ATYS
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Konzerthaus
20.1.2024
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Ensemble: Les Talens Lyriques
Le Choeur de Chambre de Namur

Atys - Reinoud Van Mechelen
Cybèle - Judith van Wanroij
Flore / Sangaride - Céline Scheen
Melpomène / Mélisse - Apolline Raï-Westphal
Iris / Doris - Gwendoline Blondeel
Un Zéphyr / Le Sommeil - Kieran White
Morphée - Nick Pritchard
Phantase - Antonin Rondepierre
Le Temps / Le fleuve Sangar / Phobétor - Olivier Cesarini
Célénus - Philippe Estèphe
Idas - Romain Bockler
Un songe funeste - Vlad Crosman


„Resonanzen-Start mit Lully
(Dominik Troger)

Im Wiener Konzerthaus ist wieder „Resonanzen“-Zeit. Am ersten Tag des Festivals für Alte Musik, das heuer unter dem Motto „Die Planeten“ steht, wurde dem Publikum ein konzertanter Ausflug zum Opernschaffen von Jean-Baptiste Lully ermöglicht und die Tragédie en musique „Atys“ gegeben.

Als Reiseführer an den Hof von Ludwig XIV. fungierte an diesem Abend Christophe Rousset, ein unermüdlicher Fürsprecher in Sachen Lully, der in der Vergangenheit dem Wiener Publikum schon einige Begegnungen mit dem Opernschaffen des Komponisten ermöglicht hat. Mit dabei waren auch wieder das Ensemble Les Talens Lyriques sowie der Choeur de Chambre de Namur.

Zwar hätte man sich wegen des intimeren und akustisch besser geeigneten Rahmens das Theater an der Wien als Aufführungsort gewünscht, aber erstens wird das gerade renoviert und zweitens hat man ohnehin schon dankbar zu sein, wenn solche Raritäten überhaupt zur Aufführung gelangen. Das „Resonanzen”-Festival bildet zudem ein ausgezeichnetes künstlerisches und marketingtechnisches Umfeld, um Lully mehr Aufmerksamkeit zu sichern, als wenn seine Werke in einem konzertanten Zyklus einfach nur zwischen viel italienische Barockoper geparkt werden.

„Atys“ wurde 1676 uraufgeführt, war seinerzeit recht erfolgreich, ist dann der Vergessenheit anheim gefallen, William Christie hat dem Werk 1987 anlässlich von Lullys 300. Todestag zu einer glanzvollen Rückkehr auf die Opernbühne verholfen. Natürlich geht es auch in „Atys“ um eine unglückliche Liebesgeschichte – aber kann man eine Liebesgeschichte „tragischer“ erzählen, als es Lully und sein unermüdlicher Librettist Philippe Quinault in diesem Werk getan haben? Die Göttin Cybèle hat den Jüngling Atys zu ihrem Oberpriester bestellt, weil sie ihn liebt. Atys liebt aber Sangaride, die ihrerseits König Célénus versprochen ist. Als Atys der Göttin die Gefolgschaft verweigert, fordert ihre Eifersucht blutige Rache. Atys erdolcht Sangaride im Wahn und begeht Selbstmord. Cybèle bleibt nur die Trauer – und sie verwandelt den toten Geliebten in einen Baum.

Cybèles grausame Rache ist aber erst dem fünften Akt vorbehalten, zuerst regiert über weite Strecken ein delikat auskomponiertes Missverständnis der Gefühle. Es macht „Atys“ zu einer „Love Story“, die zwar im antiken Phrygien spielt, aber genau betrachtet die Herausforderungen von indivuellen Liebes- und Lebensentwürfen innerhalb einer höfischen und standesbewussten Gesellschaft beschreibt. Über der gegenseitigen Liebeserklärung von Atys und Sangaride schwebt bereits im ersten Akt eine große Hoffnungslosigkeit. Unter den einschränkenden Bedingungen, die dem Liebespaar keinen Spielraum lassen, wird der von Cybèle beschworene Wahnanfall des Atys im fünften Akt gleichsam zu einem mythologisch verschleierten „revolutionären“ Akt – der dann konsequent den „Aufständischen“ selbst hinwegrafft, weil ihm keine andere Möglichkeit bleibt, um sich anders aus seiner Zwangslage und von seinen Schuldgefühlen zu befreien.

Nun sei nicht geleugnet, dass einem Lully für solche interpretativen Gedankenspiele auch reichlich Zeit einräumt. Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause dreieinhalb Stunden (die Zeitangabe im Programmheft lag mit ca. zweieinhalb Stunden ziemlich daneben). Nach der Pause verließen einige Besucher während des Konzertes den Saal, nicht immer so leise wie erhofft. Das lange Divertissment im vierten Akt zerrte ein wenig am Geduldsfaden und in solchen Momenten fehlte die szenische und tänzerische Ausgestaltung. (Erst am Schluss des vierten Aktes gibt es „Action“, verweigert Oberpriester Atys der Heirat zwischen Sangaride und Célénus den Segen und macht sich mit der Braut davon.) Im Finale des fünften Aktes war auch mein persönlicher „Vorrat“ an „Mitgefühl“ schon etwas aufgebraucht.

Rousset hat wieder auf ein stilistisch erlesenes Ensemble gesetzt. Der belgische Tenor Reinoud Van Mechelen gab mit schlankem Tenor den Atys, feingliedrig, aber mit ausreichend „Kern“, um als jugendlicher Held seine Stellung behaupten zu können. Die unglückliche Sangaride wurde von Céline Scheen beigesteuert und mit einem einfühlsamen Sopran ausgestattet. Eine bisschen mehr „Kante“ durfte die Cybèle der Judith van Wanroij zeigen. Philippe Estèphe lieh König Célénus seine angenehme Baritonstimme, eine Spur rauer gab es Romain Bockler als Idas. Als Doris steuerte Gwendoline Blondeel einen hübsch leuchtenden, leicht dunkel timbrierten Sopran bei. In kleinen Nebenrollen war neben weiteren Mitwirkenden mit Kieran White noch ein sehr schlanker, jugendlicher Hautre-Contre-Tenor zu entdecken. Nicht alle Stimmen kamen mit der Akustik im großen Saal gut zu Rande und einige klangen auf meinem podiumfernen Parterresitzplatz etwas leise.

Das Orchester Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset (als musikalischem Leiter und am Cembalo) spielte wie immer feinfühlig, im Klang wieder jenen schlanken „imperialen“ Glanz pflegend, der einen Schimmer von Verklärung erzeugt und weniger einer musikdramatischen Gegenwart huldigt. Im Theater an der Wien entwickelt ihr Spiel allerdings mehr räumliche Wirkung als im Konzerthaus. Am Schluss gab es lange anhaltenden Applaus für Ensemble, Chor und Solisten.