ZAZÀ
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Theater an der Wien
16. September 2020
Premiere

Dirigent: Stefan Soltész

Inszenierung: Christof Loy
Bühne: Raimund Orfeo Voigt
Kostüme: Herbert Barz-Murauer
Choreografie: Thomas Wilhelm
Licht: Reinhard Traub


ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Zazà - Svetlana Aksenova
Anaide, ihre Mutter - Enkelejda Shkosa
Floriana, Varietésängerin - Dorothea Herbert
Natalia, Zazàs Freundin - Juliette Mars
Milio Dufresne - Nikolai Schukoff
Madame Dufresne, seine Frau - Dorothea Herbert
Totò Dufresne, ihre Tochter - Vittoria Antonuzzo
Cascart, Varietésänger - Christopher Maltman
Bussy, Journalist - Tobias Greenhalgh
Courtois, Theaterdirektor - Paul Schweinester
Duclou, Inspizient - Ivan Zinoviev
Augusto, Hilfsinspizient - Johannes Bamberger
Ein Herr - Patrick Maria Kühn
Claretta, Tänzerin - Ena Topcibasic
Simona, Tänzerin - Liliya Namisnyk
Marco, Concierge bei Dufresne - Johannes Bamberger
Zwei spanische Tänzer - Anna Possarnig / Elias Morales
Zwei Clowns - Beatriz Delgardo Flores / Elvis Grezda
Zwei Artisten - Carina Nopp / Diego Federico
Ankleiderin - Lilo Besold
Feuerwehrmann - Fabio Coutinho


„Gelungene Wiederbelebung“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien sorgte mit „Zazà“ von Ruggero Leoncavallo für einen sehenswerten Start in die neue Saison. Die unglückliche Liebesbeziehung zwischen einer Varietésängerin und einem gutbürgerlichen Ehemann sorgte für zwei spannende, pausenlose Stunden.

Leoncavallo hat sich mit dem „Bajazzo“ in den Annalen der Opernhistorie verewigt, seine anderen Bühnenwerke sind heute längst im Raritätenkabinett abgelegt. Seine „Bohème“ hatte in der Publikumsgunst keine Chance gegen Puccinis Vertonung des Stoffes; „Zazà“, mit großem Erfolg im Jahr 1900 uraufgeführt, hielt sich einige Zeit lang als „Primadonnenoper“ und geriet spätestens nach dem zweiten Weltkrieg in Vergessenheit. Viele weitere Werke aus seiner Feder sind nur mehr dem Namen nach bekannt.

Leoncavallos Fassung von „La bohème“ hat man vor 18 Jahren im Theater an der Wien im Rahmen des Klangbogen Festivals kennenlernen können – und verstanden, warum Puccinis Oper so beliebt ist. Mit „Zazà“ verhält sich die Sache anders. Interessanter Weise äußert sich Ulrich Schreiber in seinem ultimativen „Opernführer für Fortgeschrittene“ ziemlich skeptisch über dieses Werk. Er nennt die Handlung einen „Aufguss der Sozialproblematik von Verdis La Traviata“ (Band 3/1, 4. Auflage, 2010, S. 200). Schreiber übersieht dabei einen wichtigen Punkt: Die Problematik wird nicht wie bei Verdi durch den Tod des Soprans gelöst, sondern Leoncavallo entlarvt die bürgerliche Doppelmoral in einem schmerzhaften Prozess, der Zazàs Liebhaber in einem geradezu emanzipatorischen Akt auf offener Bühne demaskiert.

Kern der Handlung ist eine Dreiecksgeschichte: Die aus zerrütteten Verhältnissen stammende Zazà steht zwischen ihrem Künstlerpartner Cascart, dem sie ihre Karriere verdankt und zu dem sich eine Liebesbeziehung entwickelt hat, und Milio Dufresne, einem Pariser Geschäftsmann. An der Seite von Milio träumt Zazà vom bürgerlichen Glück als Ehefrau, muss aber erfahren, dass er schon verheiratet ist. Sie reist nach Paris, sucht Milios Wohnung auf, trifft dort auf seine Tochter Totò, die ihr in einer berührenden Szene die Augen öffnet. Beim nächsten Rendezvous täuscht Zazà Milio vor, seine Frau über seinen Ehebruch informiert zu haben. Milio gerät darüber aus der Fassung und beginnt Zazà zu beschimpfen. Zazà erkennt, dass er sein familiäres Glück niemals für sie aufgeben würde. Die Pointe liegt darin, dass Zazà ihm zuletzt eingesteht, ihn angelogen zu haben – und dann jagt sie den beschämten Liebhaber davon. Bleibt ihr jetzt nur mehr die Künstlerschaft?

