BELLÉROPHON
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Theater an der Wien
25.1.2011
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Ensemble: Les Talens Lyriques

Bellérophon, Schäfer - Cyril Auvity
Philonoé, Waldnymphe - Céline Scheen
Stenobée, 1. Amazone - Ingrid Perruche
Amisodar, Apollon u.a. - Jean Teitgen
König Jobate, Pan - Evgueniy Alexiev
Argie, Pallas Athene u.a. - Jennifer Borghi
La Pythie, Bacchus u.a. - Robert Getchell


„Altgriechischer Superman für Frankreichs Krone
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien bietet derzeit eine kleine Reise durch die eigenständige Welt der französischen Barockoper. Auf die szenischen Produktion von Jean-Philippe Rameaus „Castor et Pollux“ folgte eine konzertante Aufführung von Jean-Baptiste Lullys „Bellérophon“.

Bellérophon war ein altgriechischer „Superman“ – für die von Lully beabsichtigte Verherrlichung von König Ludwig XIV. also ein idealer Stoff. Bellérophon entgeht nicht nur der Eifersucht der Köngin Stenobée, er gewinnt die Hand von Prinzessin Philonoé und – vor allem –- er besiegt die durch den bösen Zauberer Amisodar heraufbeschworene Chimäre. Die Szenenanweisung von Bellérophons Kampf mit diesem „Monster“ (laut Programmheft zitiert) könnte einem Fantasy-Roman entnommen sein:

„(...) Bellerophon stürzt sich noch einmal auf die Chimäre und greift nach einem Ritt durch die Luft das Ungeheuer zum dritten Mal an, verwundet es diesmal tödlich, reitet drei Runden in der Luft und entschwindet in den Wolken. Die Chimäre fällt inzwischen tot zwischen den Felsen zu Boden, was das Volk zu Freudenschreien veranlasst.“

Bellerophon wurde als „Tragédie en musique in einem Prolog und fünf Akten“ im Jahre 1679 uraufgeführt - und der Titel verspricht genau das, was man zu hören bekommt. Ein pathetisch inszeniertes „Gesamtkunstwerk“ in der vermeintlichen Nachfolge antiker Tragödie - dem in der konzertanten Fassung natürlich die optische Opulenz ermangelte. Lully ist mit seiner stark rezitativischen, wortsinn- und -melodiedeutenden Musik gleichsam ein Nachfahre der ersten Opernkomponisten. Die SängerInnen werden zu einer musikalischen Deklamation angehalten, der hin und wieder, gleichsam ansatzlos, ariose Blüten aufgesetzt werden. Weiters finden sich kurze Instrumentalstücke wie Tänze oder Einleitungen zu Szenen. Im Vergleich zu Rameau wirkt die Musik schlichter, aber in Summe doch „repräsentativer“.

Sehr guten Effekt machte der Schlusschor mit zwei, auf der Bühne aufgestellten Trompetern, die dem Werk den gewünschten imperialen Glanz noch einmal nachdrücklich aufprägten. Der imposante Schluss des Finales wurde aufgrund des starken Beifalls des begeisterungsfähigen Publikums wiederholt. Man bekam dieses Finale mit den tänzerisch federnd und schwungholend musizierten Überleitungen zwischen den Chorversen auch Stunden nach der Aufführung schwer aus dem Kopf: Musik wie Koffein.

Die Aufführung war wesentliches Verdienst von Christophe Rousset, der am Pult der Les Talens Lyriques auch den Abend leitete. Rousset hat das Werk erst vor kurzem seinem Jahrhunderte dauernden Dornröschenschlaf entrissen, nachdem er in einem Pariser Antiquariat ein Exemplar des Erstdrucks aufgestöbert hatte. Das große Engagement Roussets für Lully war während der Aufführung deutlich spürbar, übertrug sich auf die Mitwirkenden und auf das Publikum – und es wurde ein intensiv erlebter Opernabend.

Den Titelhelden sang Cyril Auvity, ein Haute-contre, mit schlanker, hoher Tenorstimme, melodiös, nie gepresst oder sich unangenehm verfärbend und kräftig genug, um nicht nur den Liebhaber, sondern auch den Heroen anklingen zu lassen. Beeindruckend Ingrid Perruche als liebende und eifersüchtigen Königin Stenobé, inklusive der Darstellung eines gift-induzierten Selbstmords. Kontrolliertes Pathos und bis zu feinstem Piano abschattierte Gefühlsregungen gaben der Figur die Präzision und die historische Tiefe eines Kupferstichs. Das Timbre ihres Soprans hatte zudem etwas von kühlem Silber, wodurch sich die tragische Haltung des Bühnencharakters noch verstärkte.

Jean Teitgen sang den Zauberer Amisodar (aber auch den Apollon im Prolog). Mit kräftigem, sehr schön timbriertem Bass, beschwor er das Monster. Die Szene mit den Zauberern im zweiten Akt hatte überhaupt ihren ganz besonderen Reiz. Céline Scheen steuerte überzeugend die jugendliche und begehrenswerte Philonoé bei, Jennifer Borgh die Argie mit sanftleuchtendem Mezzo. Charakteristisch Robert Getchells Tenor als Bacchus und Pythia, Evgueniy Alexiev sang u.a. den lykischen König, ein schöner Bass(bariton), vielleicht eine Spur zu wenig gut konturiert in der „Diktion“. Bewährt der Arnold Schönberg Chor.

Das Theater an der Wien war zwar gut besucht, die Lücken in den Sitzreihen waren aber nicht zu übersehen – und nach der Pause noch etwas größer. Das barockmusik-affine (Stamm-)Publikum sorgte am Schluss aber wieder für viel Applaus.

Es ist auch wieder einmal an der Zeit, auf die steten Bemühungen des Theaters an der Wien um die Barockoper hinzuweisen. In den letzten Jahren ist es gelungen, diese international schon renommierte, in Wien über Jahrzehnte aber nur schmal besetzte Nische, deutlich auszubauen und zu verfestigen.