DER WILDSCHÜTZ

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Volksoper
20. April 2013
Premiere

Musikalische Leitung: Alfred Eschwé

Regie: Dietrich W. Hilsdorf
Co-Regie: Ralf Budde
Bühnenbild: Dieter Richter
Kostüme: Renate Schmitzer

Graf von Eberbach - Daniel Ochoa
Die Gräfin - Alexandra Kloose
Baron Kronthal - Mirko Roschkowski
Baronin Freimann - Anja-Nina Bahrmann
Baculus - Lars Woldt
Gretchen - Elisabeth Schwarz
Pankratius - Gernot Kranner
Nanette - Christina Sidak
Alice - Claudia Goebl
Berta - Sera Gösch
Cäcilie - Manuela Leonhartsberger
Ein Hochzeitsgast - David Busch


Lortzing-Mogelpackung an der Volksoper

(Dominik Troger)

Albert Lortzings Opern zählen zu den Stiefkindern des Repertoires: Sie werden nicht wirklich geliebt, und wenn sie einmal aufgeführt werden, dann soll sie das Publikum zumindest für „klüger“ halten, als sie sind. Der neue „Wildschütz“ an der Volksoper ist ein gutes Beispiel dafür: Er sitzt drei sehr lange Stunden zwischen den Stühlen einer „Komischen Oper“ und eines „moralisierenden Zeitstücks“.

Nun schließt das eine das andere nicht zwingend aus. Lortzing war als politischer Mensch bekannt und natürlich ragt unter der biedermeierlichen Atmosphäre seiner Opern so manch zeitkritische Spitze hervor, die sich satirisch gegen das politische Establishment des Vormärz richtet. Und sechs Jahre nach der Uraufführung des „Wildschütz“ im Jahr 1842 gab es bekanntlich „großen Radau“. Lortzing hatte persönliche Kontakte in die „revolutionäre Szene“ und man darf ihn zumindest für so „politisch“ halten wie Richard Wagner.

Trotzdem wird man Lortzings Opern aus heutiger Sicht kaum als „revolutionär“ einstufen. Dazu ist das biedermeierliche Gewand, in das sie sich kleiden, viel zu präsent, siedelt Lortzings Kritik zu stark im historischen Zusammenhang seiner Zeit. Und wenn man diese Bezüge aktualisiert oder anschärft, dann geht darüber schnell die „Komische Oper“ verloren – so geschehen an diesem Premierenabend.

Man könnte jetzt natürlich darüber diskutieren, wie „tief“ beim „Wildschütz“ der „doppelte Boden“ der Satire wirklich ist, klingt doch schon die Pointe, auf die das ganze Stück hinausläuft, für heutige Ohren recht hausbacken: Der Schulmeister Baculus möchte dem Grafen einen Rehbock wildern und erschießt dabei seinen eigenen Esel. Im Publikum hat an diesem Premierenabend kaum wer gelacht, als der Graf diese Pointe im Finale sozusagen „Deus ex machina“ hervorzauberte. Regisseur Dietrich W. Hilsdorf dürfte diesen Umstand geahnt haben, denn auf der Bühne antwortete das versammelte Ensemble dieser Eröffnung des Grafen mit einem fast schon hysterischen Gelächter. Tönte das nicht eher abschreckend als animierend?

Wahrscheinlich war das die eigentliche Crux dieses Abends: die Lacher verteilten sich zu homöopathisch über die drei Stunden der Aufführung – und diese wurde zu einer „Geduldprobe“ (obwohl Lortzing nur eine „Opernprobe“ komponiert hat). Die schwungvolle Ouvertüre wurde erst gar nicht gespielt. (Die Ouvertüre zum „Wildschütz“ ist insofern wichtig, weil in ihr ein Schuss auf der Bühne vorgesehen ist. Es ist der Schuss mit dem der Schulmeister zum Wilderer an seinem Esel wird. Sie erzählt also die Vorgeschichte.) Aber die paar Minuten, die man dadurch eingespart hat, hätte man locker an anderen Stellen wieder „einarbeiten“ können: zum Beispiel bei den Dialogen und dem penetrant auf „dialekt-komisch“ getrimmten Haushofmeister Pankratius (Gernot Kranner), der mit Stock über die Bühne humpeln musste und möglicherweise das verbildlichte, was sich Hilsdorf unter alpenländischem Humor vorstellt.