Die Handlung ermöglichte es Leoncavallo musikalisch aus einem sehr breit angelegten Repertoire zu schöpfen: der erste Akt spielt auf der Hinterbühne eines Varieté-Theaters; Künstler treten auf; eine Vorstellung läuft parallel zur Opernhandlung ab; Zazà verpasst im ersten Liebestaumel mit Milio sogar ihren Auftritt. Leoncavallo hat im ersten Akt musikalisch sehr reichhaltig gearbeitet, eine explosive Mischung aus Oper, Chanson, Operette, Tanzmusik u.a.m. gemixt, bis zum verkomponierten Öffnen von Zazàs-Kleid. Im zweiten Akt wird ein bisschen der Liebe gefrönt, ehe Cascart mit dem Ergebnis seiner Nachforschungen Zazà schockiert.

Der dritte Akt atmet zum Teil Massenet’sche Sensibilität. Die Begegnung von Zazà mit Totó, der Tochter Milios, entwickelt sich zu einer melodramähnlichen, herzergreifenden Szene. (Das Kind hat eine Sprechrolle.) Zazà erinnert sich an ihre schwierige Kindheit und in ihr reift der Gedanke des Verzichtes. Im vierten Akt, der finalen Auseinandersetzung zwischen Zazà und Milio, regiert expressiver Verismo. Die Oper ist relativ kleinteilig durchkomponiert, reich instrumentiert, es gibt einige längere ariose Passagen in denen die Protagonisten ihre Emotionen und Sehnsüchte äußern dürfen. Es fällt aber schwer diese Musiknummern „auszukoppeln“ und ihnen das konzertante Eigenleben herkömmlicher Arien zu verschaffen. Ein Beispiel für solche Versuche ist die „Arie“ des Cascart im vierten Akt: „Zazà, piccola zingara“. Dieser Umstand dürfte die Erfolgsmöglichkeiten der Oper auch begrenzt haben.

Im Programmheft erfährt man, dass es insgesamt drei Fassungen der Oper gibt, wobei sich die Produktion im Theater an der Wien auf eine von Leoncavallo kurz vor seinem Tod redigierte zweite Fassung stützt. In diese wurden für die Aufführung im Theater an der Wien Teile der ersten Fassung eingearbeitet. (Die dritte Fassung wurde erst nach dem Tod des Komponisten erstellt.) Das Ergebnis hinterließ einen homogenen Eindruck, Regie und Musik zogen diesmal wirklich am selben Strang: Stefan Soltész am Pult hat mit dem ORF Radio Symphonieorchester Wien für eine differenzierte, flott auf die Höhepunkte berechnete Wiedergabe gesorgt. Christof Loy hat das Stück mit der ihm eigenen psychologisch unterfütterten „Ästhetik“ und mit sehr guter Personenführung inszeniert. Die Handlung wurde in die 1950er.Jahre verlegt, die historische Distanz blieb gewahrt. Eine geschickt gebaute Drehbühnenlösung (Bühne: Raimund Orfeo Voigt) erlaubte rasche Szenenwechsel. Bei den Kostümen (Herbert Barz-Murauer) schimmerte durchaus Ironie durch – Natalia, Zazàs Freundin und Zofe, wurde als „graue Maus“ charakterisiert. Die Wohnung von Milio ist auch etwas karg ausgefallen, in der Optik wurde mehr auf „Understatement“ gesetzt.

Gesanglich bot der Abend keine per se „schönen“ Stimmen, aber eine überzeugende Ensembleleistung, wobei Christopher Maltman mit seinem haussprengenden Bariton in einer eigenen Liga spielte und als Varietésänger gleichsam den Rigoletto auspackte. Svetlana Aksenova befand sich als Zazà fast die ganze Zeit auf der Bühne, erwies sich im Spiel als ausdrucksstarke Sängerin. Ihr etwas sehniger Sopran passte gut zur emotionalen Hochschaubahn des gezeigten Bühnencharakters. Nikolai Schukoff gab den von Zazà begehrten und letztlich entlarvten Liebhaber mit einem mehr zweckmäßigen als „edlen“ Tenor. Mit Ironie zeichnete Enkelejda Shkosa Zazàs auch dem Alkohol nicht abgeneigte Mutter, Julietta Mars überzeugte als verhärmt gezeichnete Natalie. Das Publikum spendete starken Applaus für diese gelungene Ausgrabung.

Direktor Roland Geyer bedankte sich am Beginn der Vorstellung beim Publikum, weil es sich trotz COVID-19 ins Theater an der Wien gewagt hat. Das Platzanzahl war reduziert worden. Je nach Rang musste man einen anderen Eingang wählen und durfte im Haus nur über die vorgegebenen und farblich gekennzeichneten Wege zu seinem Sitzplatz eilen. Dass der Abend pausenlos über die Bühne ging, ist in Anbetracht der doch engen Gänge und Foyers kein Fehler. Es wurde gebeten, den Mund-Nasen-Schutz auch während der Vorstellung zu tragen. Die ganz vorsichtigen Besucher (es werden immer mehr) trugen FFP2-Masken. Bei den steigenden Infektionszahlen ist das sicher keine schlechte Idee.