PALLAS ATHENE WEINT

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Museumsquartier Halle E
28. Oktober 2016


Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Regie: Christoph Zauner
Bühne: Jörg Brombacher
Kostüme: Mareile von Stritzky
Lichtdesign: Norbert Chmel

Wiener Kammerchor
Choreinstudierung Michael Grohotolsky
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich

Pallas Athene - Mareike Jankowski
Sokrates - Klemens Sander
Alkibiades - Franz Gürtelschmied
Meletos - Lorin Wey
Meton - Yevheniy Kapitula
Althea - Barbara Zamek
Naurarchos - Kristán Jóhannesson
Agis - Karl Huml
Timaea - Megan Kahts
Lysander - Hanzhang Tang
Brasidas - Kristján Jóhannesson
Ktesippos - Savva Tikhonov


„Pallas Athene im Museumsquartier“
(Dominik Troger)

Die Neue Oper Wien hat im Museumsquartier Ernst Kreneks Oper „Pallas Athene weint“ zur Aufführung gebracht. Die Premiere ging am 25. Oktober über die Bühne. Nachstehender Bericht bezieht sich auf die dritte und vorletzte Vorstellung.

Es kann davon ausgegangen werden, dass der Premierentermin kein Zufall gewesen ist: den Nationalfeiertag vor Augen und die „Pallas Athene“ vor dem Parlament – an die wohl auch Ernst Krenek gedacht haben wird, den Wiener, den es knapp vor dem Zweiten Weltkrieg nach Kalifornien verschlagen hat – deren schlanke, hochaufragende Gestalt so weisheitsstreng auf die Wiener Ringstraße blickt. Die Uraufführung fand noch dazu im Jahr 1955 statt – als Auftragswerk zur Eröffnung der neuen Hamburger Staatsoper.

Dass nicht einmal Ulrich Schreiber im Krenek-Kapitel seines „Opernführers für Fortgeschrittene“ die Oper erwähnt, lässt schon erahnen, dass sich in der Vergangenheit die Opernhäuser um die weinende „Pallas Athene“ nicht „gerissen“ haben. 1957 war die österreichische Erstaufführung am Linzer Landestheater erfolgt, in Wien erklang die Oper zuletzt 1988 konzertant im Musikverein im Rahmen der Wiener Festwochen. Ein 2013 erstelltes Verzeichnis der Bühnenwerke Ernst Kreneks, das vom Ernst Krenek Institut herausgegeben wurde und online einsehbar ist, weist für 1973 noch eine weitere konzertante Aufführung im Wiener Musikverein aus. Genannt werden zudem Aufführungen in Zürich (1960) und Mannheim (1956). Für Raritätenjäger ist die Aufführungsserie der Neuen Oper Wien also ein „Muss“.

Krenek hat sich sein Libretto nach den Ereignissen des „Peloponnesischen Kriegs“ zurecht gezimmert. Die Handlung beginnt mit dem Streit in Athen betreffend einer Flottenexpedition nach Sizilien und endet mit der Eroberung Athens durch Sparta, dem Tod des Alkibiades beziehungsweise des Sokrates. Krenek hat den historischen Ablauf für die drei Opernakte stark komprimiert und wollte offenbar die Quintessenz politischen Handelns und Machtstrebens anhand der Charaktere Alkibiades, Meletos, Meton zeigen und ihnen ihren Lehrer Sokrates gegenüberstellen.

Dabei nahm er einige Abkürzungen in der verschlungenen Historie, sparte beispielsweise das persische Abenteuer des Alkibiades gänzlich aus, und reicherte die Handlung um eine melodramatische Liebesgeschichte an: Alkibiades bricht nicht die Politik das Genick, sondern seine Affären mit der Priesterin Althea und mit Timea, der Gattin des spartanischen Königs Agis, die er aus Sparta entführt, sorgen für sein Ende. Gerahmt wird die Handlung durch die weinende Pallas Athene, die in einem kurzen Vorspiel den Schatten des Sokrates bittet, die Geschichte vom Untergang Athens zu erzählen – und die am Schluss erneut auftritt, um ihre Tränen fließen zu lassen.