Die verkrampfte Haltung gegenüber der „Komödie“ zieht sich in vielen Details wie ein roter Faden durch diese Produktion. Es beginnt schon damit, dass Hilsdorf Baculus und Gretchen zu einem verheirateten Paar erklärt. (Das Libretto spricht von Gretchen als „Braut“, wären sie bereits verheiratet, dann wäre sie seine „Gemahlin“, als solche wird die Gräfin bezeichnet!) Dementsprechend zeigt die Aufführung am Beginn nicht die Verlobungsfeier, sondern die Hochzeit. Auch die Inhaltsangabe im Programmheft ist in diesem Punkt angepasst worden!! Man könnte darin ein an und für sich unerhebliches Detail erblicken, aber für die Bewertung der Handlungsmotive ist es wichtig. Zum Beispiel macht es in der Szene, in der dem Baculus vom Baron 5.000 Taler angeboten werden, einen Unterschied, ob hier um eine Verlobte oder um eine Ehefrau „gespielt“ wird – wobei überhaupt zu prüfen wäre wie „ernst“ man diese Szene nehmen soll. Etwa: Stellt sie es darauf ab, Baculus lächerlich zu machen oder ist sie vor allem „moralisierend“ gemeint?!

Es ist überhaupt ein Kennzeichen dieser Produktion, dass Hilsdorf oberflächlich betrachtet wenig verändert. Aber schon der neue gewählte Untertitel „Ein unmoralisches Angebot“ zeigt die Stoßrichtung. Die Handlungszeit wurde nur um rund 40 Jahre vom Beginn des Jahrhunderts auf das Jahr der Uraufführung verlegt. Die Szene ist schön realistisch gebaut, die Sängerinnen mit 19.Jahrhundert-Kostümen ausstaffiert. Doch solche „Werktreue“ ist hier nur ein subtiles Täuschungsmanöver. Die Veränderungen stecken im Detail. Wenn der Gräfin in ihrer Sophokles-Rezitation plötzlich die Bourgeoisie unterkommt, dann ist das einer jener Momente unterschwelliger Politisierung, mit der Hilsdorf den Unterhaltungsaspekt kontaminiert, ohne dass es besonders originell wäre, weil es nicht den Zusammenhang passt. Genauso, ja fast schon lächerlich, gestaltet sich der Schluss, wenn plötzlich Flugblätter (der französische Staatsopern-„Don Carlos“ lässt grüßen) von den Rängen ins Publikum geworfen werden. Solcher Aktionismus mag dazu verhelfen, den Blick für den obgenannten „doppelten Boden“ zu schärfen (und sei er noch so flach), aber man muss schon um „drei Ecken denken“, damit man als Zuseher das noch irgendwie beim „Wildschütz“ unterbringt. Geht es im Theater heute wirklich nur noch darum, den Kommentar zu den Stücken zu inszenieren?!

In gewisser Weise ist dieser „Wildschütz“ also eine ausgesprochen gut gemachte Mogelpackung. Denn handwerklich kann man Hilsdorf nichts vorwerfen, und hätte man mehr Zeit darauf verwendet, den Singspielton und -schwung zu kultivieren und dem ganzen Abend eine brauchbare Länge von allerhöchstens (!!) zweieinhalb Stunden (mit Pause und Ouvertüre) verpasst, dann hätte es wirklich unterhaltsam werden können.

