren und der Prolog diente noch ein wenig zum „Aufwärmen“. (Es handelte sich um das erste von drei Konzerten, weitere folgen bis Ende März in Brüssel und Paris).

Aber in Summe war es eine gelungene erste Live-Begegnung mit einem großartigen Werk und die gemachten Anmerkungen werden zum Teil meinem bühnenfernen Sitzplatz in der drittletzten Hallenreihe geschuldet sein. Die Aufführung dauerte rund dreieinhalb Stunden (inklusive einer Pause) und wurde vom Publikum minutenlang mit anhaltendem Applaus bedacht.