PROSERPINE
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Theater an der Wien
17.6.2025
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Ensemble: Les Talens Lyriques
Le Choeur de Chambre de Namur

Prolog
Le Paix - Ambrousine Bré
La Discorde - Jean-Sébastien Bou
La Victoire - Marie Lys
La Félicité - Apolline Rai-Westphal
L'Abondance - Veronique Gens

Oper
Ceres - Veronique Gens

Cyane - Apolline Rai-Westphal

Proserpine - Marie Lys

Pluton - Oliver Gourdy
Ascalaphe - Olivier Cesarini
Aréthuse - Ambroisine Bré

Alphée - Laurence Kilsby
Crinise - Jean-Sébastien Bou
Mercure - Nick Pritchard
Jupiter - David Witczak
Titenrichter / Furien - Thibaut Lenaerts, David Witczak, Nick Pritchard


„Die Liebe ist eine Himmelsmacht
(Dominik Troger)

Im Theater an der Wien war Jean-Baptiste Lullys „Proserpine“ zu Gast und hat das Publikum zu einer Opernreise an den Hof Ludwig XIV. eingeladen. Es war eine konzertante Aufführung – ganz ohne Vulkanausbruch und von fliegenden Drachen gezogenem Ceres-Wagen.

Proserpine ereilte das Schicksal, ausgerechnet von Pluton begehrt zu werden. Er hat sie, in ungestümer Liebe entflammt, von Sizilien direkt in die Unterwelt entführt. Proserpine und ihre Mutter Ceres waren darüber weniger begeistert. Schließlich einigten sich ihr Vater Jupiter und ihr Entführer auf einen Kompromiss: eine Jahreshälfte darf Proserpine bei ihrer Mutter auf der Erdoberfläche verbringen, ein halbes Jahre lang regiert sie an der Seite Plutons als Herrscherin über des Todes Schattenreich.

Jean-Baptiste Lully und sein Lieblingslibrettist Philippe Quinault haben diese Geschichte üppig und theatralisch aufgegriffen. Die Uraufführung fand 1680 statt und die Tragédie lyrique um Proserpinens Schicksal erfuhr bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts einige Wiederaufnahmen – ehe sie wie viele andere Bühnenwerke Lullys der Vergessenheit anheimfiel. Laut Programmheft ist das Werk erst vor rund zwanzig Jahren dieser Vergessenheit wieder entrissen worden.

„Proserpine“ stammt aus der Spätphase von Lullys Schaffen, meisterhaft hat er die Deklamation in „Melodie“ verwandelt. Szenisch wird die Bühnenmaschinerie herausgefordert, sogar ein Vulkanausbruch ist vorgesehen – ein Szenario, dass bei einer konzertanten Aufführung leider wegfällt. Spannend ist auch, dass mit Proserpine und ihrer Mutter Ceres zwei Frauen im Mittelpunkt stehen. Außerdem ist noch eine Liebesgeschichte zwischen der Nymphe Aréthuse und dem Flussgott Alphée in die Handlung eingeflochten.

Dadurch bietet sich die Möglichkeit das Thema Liebe in unterschiedlichen Erscheinungsformen abzuhandeln, damit verbundene Sehnsüchte und seelische Verletzungen. Liebe wird einerseits im dynastischen Kontext gesehen, dem sich Frauen letztlich zu unterwerfen haben, aber im Libretto wird auch festgehalten, dass zur Liebe „zwei Herzen“ gehören. Letztlich dürfte von der Sprödigkeit des weiblichen Herzens aber doch erwartet worden sein, dass sie sich „erweichen“ lässt. (1)

Der Prolog heftet sich groß die Friedenssehnsucht des französischen Hofes auf die Fahnen: „Wie schön ist es, der Welt den Frieden zu bringen“ – und hat sich bald 350 Jahre später etwas an dieser Aussage geändert? Der Schlusschor bekräftigt diese Botschaft, weil es dank Jupiters weisem Urteil gelungen ist, den Frieden zwischen den Göttern zu bewahren.

