KEHRAUS UM ST.STEPHAN

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Volksoper
24.1.2009
Premiere

Dirigent: Gerrit Prießnitz

Regie - Michael Scheidl
Szenische Einstudierung - Rudolf Klaban
Ausstattung - Nora Scheidl
Licht - Markus Holdermann
Choreinstudierung - Michael Tomaschek

Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen

Othmar Brandstetter, Rittmeister - Roman Sadnik
Sebastian Kundrather, Weinbauer - Albert Pesendorfer
Ferdinand, sein Sohn - Christian Drescher
Maria, seine Tochter - Simona Eisinger
Alfred Koppreiter - Sebastian Holecek
Moritz Fekete, Schwoistaler, Erich Atma Rosenbusch - Michael Kraus
Emmerich v. Kereszthely - Wolfgang Gratschmaier
Elisabeth Torregiani - Elisabeth Flechl
Nora Rittinghaus - Elisabeth Wolfbauer
Herr Kabulke - Lars Woldt
Oberwachmann Sachsl - Gerhard Ernst
Pepi - Edgard Loibl


„Typisch österreichisch?“
(Dominik Troger)

Im Rahmen einer Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen fand Ernst Kreneks „Kehraus um St. Stephan“ den Weg an die Wiener Volksoper – und dort ist das Werk gut aufgehoben. Kreneks musikalische Satire entdeckt das Idyll im Kleinen und zweifelt doch daran: typisch österreichisch?

Am 13. November 1918 möchte Rittmeister Othmar Brandstetter Selbstmord begehen. Er sucht sich einen passenden Baum im Wienerwald und hängt sich auf. Der Weinbauer Sebastian Kundrather findet Brandstetter und kann ihn retten. Mit dieser ersten Szene hat die Geschichte einen guten Anfang – und alles weitere, inklusive unglücklich-glücklicher Liebesbeziehung, ergibt sich fast von selbst.

Krenek hat sich ein Libretto geschrieben, das mit dem Volksstück kokettiert, an Ödön von Horvath erinnert, ein bisschen an Nestroy, ein wenig an andere kolportageartige Opernlibretti der Zwischenkriegszeit. Krenek hat dazu eine Musik komponiert, die vielfältig zwischen unterschiedlichen Stilebenen wechselt, die sowohl von den Strauss’schen Höhenflügen liebesseliger Streicher weiß als auch vom banalen Wortwitz des Schlagers profitiert – die Wiener Schrammelmusik und operettenhafte Allüren nicht zu vergessen. In den besten Momenten freilich klingt Krenek wirklich wie „Krenek“ – und dann stellt sich jene melancholisch-musikalische Poesie ein, die schon sein „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ durchzieht (1929, ein Jahr vor dem „Kehraus“ komponiert).

Im Gegensatz zu „Jonny spielt auf“ (1927 uraufgeführt), musste der „Kehraus“ wegen der gespannten politischen Situation in Deutschland (Leipzig war als Erstaufführungsstätte geplant) bis ins Jahr 1990 (!) auf seine Uraufführung warten (im Wiener Ronacher) – um danach für bald zwanzig Jahre wieder von den hiesigen Spielplänen zu verschwinden. Dabei wirkt der „Kehraus“ – im Gegensatz zu „Jonny spielt auf“ – viel zeitloser. Die Charaktere sind gut entwickelt und lebensnah, die Handlung ist dramaturgisch konsistent, die Musik lässt dem Wort viel Raum und ist gut zu den einzelnen Szenen „abgemischt“, ein wenige collageartig, aber pointiert. So erweist sich der „Kehraus“ bei näherer Betrachtung als innovative Symbiose aus Oper, Operette, dem epischen Musiktheater eines Kurt Weill und der Gesangestradition des Wiener Volksstücks (etwa wenn er im grotesken Schluss des ersten Teils das Couplet in den Schlager transformiert „Warum steht dem Kakadu, Kakadu, Kakadu, gar so gut der Damenhut ...“ etc.)

Die Inszenierung von Michael Scheidl hat Text, Musik und Personen gut im Fokus und ermöglicht einen raschen Wechsel der insgesamt 19 Szenen. Heurigentische sind ebenso schnell aufgestellt wie sich eine Säule mit Muttergottes als überdimensionales Wegmaterl oder als Altar im Stephansdom „einsetzen“ lässt. Eine pantomimisch gestalteter Tod, der schon anfangs beim Rittmeister am „Galgen“ hockt, mischt sich hin und wieder in die Szene – angeblich haben die Wiener ja ein Naheverhältnis zu diesem Kerl. Außerdem gibt es auf der Bühne auch zwei Tote: einen „wirklichen“ Selbstmörder und einen von Fabriksarbeitern erschlagenen Aufdeckungsjournalisten.

