DER BAJAZZO
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Leoncavallo-Portal Henze-Portal

Volksoper
31.3.2012
Premiere

Dirigent Wundertheater: Gerrit Prießnitz
Dirigent Bajazzo: Enrico Dovico


Regie & Bühnenbild: Thomas Schulte-Michels
Kostüme: Tanja Liebermann
Choreographie: Teresa Rotemberg

Aufführung in deutscher Sprache.

Das Wundertheater

Chanfalla, Wundertheaterdirektor - Jörg Schneider
Chirinos, seine Gefährtin - Martina Dorak
Der Knirps - Karl-Michael Ebner
Der Gobernadór - Alexander Trauner
Benito Repollo, Alcalde - Martin Winkler
Teresa, seine Tochter - Elisabeth Schwarz
Repollo - Patrick Lammer
Juan Castrado, Regidor - Klemens Sander
Juana Castrada, seine Tochter - Andrea Bogner
Pedro Capacho, Schreiber - Christian Drescher
Ein Fourier - Nicolaus Hagg

Der Bajazzo

Canio (Bajazzo) - Ray M. Wade Jr.
Nedda (Colombina) - Melba Ramos
Tonio (Taddeo) - Morten Frank Larsen
Beppo (Harlekin) - JunHo You
Silvio - Mathias Hausmann
Erster Bauer - Hubertus Reim
Zweiter Bauer - Joachim Moser


„Kein Theater-Wunder“
(Dominik Troger)

An der Volksoper hat man die frühe Henze-Oper „Das Wundertheater“ mit Leoncavallos „Bajazzo“ zusammengespannt. Beide Stücke handeln in gewisser Weise vom Theater, beide Stücke enden „gewalttätig“ – und trotzdem wirkte diese Kombination etwas mutwillig.

„Das Wundertheater“ erzählt die Geschichte vom Theaterdirektor Chanfalla, der durch Spanien tourt. Er wird von seiner Gefährtin Chirinos begleitet, und von einem Musiker, den er ziemlich schlecht behandelt. Schauspieler und Kulissen benötigt das Theater des Chanfalla nicht, weil er vor den Vorstellungen behauptet, dass das gespielte Stück ohnehin nur sehen könne, wer vom Publikum in christlicher Ehe gezeugt worden sei und keinen Tropfen nichtchristlichen Blutes besitze. Der Auftritt Samsons, der rasende Stier, die Mäuseplage, der Tanz der Herodias werden von Chanfalla und Chirinos blumig angekündigt, das Publikum, in dem sich niemand als Heide oder Bastard entlarven lassen möchte, tut so, als wäre es entzückt, geängstigt oder belustigt. Schließlich taucht ein Fourier auf, der den Dorfbewohnern die Einquartierung von 30 Reitern anbefiehlt. Die Dorfbewohner sind darüber nicht erfreut und halten den Soldaten zuerst für eine weitere Attraktion des „Wundertheaters“. Der Dorfrichter ordnet schließlich an, Herodias möge nochmals tanzen, damit auch der Fremde diese wunderbare Darbietung genießen könne. Der Soldat, der die Spielregeln nicht kennt, gibt zu verstehen, dass er niemanden sehen könne, und wird vom Publikum als Bastard „entlarvt“ und verprügelt.

Dieses Spiel mit Sein und Schein, das Opportunismus und Massenzwang unter eine nicht besonders scharf geschliffene Lupe legt, hat Hans Werner Henze bei Miguel de Cervantes aufgestöbert (um 1605 entstanden) und 1949 vertont. 1964/65 arbeitete Henze die für Schauspieler komponierte erste Fassung für Sänger um. Die kritisch-satirische Speerspitze des Werkes ist natürlich unverkennbar, wird aber vom Libretto nur knapp und mehr modellartig ausgeführt – das Stück dauert keine dreiviertel Stunde, in der der Theaterdirektor und seine Gefährtin „varietéartig“ und wie Puppenspieler die Menge an der Nase herumführen. Vom Grundcharakter ist das „Wundertheater“ Igor Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ ähnlich, Henze benötigt für seine dreiviertel Stunde allerdings deutlich mehr Bühnenpersonal. Stilistisch fühlte man sich manchmal auch an eine stark abgespeckte „Lulu“ erinnert. 12-Ton-Technik, Neoklassizismus, Richard Strauss, ein bisschen Jazz mischen sich zusammen, ohne dabei das Primat über das dominierende deklamatorisch eingesetzte Wort anzustreben.