Der Prolog wird von musikalischem Prunk begleitet und die Trompeten treten in Aktion – ebenso im Finale, was für bestes repräsentatives Musiktheater sorgt. Für die seelischen Regungen der Protagonisten findet Lully oft einen zärtlichen, lyrischen Grundton, der Liebe und Klagen umfasst – und trotzdem bleibt der Gesamteindruck überraschend abwechslungsreich. Der Chor ist davon nicht ausgenommen, am Beginn des dritten Aktes bei der Suche nach Ceres gilt es zum Beispiel hübsche Echo-Effekte zu gestalten.

Für eine nuancenreiche Umsetzung von Lullys Musik sorgten an diesem Abend wieder  Christophe Rousset, die stilsicheren, mit feinem Glanz aufspielenden Les Talens Lyriques sowie der Choeur de Chambre de Namur. Angeführt wurde das Ensemble von der „Oberpriesterin“ der französischen Barockoper bis einschließlich Gluck: Veronique Gens als Ceres. Gens versah die Partie mit gefühlvollem Pathos, als von Jupiter verlassene Geliebte, als sorgende Mutter, mit Verve im Zorn über die Tat Plutons und tragödisch im schmerzvollen Flehen. Sie setzte die Emotionen dosiert ein, im ausgewogenen Kalkül einer inneren Haltung, die ihre Contenance nur in ausgewählten, dramatischen Momenten – wenn überhaupt – verlieren darf.

Als ihre Tochter Proserpine überzeugte Marie Lys nicht nur beim Klagen, sondern auch effektvoll im vierten Akt bei der Verfluchung von Plutonens Handlanger Ascalaphe, der sich anschließend gleich in eine Eule verwandelt und davonflattert. Ihren Sopran umspielte feines, leicht dunkel getöntes Funkeln, apart und geschmeidig.

Den ihr verfallenden Pluton gab Olivier Gourdy, ein junger, füllig timbrierter Bass, von der Liebe in seinem Hades-Grimm nobel erweicht. Wie Pluton war auch der junge Tenor Laurence Kilsby als Alphéer eine Entdeckungen dieser Aufführung: ein Sänger britischer Schule, hell timbriert, aber mit einem feinen schmelzüberzogenen Kern, der noch ein bisschen zulegen muss, um ihm in wenigen Jahren das Timbre für einen noblen Mozartenor bereitzustellen. Seinen Flussgott umspielte aristokratische Jugendlichkeit, mit klarem, manchmal leicht nasal unterlegten Ton.

Mit gebotener Ironie stellte sich Nick Pritchard (Tenor) als Mercure ein, der Ceres, die sich von Jupiter ungeliebt behandelt fühlt, am Beginn des ersten Aktes mit allerhand Liebenswürdigkeiten „abspeist“. Der schon erwähnte Ascalaphe wurde vom jungen Bariton Olivier Cesarini gegeben, eine reichhaltige Stimme, leicht gaumig, die sich noch ein bisschen „freisingen“ müsste.

Von den Damen sind noch zu nennen Ambroise Bé als Aréthuse mit leicht erotisch funkelndem Mezzo, und Apolline Rai-Westphal, lyrischer Sopran, die als Nymphe Cyane die spannende Aufgabe hatte, wirkungsvoll zu verstummen, als sie Ceres den Namen des Entführers ihrer Tochter nennen möchte. Dazu gesellten sich noch weitere kürzere Partien, die für eine insgesamt gelungene Aufführung sorgten.

Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause ziemlich genau dreieinhalb Stunden. Das Theater an der Wien war nicht ausverkauft, aber besser besucht als unlängst bei der Uraufführung der Oper „Voice Killer“. Der dankbare Schlussapplaus dauerte etwa sechs bis sieben Minuten. Die Hoffnung auf eine Wiederholung des Schlusschores als Zugabe wurde dieses Mal leider nicht erfüllt.

(1) Eine Psychologisierung der Liebesthematik ist unübersehbar, könnte ein Zug der Zeit gewesen sein. Erst zwei Jahre zuvor war anonym der das Thema Liebe unter einem neuen, introspektiven Blickwinkel betrachtende Roman „La Princesse de Clèves“ erschienen, der Madame de la Fayette zugeschrieben wird. Aber darüber gibt es sicher schon Hunderte Regalmeter an romanistischer Fachliteratur.