Leider scheint auch der musikalische Teil von dieser „verkrampften“ Sicht der Dinge angesteckt worden zu sein. Wie schon bei der „Verkauften Braut“ wurde der Bassbuffo zum zwielichtigen Charakter umgeformt. Lars Woldt hat ihn zwar ganz ausgezeichnet gespielt und gesungen, aber muss man als Publikum diesen Schulmeister bei aller Durchtriebenheit nicht auch mögen? Und das geht wohl nur, wenn man in der Figur den drolligen Kauz entdeckt, an dem sich seine „Unarten“ zur Komik relativieren. Wenn in dieser Inszenierung der Schulmeister schon im ersten Akt mit dem Rohrstaberl auf seine Ehefrau (!) losgeht (als Verlobte könnte sie ihm leichter den Laufpass geben), dann wirkt das gar nicht komisch, sondern schon sehr scharf gezeichnet. Ebenso wenn er sie im dritten Akt mit am Rücken gebundenen Händen (!) ins Schloss führt. Ähnlich, wenn ein Jäger des Grafen dem Schulmeister ein Magenstüberl reibt. Viel zu oft kam hier ein Realismus ins Spiel, den das Singspiel überhaupt nicht verträgt.

Erschwerend kommt hinzu, dass diese Oper vor allem von den Ensembles lebt. Das braucht Schwung, das braucht Stimmen, die mit generöser Leichtigkeit im Stande sind, gute Laune zu verbreiten. Lars Woldt ist eben doch mehr „Charakter“ als „Komiker“ oder gar „Volksschauspieler“. Den „Schmäh“ der hier nötigt wäre, fand ich bei ihm nicht, aber leider auch nicht bei den anderen Mitwirkenden.

Anja-Nina Bahrmann könnte man vielleicht ausnehmen, ihre Auftrittsnummer hätte „Pepp“, aber so richtig gezündet hat sie trotzdem nicht. Beide, Woldt (sehr prägnant die „5.000-Taler-Arie“, da gab es sogar Szenenapplaus) und Bahrmann, waren allerdings Säulen dieser Aufführung, und geizten weder mit Stimme noch mit Bühnenpräsenz. (Woldt ließ seinen Bass im ersten Akt dermaßen laut erschallen, dass alles neben ihm verblasste. Da hatte es Elisabeth Schwarz als Gretchen mit ihrem hübschen, aber nicht sehr durchsetzungsstarken Sopran schon schwer, neben ihm zu bestehen.)

Daniel Ochoa, als fescher Graf von Eberach, hätte ein wenig mehr an „Bariton-Balsam“ ganz gut getan. Zu dieser Figur fällt einem rasch der umtriebige Figaro-Graf ein: da Ponte hatte mit Beaumarchais die aus heutiger Sicht viel zwingendere Vorlage als Lortzing mit August von Kotzebue. Mirko Roschkowski steuerte einen zugkräftigen Baron Kronthal bei, mit Woldt und Bahrmann eine gesangliche Stütze des Abends. Alexandra Klooses Gräfin war zu seriös. Die Einleitung von Georg Richard Kruse zu einem alten Klavierauszug des „Wildschütz“ weiß Rat wie man die Gräfin zu spielen hätte: „Dem Pathos der griechischen Tragödie steht der leichte Konversationston des modernen Lustspiels sehr wirksam gegenüber.“ Daraus bezieht der Charakter seine Komik.

Das Volksopernorchester unter Alfred Eschwé hat für meinen Geschmack die Leichtigkeit des Genres zu wenig betont. Vielen Ensembles fehlte es an „Spritzigkeit". Aber die wollte ja ganz offensichtlich niemand an diesem Abend. Das Publikum taute am Schluss doch noch auf, zumindest gab es einiges an Bravorufen und viel Applaus für die Ausführenden. Das Regieteam wurde beklatscht, Bravorufe gab es hier nur wenige.

Fazit: Das Interesse an Lortzing hat sich schon an diesem Premierenabend in Grenzen gehalten. Die Galerie war vielleicht zur Hälfte gefüllt, eher weniger. Ob diese Produktion, die von Chemnitz über Bonn nach Wien tansferiert worden ist, das Interesse stark anfachen wird?

Eine kurze Anmerkung zur Statistik: Der „Wildschütz“ wurde an der Volksoper zuletzt 1986 gespielt. Die letzte Aufführung einer Lortzing-Oper („Zar und Zimmermann“) am Haus gab es 2004. Das Programmheft zur Aufführung enthält eine Statistik der Lortzing-Aufführungen am Haus, das ist sehr begrüßenswert.