Thomas Schulte-Michels, für Regie und Bühnenbild verantwortlich, abstrahierte die Geschichte von ihrem spanischen Kontext, stellte dem mit zirkushaften Zügen ausgestatteten Theaterdirektor, weiß gekleidete mit seltsamen Haarschopffrisuren ausgestattete Zuschauer gegenüber, die in einem mit rotem Stoff wallend ausgekleideten Logentheater die „phantasievollen“ Darbietungen „erlebten“. Die Spiegelung des Zuschauerraums auf der Bühne war in diesem Fall durchaus sinnvoll, weil Schulte-Michels die „gespielten“ Reaktionen der Sänger auf die gar nicht wirklich stattfindenden „Attraktionen“ des Theaterdirektors plastisch herausgearbeitet hat. So sah man zwar keinen „Stier“, aber die „Angst vor dem Stier“ und so weiter. Dass sich der die Einquartierung ankündigende „Fourier“ als ganz authentisch gekleideter Wiener Polizist des Jahres 2012 entpuppte, hat die Illusion aber zu deutlich gebrochen.

Jörg Schneider brachte das boshaft-demagogische Spiel des Theaterdirektors darstellerisch und gesanglich souverän auf den Punkt. Für die übrigen zehn Mitwirkenden blieben bei knappen 45 Minuten Spieldauer nicht so viele Möglichkeiten um zu glänzen, sie erbrachten aber eine sehr gute Ensembleleistung. Das Orchester präsentierte unter Gerrit Prießnitz die Partitur reizvoll, parodistisch und sehr gut „ausgeleuchtet". Die Stück selbst hat mich allerdings nicht überzeugt. Im Vergleich zu Henzes weiterem Opernschaffen wirkt das „Wundertheater“ wie eine nette, in ihrer Bühnenwirksamkeit recht harmlose „Fingerübung“.

Weniger zufriedenstellend gelang der „Bajazzo“. Als sich nach dem Prolog der Vorhang hob und sich das Logentheater des ersten Teils seiner Stoffbahnen ledig als gespiegelter Teil des Auditoriums der Volksoper (!) entpuppte (aber mit mehr Logen als im Original), war szenisch die Sache schon gelaufen. So schön ist der Publikumsraum der Volksoper nicht, dass man ihn auch noch als Kulisse sehen muss. Zwar hat Thomas Schulte-Michels die Schauspielhandlung dann in Commedia dell’Arte-Kostümen an der Rampe spielen lassen, aber durch die knapp dahinter aufgebaute Logenwand verlor sich jeglicher Reiz. Die grauen Arbeitskleider der „Dorfbewohner“, die hier offenbar die Angestellten der Volksoper mimten, verströmten zudem das Flair eines maoistischen Parteitags, der seinen Jahreskongress abhält.

Die musikalische Ausbeute des „Bajazzo“ blieb zwiespältig. Morten Frank Larsen als Tonio hatte keine guten Tag und kämpfte sich durch die Partie. Melba Ramos sang ein solide Nedda, musste aber punktuell für meinen Geschmack schon zu stark forcieren und blieb im Spiel zu bodenständig. Canio, Ray M. Wade Jr., musste da und dort ebenfall recht kräftig auf seinen eher hell gefärbten Tenor drücken. Sehr gut reüssierte Mathias Hausmann (Silvio), der für mich zusammen mit JunHo You als Beppo den besten Eindruck hinterließ. Das Orchester unter Enrico Dovico klang eine Spur zu „abgesoftet“. Die ländliche Stimmung des Stücks, die den Handlungsrahmen setzt, und die sich aufschaukelnde Gewalttätigkeit kamen musikalisch und szenisch kaum zur Geltung. Es wurde in deutscher Sprache gesungen (aber nicht durchgehend, die Schlussworte Canios „La commedia è finita!“ wurden belassen!).

Es gab einige Buhrufe gegen die Regie und gegen Morten Frank Larsen (ein oder zwei schon nach dem Prolog). Der Zustimmungsjubel hielt sich in Grenzen, war aber deutlich stärker als das rasch abflauende Missfallen.

Fazit: Das „Wundertheater" gelang in der musikalischen und szenischen Umsetzung sehr gut, ist als Stück aber zu wenig griffig. Der „Bajazzo“ bietet in Zukunft zumindest den Reiz wechselnder Besetzungen in einer wenig gelungenen, aber erträglichen szenischen Umsetzung. Da hat man sich an der Volksoper beim „Wildern" im Kernrepertoire schon gröbere „Schnitzer" geleistet (siehe „Rigoletto").