ALCESTE
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Theater an der Wien im Museumsquartier Halle E
2.2.2024
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Stéphane Fuget

Ensemble: Les Epopées
Chœur de l'Opéra Royal de Versailles

Alceste - Véronique Gens
Admète - Cyril Auvity
Alcide - Nathan Berg
Lycomède / Charon / Ein Verzweifelter - Guilhem Worms
Céphise / Die Nymphe der Tullerien - Camille Poul
Proserpine / Diane / Die Nymphe der Marne / Thétis - Juliette Mey
La Gloire / Une femme affligée / La Gloire - Claire Lefilliâtre
Une nymphe / Une ombre / Die Nymphe der Seine - Cécile Achille
Cléante / Straton / Pluton / Eole - Geoffroy Buffière
Lychas / Phérès / Alecton / Apollon - Léo Vermot-Desroches


„Lully-Festspiele
(Dominik Troger)

So viel Oper von Jean-Baptiste Lully in einem so kurzen Zeitraum hat es in Wien auch noch nicht gespielt: Vor knapp zwei Wochen schaute sein „Atys“ im Konzerthaus vorbei, jetzt war „Alceste“ im Museumsquartier zu Gast.

„Alceste“ ist von den beiden genannten zwar die frühere, bezogen auf Handlung und Musik aber publikumswirksamere Tragédie en musique. 1674 uraufgeführt war das Werk einer der ganz großen Erfolge von Lully und von seinem Librettisten Philippe Quinault. Später ist nicht nur wegen der Neufassung des Stoffes durch Christoph Willibald Gluck die Erinnerung an Lullys Oper verblasst, bis zu ihrer Wiederentdeckung in den 1970er-Jahren.

Lully und Quinault rühren mit ihrem Werk an die großen Mysterien von Liebe und Tod, entwickeln daraus aber eine „Ideologie“ des Verzichtes und der Standhaftigkeit, ganz zum Ruhme von Alceste, ihrem Gemahl Admète und dem „Nebenbuhler“ Alcide (Herkules). Alceste opfert aus Liebe ihr Leben, damit der verstorbene Admète wieder aus dem Totenreich zurückkehren möge; Admète verzichtet zugunsten von Alcide auf Alceste, damit dieser sie aus dem Hades befreie; Alcide entsagt seiner Liebe zu Alceste, damit er der Verbindung von Alceste und Admète nicht mehr im Wege stehe.

Diesen drei wird mit Cephise, Vertraute der Alceste, allerdings ein ganz anderes – möglicherweise nur niederen Ständen vorbehaltenes? – Lebensmodell gegenübergestellt, das in der Liebe den Genuss sucht und erst gar keine Ehe anstrebt. Es wird nicht ganz klar, ob Lully und Quinault Cephise als „gutes“ oder als „schlechtes“ Beispiel anführen oder ob hier ein „sozikultureller“ Realismus durchbricht, der das „Ideal“ ein wenig untergräbt. Das Werk ist zudem nicht frei von „buffonesken“ Szenen, der sehr merkantil veranlagte Charon zum Beispiel wird fast als Tölpel dargestellt – zugleich die „übernatürlichen“ Kräfte des Herkules ein wenig „entzaubernd“ und damit den Mythos selbst.

Ganz nahtlos sind diese unterschiedlichen Ebenen nicht miteinander verschmolzen. Wenn im zweiten Akt Alceste von ihrem im Kampf tödlich verletzten Gemahl Abschied nimmt oder wenn im dritten Akt, der durch Alcestes Selbstmord von den Toten erweckte Admète zur Klage anhebt: „Alceste est morte“ – dann gelingt Lully und Quinault eine dermaßen starke Verdichtung gleichsam am „Nullpunkt“ ihrer Existenz angelangter menschlicher Schicksale, dass Cephisens Hader mit ihren beiden Liebhabern stark dagegen abfällt. Insofern sind es vor allem der zweite und der dritte Akt sowie die überraschende Komödiantik des vierten Aktes mit der Hadesreise des Alcide, die die Aufmerksamkeit fesseln.

