JONNY SPIELT AUF

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Wiener Staatsoper
16.12.2002
Premiere

Dirigent: Seiji Ozawa

Inszenierung: Günter Krämer
Bühnenbild: Andreas Reinhardt
Kostüme: Falk Bauer
Choreinstudierung: Ernst Dunshirn

Der Komponist Max - Torsten Kerl
Die Sängerin Anita - Nancy Gustafson
Der Neger Jonny, Jazzbandgeiger - Bo Skovhus
Der Violinvirtuose Daniello - Peter Weber
Das Stubenmädchen Yvonne - Ildiko Raimondi
Der Manager - Wolfgang Bankl
Der Hoteldirektor - John Dickie

Ein Bahnangestellter - Konrad Huber
Erster Polizist - Benedikt Kobel
Zweiter Polizist - Marcus Pelz
Dritter Polizist - Peter Köves


Bye, bye Jonny
(Dominik Troger)

Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ hat Ende der 20er Jahre die Gemüter erhitzt. Eine Erhitzung, die wirklich nur mehr aus der historischen Perspektive erklärt werden kann. Fazit: einer der langweiligsten Opernabende seit langem.

Wen regt es heutzutage noch auf, wenn im Orchester ein Telefon klingelt, wenn sich hin und wieder zahme Jazzrhythmen und -tänze durch die Oper wiegen, wenn auf der Bühne die Hauptdarstellerin einen hotelumgebungsbedingten One-Night-Stand mit einem Geigenvirtuosen hat? Und das mit der „Jazzoper“ ist sowieso falsch etikettiert: Wäre der „Jonny" nur eine Jazzoper, dann würde sich wenigstens was tun – im Orchester und auf der Bühne. Aber leider ist „Jonny spielt auf“ ein verkapptes Künstlerdrama, in dessen Mittelpunkt der schaffensgebremste Komponist Max steht, der auf Gletschern herumirrt, suizidgefährdet ist, und der einen als Zuhörer eigentlich überhaupt nichts angeht. Maxens Sehnsüchte und wehleidige Paraphrasen klingen 75 Jahre später unglaublich abgedroschen und leider nicht einmal ironisch.

Nun wollte Krenek mit dem „Jonny“ aber auch einem ausgebrannten abendländischen Künstlertum mittels amerikanophiler jazziger Musik eine Blutaufrischung verpassen. Aber das Volumen dieser musikalischen Blutkonserve ist für heutige Bedürfnisse so gering bemessen, dass man als Zuseher ob der musikalischen und dramaturgischen Dürftigkeit des Ganzen nur mehr verwundert sein kann. Für Krenek selbst war dieses Werk ein wichtiger Meilenstein in seiner Karriere, weil ihm der dadurch ausgelöste Skandal und die dadurch provozierten Aufführungen zu Einkommen und Renommee verhalfen. Aber dieser biographische Meilenstein darf einen nicht dazu verleiten, in diesem Werk auch einen „künstlerischen“ Meilenstein zu sehen. In Anbetracht des vorliegenden Gesamtwerkes Kreneks wirkt der „Jonny“ ziemlich blass und marginal.

Wirklich spannend ist die Frage nach der Rezeption des „Jonny“ in den späten 1920er Jahren. Die damalige kulturpolitische Situation hat dem Werk zu einem Erfolg verholfen, den man nur mehr in diesem historischen Kontext nachvollziehen kann. Ich kann es mir nur so erklären, dass durch Aufbauschen in den Massenmedien und politische Agitation dieser Jonny-Skandal zum Selbstläufer geworden ist - sozusagen zur „Mode". Der schwarze, urwüchsige und lebenstüchtige Jazz-Geiger Jonny, den Krenek dem lauwarmen Komponisten Max gegenübergestellt hat, wurde zur Ikone einer neutönerischen, traditionszersetzenden Musikkultur stilisiert - und welcher Operndirektor möchte nicht rasch ein Skandalstück zur Hand haben, um damit seine Kasse aufzufüllen? Und das Publikum mag dem ganzen gehuldigt haben, so wie man einem Kriminalroman huldigt: gierig auf die Gänsehaut, hier erzeugt durch das Brechen so mancher „Operntabus". Das Resultat war jedenfalls eine völlig Fehleinschätzung des Werkes, das zur eifrig befehdeten „Jazzoper" mutierte.