Es fällt auf, dass Krenek offenbar der Meinung war, der politisch-philosophische Anstrich seines Opus bedürfe noch einer Liebesgeschichte. John Lincoln Stewart schreibt in seiner 1990 erschienenen Krenek-Biographie, es hätte nach der Uraufführung sogar Lob dafür gegeben, weil Krenek durch die Platzierung des Alkibiades zwischen zwei Frauen Bühneninstinkt bewiesen habe. Diese – auch gesanglich – leidenschaftlichen Eskapaden stehen im Gegensatz zur stark deklamatorischen Verhandlung der Männer über „Politik“. Althea kommt dabei eine wichtige Rolle zu, weil sie letztlich die Spartaner auf die Spur des geflohenen Alkibiades bringt. Krenek lässt sie Alkibiades sogar nach Sparta folgen und im dritten Akt gebärdet sie sich wie eine übelsinnige „Dea ex machina“. Dieses erste Bild des dritten Aktes ist die dramaturgische Achillesferse der ganzen Oper, wenn Sokrates, Meton, Meletos, Alikibiades und seine beiden Damen am Hymettos wie zufällig übereinander stolpern.

Im ersten Akt liegt der Schwerpunkt auf dem politischen Treiben in Athen – und es bietet einigen Genuss, dem Alkibiades zuzuhören, wie er populistisch und berechnend allen Fallstricken nur zu seinem Besten entgeht. Alkibiades spielt auf der Klaviatur der Politik wie ein begnadeter Künstler, der intrigante Meletos und der radikale Pazifist Meton haben keine Chance gegen ihn. Alkibiades ist die treibende Kraft, eine Art von Loge, um keine Ausrede verlegen – aber die Frauen haben es ihm genauso angetan wie die Politik. Alkibiades wäre nun nicht der erste Politiker, dem eine Liebesaffäre einen Karriereknick eingetragen hat, aber nach der Exposition des ersten Aktes enttäuscht es doch, ihn im Finale als Opfer einer eifersüchtigen Priesterin wiederzufinden. Krenek versäumte dadurch die Chance, Alkibiades Politik selbst zu entlarven und ihren verantwortungslosen Umgang mit Staat und Mensch.

Krenek ist, nach dem ersten Akt, der einmal im Wesentlichen die Diskussion über die politische Handhabung demokratischer Prozesse und einem Leben in „Freiheit“ eröffnet hat, die Handlung etwas knapp geraten – der Schwenk nach Sparta im zweiten Akt löst die gut gearbeiteten und einigermaßen komplexen Frontstellungen in Athen durch einen Herrscher ab, der vor allem als biederer „Bühnenbösewicht“ zu agieren hat. Die Liebesgeschichte zwischen Timea und Alkibiades ist wenig motiviert – mag auch Timea von dem ganzen Krieg und ihrem Mann die Nase voll haben – sie wirft sich dem Athener „Superman“ doch sehr schnell an den Hals.

Hat Krenek im ersten Aktt noch nach den Gesetzmäßigkeiten politischer Prozesse geforscht und wie man sich ihrer – zu welchem Nutzen auch immer – bedienen kann, so erdrückt der Sieg Spartas in Folge alle diesbezüglichen Überlegungen durch die bloße Gegenwart von Macht. Sokrates darf im Finale noch kurz mit Agis parlieren. Er setzt die Würde des Menschen der Ordnungsliebe des spartanischen Herrschers entgegen. Aber Agis taugt nicht recht zur philosophischen Konversation – sein Credo lautet: „Wer Angst hat, hält Ordnung.“ – und Sokrates weiß ohnehin, dass er nichts weiß. Die abschließenden Tränen der Pallas Athene befördern ein wenig die Wehmut, aber das über drei Akte ausgebreitete Scheitern des demokratischen Athens will nicht so recht zu Herzen gehen.