Lully packt musikalisch alles aus, was das Herz begehrt, von der trompetenunterfütterten Schlachtenmusik im zweiten Akt bis zur markerschütternden Klage des Admète im dritten, gefolgt von Trauermarsch und Klagechor, oder dem „Orchesterbellen“ des Zerberus im vierten – ein ganz köstlicher Einfall. Noch etwas ausbaufähig zeigt sich der Prolog, der sich nicht ganz zur erhofften „repräsentativen“ Wirkung aufschwingt. Ihn haben Lully und Quinault nach meiner Einschätzung in späteren Opern eindrucksvoller ausgestaltet.

Einen besonderen Reiz erfuhr die Aufführung auch durch die Tatsache, dass Véronique Gens vor zwölf Jahren die Alceste bereits an der Wiener Staatsoper gesungen hat – in Glucks Variante des Stoffes. Lullys Zeichnung der Figur folgte sie mit ausgefeilter Diktion und tragödischer Haltung. Ihr Sopran mischt leichte Melancholie mit ein bisschen Heroismus: aber es blieb alles wohlabgemessen, eine starke Frauenfigur, ohne Übertreibung aus innerer Überzeugung handelnd, im Selbstopfer für den Gemahl das eigene Leiden überwindend. Cyril Auvity war ein kongenialer Admète, sein hoher, subtil eingesetzter Tenor bestes dafür geeignet, um Gefühlsaffekte klar und präzise zu artikulieren und um in seinem Handeln beispielgebend zu wirken.

Alcide ist von Lully nicht mehr ganz mit solcher gleichsam von jedem Staubkörnchen befreiten ideelen Wahrhaftigkeit gezeichnet worden, die Szene im Hades setzt ihn stark der Komödie aus – insofern ist sein Verzicht von einer menschlichen Einsicht geprägt, die sich leichter nachvollziehen lässt. Nathan Berg lieh Alcide eine bass-baritonale Basis und Humor in der Hadesszene, wenn er Charon „nötigt“, ihm die Überfahrt zu gewähren.

Die selbstbestimmte Cephise wurde von Camille Poul mit einem lyrischen Sopran dargeboten, sozusagen als emanzipierte Zerlina, die ihren Masetto längst zum Teufel gejagt hat. Abgesehen von den drei Erstgenannten haben alle Mitwirkenden mehrere Partien verkörpert, um den umfangreichen „Figurenkatalog“ des Werks abzudecken. Der Tenor Léo Vermot-Desroches als Lychas und der Bass Geoffroy Buffière Straton wetteiferten mit Witz um die Gunst Cephises. Vermot-Desroches reüssierte beispielsweise auch als Apollon und Buffière in einer kurzen Unterweltsszene als Pluton. Guilhem Worms war ein witziger Charon, ein mit jugendlichem, aufstrebendem Bassbariton um Alceste werbender Lycomède und ein verzweifelt Trauernder im dritten Akt. Ihm um Alceste ausdrucksvoll trauernd zur Seite stand Claire Lefilliâtre. In weiteren Rollen ergänzten noch Juliette Mey mit gerundetem Mezzo und Cécile Achille mit lyrischem Sopran u.a. als Nymphen.

Der Chœur de l'Opéra Royal de Versailles sorgte für tief und kollektiv empfundenen Schmerz bei der Klage um Alceste und das Orchester Les Epopées unter Stéphane Fuget sorgte für viele großartige Minuten, die lange Trauerszene im dritten Akt als einer der großen Höhepunkte der Aufführung– war aber auch passend mit Humor gesegnet, wenn er verlangt wurde. Im Konzerthaus vor zwei Wochen war Christophe Rousset mit Les Talens Lyriques zu Gast gewesen, im Klang etwas funkelnder und „apollinischer”, Les Epopées mit etwas gedämpfter klingenden Streichern und etwas markanteren, famos aufspielenden Holzbläsern. „Alceste“ konnte aber die überzeugendere Besetzung ins Feld führen. Das Orchester war an der Bühnenrampe positioniert, dahinter die Sängerinnen und Sänger dann der Chor.

Das Publikum dankte mit starken Beifall. Die Halle E war sehr gut besucht, der Publikumsschwund zur Pause hielt sich in sehr überschaubaren Grenzen. Gesamtdauer der Aufführung: knappe dreieinhalb Stunden, die Pause eingerechnet.