GAIN EXTRA INCHES! DIE [SPAM] OPER
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Schauspielhaus
24.8.2010
Uraufführung

Idee, Komposition, Musik. Leitung:
Periklis Liakakis

Konzept, Libretto, künstl. Gesamtleitung:
Georg Steker
Regie: Annika Haller
Ausstattung: Daniela Juckel
Licht: Kathrin Kölsch
Klangregie: Florian Bogner

Eine Produktion von progetto semiserio

Waisenjunge, Krankenschwester, Geliebte u.v.a. -
Genoveva dos Santos

Spammer, Arzt, Rapper, Geliebter u.v.a -
Bartolo Musil

Slumdealer, Uhrenverkäuferin, Internetuserin u.v.a. -
Katrin Schurich


-> English Review

Amüsante Spam-Revue
(Dominik Troger)

Progetto semiserio sorgt mit „Gain extra inches! Die [SPAM]Oper“ im Wiener Schauspielhaus für eine schwungvolle Spam-Revue: Texte unerwünschter Werbemails wurden zu einer amüsanten, musikalischen Nummernfolge montiert.

Probenfotos unter http://operinwien.blogspot.com/2010/08/amusante-spam-revue.html
Operinwien.at auf Twitter: www.twitter.com/operinwien_at

Spam wird meist als Ärgernis empfunden. Die unerwünschten Werbemails mischen sich mit ihren billigen Versprechungen wahllos unter unsere private und geschäftliche E-Mail-Korrespondenz. Knapp 85 % der E-Mails weltweit sind Spam. Der Spamversand ist Teil einer kriminellen Schattenwirtschaft, die pro Jahr Milionen oder Milliarden an Dollar umsetzt. (So genau weiß das niemand.) Die offene Struktur des Internets macht es Spammern leicht – aber würden wir auf dieses hohe Maß an medialer Freiheit verzichten wollen?

Wenn man sich nicht dagegen wehren kann, so kann man sich zumindest darüber lustig machen – oder Spam als Zeitphänomen eines globalisierten, vernetzten Marktes begreifen, als Ausdruck einer „Weltkultur“, die von der Markenuhr bis zu den Schönheitsidealen die Wünsche und Sehnsüchte der Menschheit normiert.

Doch Spammails haben – aus künstlerischer Sicht – noch eine viel „verlockendere“ Komponente: Durch die in vielen Variationen vorliegenden, banalen Geschichten, die sie erzählen, durch die Begierden und Emotionen, die sie in ihren Empfängern wachrufen, durch ihre schlechten, Sprachkritik evozierenden Übersetzungen, in denen sie vorliegen, wirken sie wie verfremdende Textinseln einer neuen konkreten Poesie, die für Theatermacher und Komponisten nur reizvoll sein kann. Früher hat man Gedichte vertont, heute Spammails – was ist „Zeitgenössischer“?

Rund 80 % des Librettos von „Gain extra inches! Die [SPAM]Oper“ soll laut Programmheft aus Texten von gespammten E-Mails bestehen. Das Publikum begegnet afrikanischen Bettelbriefen und gefälschten Markenuhren ebenso wie v**gragetriebenen sexuellen Träumen und einem Wundermittel für die Gewichtsreduktion. Gleich zu Beginn stellt sich ein „Spammer“ vor und gewährt ein paar flüchtige Einblicke in sein Erdendasein. Was folgt, ist aber keine „Handlung“ im eigentlichen Sinne, sondern eine ungezwungene „Abhandlung“ über verschiedene Arten von Spam, gegliedert nach mit Weblinks betitelten Musiknummern. Konsequenterweise macht http://www.finale.com den Schluss.

Der griechisch-österreichische Komponist Periklis Liakakis hat ein Vier-Mann-Orchester (Saxophon, Akkordeon, Kontrabass, Elektronik-Theremin) mit Einspielungen vom Band „verstärkt“, um die Spams in Noten zu setzen. Der „Sound“ ist nicht gerade „opernhaft“, oft rhythmisch betont, dem Stil nach am ehesten der minimalistischen Pragmatik moderner Komponisten aus dem anglikanischen Sprachraum verschrieben.

Liakakis geht mit den Vorlagen recht frei und spielerisch um – und hat sogar einen Spammer-Rap eingeflochten, bei dem dann die Tonanlage loslegt. Das Publikum hört im Laufe des Abends zum Beispiel hallende Tonflächen durch die ein paar Gitarrenzupfer tasten wie User durch Spammail-Listen oder verfremdetes, sich in einem räumlichen Nirwana auflösendes Lustgestöhn, das die potenzmittelgestärkte Selbstbestätigung männlichen Egos „ironisch-dezent“ untermalt. Schwungvolle Rhythmik prägt ein Terzett, die Klage einer Mutter, die um das Geld für die Operation ihres Kindes bettelt, wird zum rührenden „Lamento“. Derart rundete sich der Abend zu abwechslungsreichen fünfviertel Stunden, die in kurzweiliger Nummernfolge zwischen Revue, Kabarett, Musical und ein bisschen Oper wechseln.

Die Inszenierung von Annika Haller hat das Thema szenisch ebenso ungezwungen aufgelöst – eine wandelbare Requisitenwelt aus Pappkartons wurde auf der kleinen Bühne errichtet und plastisch ausgeleuchtet. Bis zum Finale verwandelten sich die Kartons sogar in kleine, mannshohe Wolkenkratzer: ein rudimentäres Manhattan im Wiener Schauspielhaus. Slapstick und Theaterpose hinterfragten (selbst-)ironisch die Texte und boten zur Musik eine passende Ergänzung. Die insgesamt elf Musiknummern zeigten sich derart konsequent durchchoreographiert.

Vielleicht hätte man sich am Schluss doch noch den großen „Aha“-Effekt oder insgesamt eine drängendere, sozialkritische Ernsthaftigkeit gewünscht. Kurze gesprochene Zwischentexte, die einige Basisinformationen zum Phänomen „Spam“ beisteuerten, hatten durchaus einen „aufklärerischen“ Charakter.

Konsequent und kompetent zeigten sich die Solisten: Genoveva dos Santos, Bartolo Musil und Katrin Schurich sorgten für die gesangliche beziehungsweise sprechschauspielerische Umsetzung. Genoveva dos Santos hat mit ihrem jungen, klangschönen Sopran bei Stimmliebhabern sicher gleich ein paar Fans gefunden. Bartolo Musil steuerte seinen schlanken, eloquenten Bariton bei. Katrin Schurich durfte sich u.a. als Anpreiserin von gefälschten Markenuhren „in Rage“ sprechen.

Das Publikum der Uraufführung schien sehr zufrieden und spendete animierten Schlussapplaus. Weitere Vorstellungen gibt es noch am 26., 28., und 31. August.