ZAR UND ZIMMERMANN

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Volksoper
17. Oktober 2018
Premiere am 13. Oktober 2018

Musikalische Leitung: Christof Prick

Regie, Bühnenbild, Kostüme: Hinrich Horstkotte
Choreographie: Bohdana Szivacs
Choreinstudierung: Thomas Böttcher

Zar Peter - Günter Haumer
Peter Iwanow - David Sitka
van Bett - Andreas Mitschke
Marie - Elisabeth Schwarz
Admiral Lefort - Yasushi Hirano
Lord Syndham - Stefan Cerny
Marquis von Chateauneuf - Ilker Arcayürek
Witwe Browe - Sulie Giradi

Offizier - Harald Assenheimer
Ratsdiener - Georg Wacks


Zar Peter und der Käsemond
(Dominik Troger)

Albert Lortzings Opern waren einmal ein Fixpunkt im deutschsprachigen Repertoire – davon ist wenig übrig geblieben. Die Volksoper stellt sich jetzt mit einer Neuproduktion von „Zar und Zimmermann“ gegen den Trend.

Albert Lortzing ist ein gutes Beispiel dafür, wie gravierend sich der Publikumsgeschmack verändern kann. In der Spielzeit 1965/66 war Lortzing im deutschsprachigen Raum mit 755 Aufführungen noch der viertmeistaufgeführte Komponist hinter Verdi, Mozart und Puccini.(1) Hingegen listet Operabase (www.operabase.com) für die Saison 2018/19 gerade einmal 34 Lortzing-Aufführungen, von denen allein zehn die Volksoper mit ihrer neuen Produktion von „Zar und Zimmermann“ beisteuert.

An der Volksoper gab es den großen Schnitt bei der Lortzing-Rezeption in den 1980er-Jahren. Von 1986 bis 1996 stand Lortzing überhaupt nicht auf dem Spielplan. 1996 wurde diese „Pause“ mit einer Neuproduktion von „Zar und Zimmermann“ beendet, die bis 2004 im Repertoire gehalten wurde. 2013 folgte „Der Wildschütz“ – und jetzt wurde wieder ein neuer Anlauf genommen, um Lortzings Opern nicht ganz aus den Augen zu verlieren.

Bei der neuen Volksopernproduktion von „Zar und Zimmermann“ hat Hinrich Horstkotte in Personalunion für Regie, Bühnenbild und Kostüm gesorgt. Horstkotte hat versucht, Lortzings etwas „biedermeierlichen Humor“ durch eine Reihe von „schrägen“ Einfällen aufzupeppen. Das ist nur teilweise gelungen. Die Gesamtkonzeption war allerdings unverkennbar und hatte auch ihre Vorteile: Horstkotte hat sein Konzept bis in Details durchgezogen (etwa wenn dann das Wörtchen „durchlöchert“ ins Libretto „gemogelt“ und dem Publikum dazu eine „durchlöcherte“ Käsescheibe gezeigt wird).

Das „Problem“ liegt weniger im Pointenreichtum, sondern in der „Psychologie“ von Lortzings Figuren, die in ihren Charakteren zwar etwas einfach und „typenartig“ gestrickt sind, die aber deutlich erkennbare menschlichen Schwächen aufs Korn nehmen. Das Publikum wird bei Lortzing sozusagen zu einem „Blick über den Gartenzaun“ eingeladen, um sich am Nachbarschaftsklatsch zu beteiligen. Aber wenn dieser „Nachbar“ nur mehr in seiner absurden Kostümierung (wie in dieser Inszenierung zum Beispiel der Bürgermeister) greifbar wird, dann überdeckt die Verzerrung ins Skurrile die humanen Züge der Figuren (und letztlich auch den ironischen Selbstbezug). Deshalb wirkt diese Neuproduktion vor allem wie eine Ansammlung von Gags, die immer wieder den Boden der Stückrealität auf eine oft absurde Weise hinter sich lassen. (Lord Syndham wurde zum Beispiel als „Sherlock Holmes“ und als „James Bond“-Verschnitt präsentiert, manchmal mit fast „Monty-Python-artigem“ Effekt.)