Was die Inszenierung verabsäumt, ist das Vermitteln der subtilen Wiener Stimmungen, die Krenek im Textbuch (dankenswerter Weise im Programmheft abgedruckt!!) deutlich macht, die auch luzide in der Musik immer wieder angesprochen werden – und die meiner Meinung nach ganz wichtig für die Aussage des Werkes sind. Es handelt sich dabei vor allem um den Blick über die Stadt von den nord- und westwärts sich hinziehenden Weinbergen und Wienerwaldhügeln herab: links das Band der Donau und rechts der Schneeberg an klaren Tagen, mittendrin der Stephansdom, dessen goldene Turmspitze am Schluss laut Textbuch blendend heraufglänzt.

In der 5. Szene des ersten Aktes heißt es beispielsweise „Ausblick auf Wien, etwa vom Kobenzl oder Nußberg ...“, es ist jene Szene in der der Rittmeister sein persönliches Bekenntnis zu seinem „Österreichertum“ kundtut, beim Heurigen des Sebastian Kundrather, der ihm später seinen Weinberg schenken wird. Der Rittmeister argumentiert als Weltbürger, als „Erbe vieler Völker“, der diese Erbschaft in dieser Wiener Stadt noch immer erhalten findet, als „Abglanz von allen Farben, die einst leuchtend hineinfielen: Orient und Okzident, und der blaue Süden, wo das Leben leicht ist ... und darum will ich hier sein.“ Krenek grenzt dieses landschaftlich und emotional stark verortete „Österreichische“ deutlich von einem „Deutschen“ ab, das in der boshaft karikierten Figur des reichen Industriellen Kabulke keine schmeichelhafte Erwähnung findet. Er setzt auf ein „Small is beautiful“, das von ihm am Schluss noch einmal deutlich hervorgehoben wird: „Drum: im nächsten Kreis wirken, in begrenzteren Bezirken, heiter, friedlich, tätig walten, das soll unser Zukunft sein.“

Es überrascht nicht, dass Krenek mit dieser Entideologisierung – man könnte fast von einem Biedermeieridyll sprechen – bei seinen verpolitisierten Zeitgenossen keine Lobby fand. Des Rittmeisters „Heute muß jeder selbst anfangen, Mensch zu sein.“ klingt freilich geradezu naiv, angesichts der heraufziehenden weltpolitischen Ungewitter (1930 – und heute nicht minder). Doch der Schluss liegt nahe, dass Krenek die Satire nicht um ihrer selbst willen gebraucht, sondern dass er auf der Suche nach einem gangbaren Lebensweg ist, der sich aber, so wie die Maxime „Es ist Krieg und keiner geht hin“, zwangsläufig als Utopie erweisen muss. Fazit: Wer im „Kehraus“ nur die Satire sieht, drängt auf den optimalen Gewinn wie Kabulke, Kreneks Hoffnungen liegen aber beim be- und versonnenen Rittmeister, der aus dem Bekenntnis zu dieser wunderbaren Landschaft sein Österreichertum und seine Moral schöpft.

Das Ensemble der Volksoper schien sich beim „Kehraus“ wohl zu fühlen, vor allem Albert Pesendorfer als Heurigenwirt, Sebastian Holecek als Alfred Koppreiter und Lars Woldt als Kabulke sorgten auch stimmlich und wortdeutlich für eine spannende Umsetzung. Roman Sadnik (mit Hausdebüt) spielte überzeugend den etwas weichherzigen Rittmeister, allerdings mit einem in der Höhe nicht immer ganz strapazierfähigen Tenor. Elisabeth Flechl (Elisabeth) sang passend eine melancholische, etwas angejahrte Gräfin, Simona Eisinger eine flotte Maria – sie war kurzfristig und mit Hausdebüt für die erkrankte Andrea Bogner eingesprungen. Christian Drescher traf die Figur des windigen Ferdinands, der bei allen politischen Parteien zu Hause ist. Michael Kraus gab den schmierig-bösartigen Schwoistaler alias Fekete alias Rosenbusch, Wolfgang Gratschmeier konnte als Emmerich von Kereszthely mit ungarischer Note punkten. Oberwachmann Sachsl, Gerhard Ernst, war in vier kurzen, aber sehr typischen Szenen der „Running Gag“ der Aufführung. Das Volksopernorchester unter Gerrit Prießnitz sorgte konzentriert und wohlstudiert für die musikalische Begleitung.

Der Abend hätte sich mehr Besucher verdient – die hoffentlich jetzt alle die Folgevorstellungen besuchen werden. Die Aufführung war ein unumstrittener Erfolg.