ARMIDE
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Theater an der Wien
18.12.2015
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Christophe Rousset

Ensemble: Les Talens Lyriques
Choeur de Chambre de Namur

Armide - Marie-Adeline Henry
Renaud - Antonio Figueroa
La Gloire, Phénice, Mélisse, Une nymphe des eaux -
Hélène Le Corre
La Sagesse, Sidonie, Lucinde, Une bergère héroïque -
Marie-Claude Chappuis
Hidraot - Douglas Williams
Ubalde - Etienne Bazola
Aronte, La Haine - Edwin Crossley-Mercer
Artémidore - Emiliano Gonzalez Toro
Le Chevalier Danois, Un amant fortuné - Cyril Auvity


„Expressive Zauberin
(Dominik Troger)

Die Zauberin Armida war im Theater an der Wien auf Besuch und lockte den Kreuzritter Rinaldo in ihre Arme. Aber Rinaldo verzichtete um des Ruhmes Willen auf die Gunst ihrer Liebe. Welchen Ruhm kann sich ein Mann heutzutage noch erwerben, wenn er auf die unerschöpfliche Liebe einer Zauberin verzichtet?

Diese Frage muss jeder Mann natürlich für sich selbst beantworten. Aber eines ist gewiss: Jean-Baptiste Lullys „Armide“ ist ein Höhepunkt der französischen Barockoper. Lully hat hier noch einmal mit dem Librettisten Philippe Quinault zusammengearbeitet. Die Uraufführung fand 1686 statt, bereits 1687 verstarb Lully. Die Handlung ist „La Gerusalemme liberata“ von Torquato Tasso entnommen – der Kreuzfahrer Rinaldo kreuzt die Wege der Zauberin Armida, verfällt ihrem Zauber, wird von Gefährten aus ihrem Zauber befreit, und verlässt sie. Armida bleibt verzweifelt zurück.

Auffallend an dieser Oper ist, welche Aufmerksamkeit Komponist und Librettist dem Charakter Armidas geschenkt haben, deren emotionale Zerrissenheit den zweiten Akt prägt, in dem sie den treulosen Ritter aus Rache für die verschmähte Liebe ermorden möchte. Rinaldo ist in einen Zauberschlaf verfallen und wird von Nymphen und Schäferinnen umschwärmt und das Publikum wird in der Illusion einer Idylle gewiegt – als plötzlich Armida mit dem Dolche in der Hand erscheint und die Stimmung in eisige Kälte umschlägt. Einen Monolog lang kämpfen Liebe und Hass in ihr, bis die Liebe obsiegt.

Die konzertante Aufführung basierte auf einer szenischen Produktion der Opéra national de Lorraine vom Juni 2015, wurde in Wien aber in teils veränderter Besetzung gegeben. Das Ensemble Les Talens Lyriques unter Christophe Rousset sowie der Choeur de Chambre de Namur konnten mit stilistischem Feingefühl die Erhabenheit von Lullys musikalischem Ausdrucks nachempfinden. Das Orchester musizierte mit Eleganz, überzeugte durch ein klares, federndes Spiel von angemessener emotionaler, aber auch imperialer Wirkung.

Bei Marie-Adeline Henry als Armide war deutlich zu erkennen, dass sie die Rolle szenisch einstudiert hat. Ihr Mienenspiel im ausdrucksstarken Gesicht und ihr Dekolleté lockten den Ritter und das Publikum mit Erotik, aber auch mit starken Gefühlsausbrüchen, in denen das Theater an der Wien ihre Stimme mit dämonenhafter Größe zu beschallen wusste. Die Rolle, der in ihren Gefühlen zwiespältigen Zauberin schien Henry auf den Leib geschneidert, und vom ersten Moment an gab es keinen Zweifel an der starken Präsenz dieser Sängerin, die die Rolle mit leidenschaftlicher Theatralik zu gestalten wusste: grausam, stolz, verliebt, hasserfüllt, und dann gebrochenen Herzens, zerbrochen an der Liebe zu diesem ruhmsüchtigen Kreuzritter. Henrys Sopran malte mit einer dunkel getönten, expressiven Farbe, nicht glatt, sondern im Gesang mit einer leicht ungeschliffen wirkenden Kontur, in der eine emanzipatorische Robustheit ebenso ihren Ausdruck fand wie eine lockende „vampartige“ Verführungskraft.

Antonio Figueroa als Renaud konnte gegenüber Henry von der Ausstrahlung nicht mithalten. Es handelte sich um einen lyrischen Tenor spanisch-lateinamerikanischen Typs (obwohl der Sänger aus Kanada gebürtig ist), dem Charakter nach ein Fenton oder Nemorino, mit hübsch timbrierter, aber etwas schmaler Mittellage. Das war in Summe zu unspektakulär, um mit tenoralem Zauber den Liebeszauber einer Zauberin entfachen zu können.

Die stilistische Präzision in der „musikalischen Deklamation“ steuerte auf der Bühne vor allem der hohe, schlanke Tenor von Cyril Auvity bei, der allerdings nur „Nebenfiguren“ wie den dänischen Ritter und den Amant fortune im Loblied auf die Liebe zu singen hatte. Dieses „Loblied“, in eine Passacaglia eingebunden, ist der lustvolle Höhepunkt nicht nur des fünften Akts (bevor Renaud befreit wird), sondern der ganzen Oper und war an diesem Abend von sehr starken Wirkung.

Vielversprechend gestaltete sich die Begegnung mit drei jungen Bassbariton-Stimmen: Douglas Williams als eleganter Hidraot, Etienne Bazola als etwas grobstofflicherer Ubalde sowie Edwin Crossley-Mercer, der sein reichhaltiges Organ u.a. dem von Armide beschworenen Hass zur Verfügung stellte. Die beiden Damen, Marie-Claude Chappuis und Helene Le Corre, fielen dagegen leicht ab, hatten es auch insofern schwerer weil sie ein ganze Reihe an Personal zu übernehmen hatten. Nachhaltig präsentierten sie sich vor allem als Geliebte des dänischen Ritters (Chappuis als Lucinde) beziehungsweise von Ubalde (Le Corre als Melisse) im vierten Akt. Der Tenor Emiliano Gonzalez Toro kam nur kurz als Ritterfreund von Renaud zum Einsatz.

Es gab nach knapp über drei Stunden Spieldauer (inklusive einer Pause) für diese einprägsame Aufführung rund sieben Minuten langen, starken Schlussapplaus. Das Theater an der Wien war allerdings nicht ausverkauft. Die französische Barockoper ist hierzulande ein Minderheitenprogramm.