„Die Liebe ist eine Himmelsmacht“
(Dominik Troger)
Im
Theater an der Wien war Jean-Baptiste Lullys „Proserpine“ zu Gast und
hat das Publikum zu einer Opernreise an den Hof Ludwig XIV. eingeladen.
Es war eine konzertante Aufführung – ganz ohne Vulkanausbruch und von
fliegenden Drachen gezogenem Ceres-Wagen.
Proserpine
ereilte das Schicksal, ausgerechnet von Pluton begehrt zu werden. Er
hat sie, in ungestümer Liebe entflammt, von Sizilien direkt in die
Unterwelt entführt. Proserpine und ihre Mutter Ceres waren darüber
weniger begeistert. Schließlich einigten sich ihr Vater Jupiter und ihr
Entführer auf einen Kompromiss: eine Jahreshälfte darf Proserpine bei
ihrer Mutter auf der Erdoberfläche verbringen, ein halbes Jahre lang
regiert sie an der Seite Plutons als Herrscherin über des Todes
Schattenreich.
Jean-Baptiste Lully und sein Lieblingslibrettist Philippe Quinault
haben diese Geschichte üppig und theatralisch aufgegriffen. Die
Uraufführung fand 1680 statt und die Tragédie lyrique um Proserpinens
Schicksal erfuhr bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts einige
Wiederaufnahmen – ehe sie wie viele andere Bühnenwerke Lullys der
Vergessenheit anheimfiel. Laut Programmheft ist das Werk erst vor rund
zwanzig Jahren dieser Vergessenheit wieder entrissen worden.
„Proserpine“ stammt aus der Spätphase von Lullys Schaffen, meisterhaft
hat er die Deklamation in „Melodie“ verwandelt. Szenisch wird die
Bühnenmaschinerie herausgefordert, sogar ein Vulkanausbruch ist
vorgesehen – ein Szenario, dass bei einer konzertanten Aufführung
leider wegfällt. Spannend ist auch, dass mit Proserpine und ihrer
Mutter Ceres zwei Frauen im Mittelpunkt stehen. Außerdem ist noch eine
Liebesgeschichte zwischen der Nymphe Aréthuse und dem Flussgott Alphée
in die Handlung eingeflochten.
Dadurch bietet sich die Möglichkeit das Thema Liebe in
unterschiedlichen Erscheinungsformen abzuhandeln, damit verbundene
Sehnsüchte und seelische Verletzungen. Liebe wird einerseits im
dynastischen Kontext gesehen, dem sich Frauen letztlich zu unterwerfen
haben, aber im Libretto wird auch festgehalten, dass zur Liebe „zwei
Herzen“ gehören. Letztlich dürfte von der Sprödigkeit des weiblichen
Herzens aber doch erwartet worden sein, dass sie sich „erweichen“
lässt. (1)
Der Prolog heftet sich groß die Friedenssehnsucht des französischen
Hofes auf die Fahnen: „Wie schön ist es, der Welt den Frieden zu
bringen“ – und hat sich bald 350 Jahre später etwas an dieser Aussage
geändert? Der Schlusschor bekräftigt diese Botschaft, weil es dank
Jupiters weisem Urteil gelungen ist, den Frieden zwischen den Göttern
zu bewahren.
Der Prolog wird von musikalischem Prunk begleitet und die Trompeten
treten in Aktion – ebenso im Finale, was für bestes repräsentatives
Musiktheater sorgt. Für die seelischen Regungen der Protagonisten
findet Lully oft einen zärtlichen, lyrischen Grundton, der Liebe und
Klagen umfasst – und trotzdem bleibt der Gesamteindruck überraschend
abwechslungsreich. Der Chor ist davon nicht ausgenommen, am Beginn des
dritten Aktes bei der Suche nach Ceres gilt es zum Beispiel hübsche
Echo-Effekte zu gestalten.
Für eine nuancenreiche Umsetzung von Lullys Musik sorgten an diesem Abend wieder Christophe Rousset, die stilsicheren, mit feinem Glanz aufspielenden Les Talens Lyriques sowie der Choeur de Chambre de Namur. Angeführt wurde das Ensemble von der „Oberpriesterin“ der französischen Barockoper bis einschließlich Gluck: Veronique Gens
als Ceres. Gens versah die Partie mit gefühlvollem Pathos, als von
Jupiter verlassene Geliebte, als sorgende Mutter, mit Verve im Zorn
über die Tat Plutons und tragödisch im schmerzvollen Flehen. Sie setzte
die Emotionen dosiert ein, im ausgewogenen Kalkül einer inneren
Haltung, die ihre Contenance nur in ausgewählten, dramatischen Momenten
– wenn überhaupt – verlieren darf.
Als ihre Tochter Proserpine überzeugte Marie Lys
nicht nur beim Klagen, sondern auch effektvoll im vierten Akt bei der
Verfluchung von Plutonens Handlanger Ascalaphe, der sich anschließend
gleich in eine Eule verwandelt und davonflattert. Ihren Sopran
umspielte feines, leicht dunkel getöntes Funkeln, apart und
geschmeidig.
Den ihr verfallenden Pluton gab Olivier Gourdy, ein junger, füllig timbrierter Bass, von der Liebe in seinem Hades-Grimm nobel erweicht. Wie Pluton war auch der junge Tenor Laurence Kilsby
als Alphéer eine Entdeckungen dieser Aufführung: ein Sänger britischer
Schule, hell timbriert, aber mit einem feinen schmelzüberzogenen Kern,
der noch ein bisschen zulegen muss, um ihm in wenigen Jahren das Timbre
für einen noblen Mozartenor bereitzustellen. Seinen Flussgott umspielte
aristokratische Jugendlichkeit, mit klarem, manchmal leicht nasal
unterlegten Ton.
Mit gebotener Ironie stellte sich Nick Pritchard
(Tenor) als Mercure ein, der Ceres, die sich von Jupiter ungeliebt
behandelt fühlt, am Beginn des ersten Aktes mit allerhand
Liebenswürdigkeiten „abspeist“. Der schon erwähnte Ascalaphe wurde vom
jungen Bariton Olivier Cesarini gegeben, eine reichhaltige Stimme, leicht gaumig, die sich noch ein bisschen „freisingen“ müsste.
Von den Damen sind noch zu nennen Ambroise Bé als Aréthuse mit leicht erotisch funkelndem Mezzo, und Apolline Rai-Westphal,
lyrischer Sopran, die als Nymphe Cyane die spannende Aufgabe hatte,
wirkungsvoll zu verstummen, als sie Ceres den Namen des Entführers
ihrer Tochter nennen möchte. Dazu gesellten sich noch weitere kürzere
Partien, die für eine insgesamt gelungene Aufführung sorgten.
Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause ziemlich genau dreieinhalb
Stunden. Das Theater an der Wien war nicht ausverkauft, aber besser
besucht als unlängst bei der Uraufführung der Oper „Voice Killer“. Der
dankbare Schlussapplaus dauerte etwa sechs bis sieben Minuten. Die
Hoffnung auf eine Wiederholung des Schlusschores als Zugabe wurde
dieses Mal leider nicht erfüllt.
(1) Eine Psychologisierung der Liebesthematik ist unübersehbar, könnte
ein Zug der Zeit gewesen sein. Erst zwei Jahre zuvor war anonym der das
Thema Liebe unter einem neuen, introspektiven Blickwinkel betrachtende
Roman „La Princesse de Clèves“ erschienen, der Madame de la Fayette
zugeschrieben wird. Aber darüber gibt es sicher schon Hunderte
Regalmeter an romanistischer Fachliteratur.