Die Inszenierung scheiterte weitestgehend daran, Leben in die Sache zu bringen. Günter Krämer lässt die ganze Handlung als eine Art „Künstlertraum“ ablaufen, mit der Konsequenz, dass immer ein Klavier auf der Bühne herumsteht – am Gletscher, am Bahnhof etc. Er hätte besser daran getan, dem Ganzen eine exzellente Personenregie gepaart mit viel Spielwitz zu verpassen. Gewisse Szenen, etwa im Hotel, nachdem der Diebstahl der Amati-Geige entdeckt worden ist, schreien geradezu nach dem Schwung und Witz einer Verwechslungskomödie. (Und Krämer macht genau das Gegenteil und lässt die Sänger sich aufstellen wie zu einer konzertaten Aufführung. Das war eine von den Aktionen, die ich überhaupt nicht verstanden habe.) Allerdings gelingen Krämer in diesem Frankreich-Bild durchaus ein paar Pointen, die von Gletscherhöhe auf Pölstern herabrodelnden Variete-Tänzerinnen etwa sind eine solche. Auch Kreneks Zug, der Daniello zum Verhängnis wird, darf frontal auf die Bühne und Richtung Zuschauerraum rasen, allerdings nur als Projektion (damit wirklich gar nichts passieren kann). Ansonsten muss man anmerken, dass gerade in diesem abschließenden Bahnhofsbild die Regie das Tohuwabu der Handlung nicht mehr verständlich aufgelöst hat. Krämer tappte aber zumindest nicht in die Falle plakativer Politisiererei. Dass er auch den Zuschauerraum in das Spiel einbezog, hat sicher ein paar Besucher davor bewahrt, einzuschlafen.

Die Ausstattung diente dem Zweck mit redlichen, wenig blickfängerischen Mitteln. Nur das „kesse“ Kleid, das Falk Bauer (Kostüme) für Nancy Gustafson (Anita) entworfen hat, fand bei den männlichen und weiblichen PremierenbesucherInnen hohen Anklang. Und man muss so ein Kleid auch zur Wirkung bringen können – zumindest ein ästhetischer Leckerbissen ist also gesichert (Operngucker nicht vergessen!)

Die Premiere war sehr gut besetzt, sängerseitig gibt es nichts zu klagen. Trotz aller Bemühungen kamen aber die SängerInnen nicht ins Spiel, man sang weitesgehend mit Bravour, aber trotzdem blieb alles „blutleer“ und ohne Überzeugungskraft. So richtig gefordert wurde nur Torsten Kerl als Max, denn dem Max hat Krenek eine anspruchsvolle Partie komponiert. Die anderen Rollen haben wenig Gelegenheit, sich ins Szene zu setzen. Seiji Ozawa hat das Orchester zu dem von ihm gewohnt hohen Niveau angespornt, aber er kann ja auch nicht das Stück neu komponieren. (Wem ganz fad wurde, der folgte der erfrischenden Gestik des Japaners...)

Der Applaus zur Pause war schon fast beschämend dürftig. Am Schluss gelang es ein paar Buhschreiern die Applausfreudigkeit des Publikums etwas zu heben. Außerdem beließ man den Zuschauerraum minutenlang in schummriger Dunkelheit, damit die Besucher nicht so schnell ihren Weg zur Garderobe fänden (die ließen sich aber nur kurzzeitig davon abhalten). Sänger und Dirigent fanden dafür umso schneller den Weg auf die Bühne zurück – und kaum hatten sie den Applaus entgegengenommen, waren sie schon wieder da. Das war strategisch sehr gut eingefädelt, so kann man allseitig und guten Gewissens von einem großen Erfolg sprechen, wo man befürchten musste, dass nach der Pause das Haus halbleer sein wird. Nun, Premierenbesucher bleiben schon bis zum Schluss, aber Abonnenten?