In DIE ZEIT vom 27. Oktober 1955 findet sich eine kurze, nicht gerade enthusiastische Besprechung der Uraufführung (Zitat): „Von den erwähnten Höhepunkten abgesehen, bleibt als ermüdender Gesamteindruck eine Wort-Ton-Rezitation, die zuweilen expressiv ausschwingt, aber auch klanglich durch eine nur selten aufsplitternde Sprödigkeit gekennzeichnet ist.“ Eine Einschätzung, die auch diese Aufführung nahelegt: Krenek hat bei seiner zwölftonalbasierten Komposition das Orchester deutlich den Gesangslinien gegenübergestellt. Das Orchester versagt sich Leitmotive, stützt zwar einerseits die deklamatorischen Passagen, gibt sich dann aber wieder eruptiv und scheint vor allem ein von den Gesangsstimmen zu deutlich abgetrenntes, trocken-sprödes Eigenleben zu führen. Den Gesangstimmen wird phasenweise eine starke Expressivität abgenötigt, Krenek drängt sie immer wieder zu ausladenden Fortehöhen, die viel Substanz erfordern und mit ihrer Emphase stilistisch an Opern von Franz Schreker erinnern. Trotzdem bleiben die Figuren – abgesehen von Alkibiades – in ihrem Charakter eher schematisch (vor allem die beiden wichtigen Frauenfiguren). Sokrates genügt sich mehr als Zuschauer, sein Potenzial zur „philosophisch indizierten Provokation“ wird erst im Finale einigermaßen genützt.

Das Bühnenbild stellte die Säulenhalle des Wiener Parlamentes dar: allerdings eine schon etwas beschädigte. Säulen sind immer dekorativ – umgestürzte auch. Die Inszenierung von Christoph Zauner hat die Oper ohne Irritationen umgesetzt – den 1950er-Jahre-Staub konnte sie nicht ganz wegblasen. Auf der Bühne war Franz Gürtelschmied als Alkibiades die überragende Erscheinung. Mit seinem wohldosiert zum Einsatz gebrachten, schlanken, metallischen und zugleich auch in der Höhenlage ausdauernd beständigen Tenor vermochte er sowohl die intellektuelle Geschmeidigkeit dieses Bühnencharakters als auch seine Expressivität auszudrücken. Gürtelschmied war neben dem Tonkünstler-Orchester unter Walter Kobéra und dem Wiener Kammerchor die tragende Säule des Abends und hat auch darstellerisch überzeugt.

Klemens Sander gab mit seinem angenehm timbrierten Bariton einen würdevollen Sokrates. Lorin Wey und Yevheniy Kapitula haben den Meletos bzw. Meton die erforderlichen (intriganten) Kanten verliehen, Karl Huml war ein gesetzter König Agis mit angenehmen Bass, weniger die widerwärtige Inkarnation des Feindes der athenischen Demokratie. Während Mareike Janowski als Pallas Athene ihre Tränen noch im Sinne Kreneks zum Fließen bringen konnte, hatte Barbara Zamek als intensive Althea mit der unvorteilhaften Stimmführung Kreneks zuviel Mühe. Auch die Spartanerkönigsgattin Megan Kahts kämpfte ein wenig mit den Vorgaben des Komponisten. Es wäre zu wünschen gewesen, die beiden Sängerinnen hätten mehr mit Alkibiades mithalten können, wobei vor allem Althea in ihrer Eifersucht und Rache von Krenek stimmlich sehr viel abverlangt wird. Aber in Anbetracht der Ressourcen der Neuen Oper Wien war das Ergebnis beachtlich – auch größeren Häusern würde die adäquate Besetzung dieser Oper wahrscheinlich einiges an Kopfzerbrechen bereitet haben.

Die Sitzreihen der Halle E waren für das Publikum nicht ganz freigegeben worden, die verbliebenen 14 Reihen aber fast zur Gänze gefüllt. Das Publikum dankte mit viel Beifall für die zur Kenntnis gebrachte Rarität. Aber es ist anzunehmen, dass man der weinenden Pallas Athene so schnell nicht mehr auf der Bühne begegnen wird.