Die Bühne stellt einen Einheitsraum dar. Er ist mit einem Kachelmuster „ausgelegt“, das auf weißem Grund in blauer Farbe holländische Motive wie zum Beispiel Windmühlen zeigt. Im Hintergrund gibt es Platz für die Hinzufügung weiterer „Einfälle“ wie zum Beispiel einem angeschnittenen Käselaib als Mond. In den Vordergrund werden je nach Szene Elemente „eingeschoben“, zum Beispiel eine russische „Kapelle“ mit Ikonen, in der der Zar seine Arie (Nr 3) „Nur eurem Glück weiht ich mein Leben“ zum Besten gibt. (Selbige ist in dieser Neuproduktion nicht gestrichen.) Der dritte Akt spielt nicht im Stadtsaal, sondern aus unerfindlichen Gründen in einem Altersheim – der Chor entsprechend kostümiert, von Betreuerinnen überwacht. Der Holzschuhtanz dient auch zur Belustigung der teils in Rollstühlen sitzenden Alten – und er wird für von Kindern und Jugendlichen dargestellt, die buchstäblich mal „aus der Reihe tanzen“

Die Ansage am Beginn der Vorstellung, in der das Publikum gebeten wird, die Mobiltelefone auszuschalten wurde diesmal im Inhalt witzig variiert und mehrsprachig dargeboten u.a. in Niederländisch. Positiv zu vermerken ist, dass die Ouvertüre diesmal ohne szenische „Anreicherung“ auskommt. Der Schlussgag – das Schiff des Zaren bricht von der Hinterbühne kommend mit dem Bug im wahrsten Sinne des Wortes durch die Kulissen – ist von starker Wirkung, aber wer mit wenig „Sitzfleisch“ ausgestattet ist, hat da vielleicht in einer der beiden Pausen schon die Volksoper verlassen.

Die zweite Vorstellung war in den Hauptpartien der Zweitbesetzung vorbehalten. Den lebendigsten Eindruck hinterließen der „falsche Zar“ und Marie: Elisabeth Schwarz saß ein papagenahafter Schalk im Nacken und ihr leichter lyrischer Sopran folgte Lortzings Vorgaben mit Keckheit und gewitztem Spiel. David Sitka als Peter Iwanow bildete dazu mit seinem humorvoll eingesetzten Spieltenor die passende Ergänzung.

Günter Haumer stellte dem Zaren einen fülligen, manchmal leicht gaumig klingenden Bariton zur Verfügung, der auf mich in den Musiknummern und bezogen auf das Sujet ein bisschen zu schwerfällig wirkte. Im Spiel kam der „Standesunterschied“ zwischen ihm und Peter Iwanow gut heraus. Andreas Mitschke wurde durch das Kostüm zu einer absonderlichen „Bürgermeister-Monstrosität“ aufgeblasen. Stimmlich funktionierte das buffoneske „Aufblasen“ nicht mehr sehr überzeugend.

Den französischen Gesandten gab Ilker Arcayürek. Sein Tenor war beim „flandrische Mädchen“ eigentlich sehr gut aufgehoben. Poetisches Schmachten ist der große Vorzug dieses Organs, dass in den Übergängen aber auf mich noch etwas „unrund“ wirkte und unter Druck an Reiz verlor. Arcayürek hat in Nürnberg letztes Jahr schon den Rodolfo gesungen: eine zu stürmische Entwicklung des an sich schönen lyrischen Stimmmaterials? Stefan Cerny machte als englischer Lord u. a. im Taucheranzug und mit einem Erpel auf dem Kopf die Bühne „unsicher“. Wer in solchem „Kostüm“ auftreten muss, der braucht sich um die Gunst des Publikums nicht mehr zu sorgen.

Weitere Mitwirkende waren u. a. Sulie Girardi als durchs Kostüm schwer „verzeichnete“ „komische“ Witwe Brown undYasushi Hirano, als funkender (!) russischer Gesandter. Der Chor verwandelte sich im dritten Akt in eine „illustre“ Schar von Pflegeheimbewohnern und nahm dem Bürgermeister selbstbestimmt die „Noten“ aus der Hand. Das ist ein guter Anlass, um die gesangliche und darstellerische Vielseitigkeit des Volksopernchores wieder einmal herauszustreichen: Sein Auftritt im Altersheim – obwohl eine inszenatorische Themenverfehlung – war köstlich und wurde unterhaltsam gespielt und gesungen.

Das Orchester unter Christof Prick verlieh Lortzings Musik reizvolles frühromantisches Flair, belebte den Handlungsfortgang aber nur bedingt. Vor allem den (über-)langen Ensembles fehlte es an Spritzigkeit. Überhaupt hätten ein paar Striche nicht geschadet: 3 ¼ Stunden Spieldauer (inklusive zweier Pausen) meinen es zwar gut mit Lortzing, aber nicht mit dem Publikum. Immerhin wirkte auch diesmal der Holzschuhtanz als „Belebungselexier“ und es gab sogar Bravorufe am Schluss.

(1) Heike Sauer: Traum – Wirklichkeit – Utopie. Das deutsche Musiktheater 1961-1971 als Spiegel politischer und gesellschaftlicher Aspekte seiner Zeit. Waxmann Verlag. Münster/New York 1994. (Seite 37)