DIE TOTE STADT
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Wiener Staatsoper
20. Jänner 2017

Musikalische Leitung: Mikko Franck

Paul - Klaus Florian Vogt
Marietta - Camilla Nylund
Frank - Adrian Eröd
Brigitta - Monika Bohinec
Juliette - Simina Ivan

Lucienne - Miriam Albano
Gaston - Franz Peter Károly
Victorin - Joseph Dennis
Graf Albert -Thomas Ebenstein


Starkes Lebenszeichen

(Dominik Troger)

Erich Wolfgang Korngold feiert heuer ein Jubiläum, das Zahlenmystiker interessieren wird: 1897 geboren, 1957 verstorben sind seit Korngolds Geburt 120 Jahre, seit seinem Ableben 60 Jahre vergangen. Und sowohl die Staatsoper als auch die Volksoper haben Werke des Komponisten angesetzt.

Während an der Volksoper ab 28. Jänner drei konzertante Aufführungen von „Das Wunder der Heliane“ gegeben werden, hat die Staatsoper nach acht Jahren wieder „Die tote Stadt“ in den Spielplan aufgenommen. Die Produktion (Regie: Willy Decker, Ausstattung: Wolfgang Gussmann) aus dem Jahr 2004 erlebte an diesem Freitag ihre erst 23. Aufführung – es war die letzte einer Serie von vier Vorstellungen. Leider ist die Szene durch die weit herabgezogene schwarze Verblendung an der Bühnenrampe nach wie vor nur etwas fürs Parterre. Schon auf den Seitenplätzen vom Balkon aus ist das Traumgeschehen, das Decker im Bühnenhintergrund spielen lässt, nur mehr schwer auszumachen.

Die aktuelle Aufführungsserie litt unter der grassierenden Verkühlungs- und Grippewelle. Zweimal musste Herbert Lippert für Klaus Florian Vogt in die Bresche springen, ab der dritten Aufführung war Vogt wieder im Einsatz. Sein Tenor klang in der Höhe in wenigen Passagen etwas trocken und forciert, bot aber insgesamt wieder eine bemerkenswerte Leistung. Das helle Stimmtimbre – das seit seinen letzten Auftritten als Paul ein wenig nachgedunkelt ist – gibt diesem Charakter außerdem einen psychopathologischen Zug, der ihn von den „ganz normalen“ Tenorhelden (denen die hohe Tessitura der Partie oft auch weniger behagt) deutlich abgrenzt. Der Sänger vermittelt im Spiel die neurotische Zurückgezogenheit dieses Menschen, dieser an Liebeserinnerungen gefesselten Persönlichkeit, die von der Vergangenheit wie in einem Glaskäfig gefangen gehalten wird. Und das schon angesprochene spezielle Timbre seiner Stimme kann durchaus als Nachhall dieses Gefangenseins gelten, gibt diesem Mann eine Kindlichkeit, die sich als regressiver Zug in der Fetischisierung von Mariens Haarpracht behauptet. Als Marietta in sein Leben „schneit“, wird Pauls „Trauerarbeit“ wieder angeregt. Der geträumte Mord an Marietta hilft ihm dabei, über den Tod Mariens hinwegzukommen.

Camilla Nylund sang ihre erste Wiener Marietta-Marie – und konnte einen großen Erfolg verbuchen. Nylund konnte, abgesehen von einem mir stimmlich immer wieder zu stark durchschlagenden Vibrato auch bei den Spitzentönen reüssieren und die Partie stimmlich ausfüllen. Im dritten Akt wurde das emotionale Ringen der beiden zu einem packenden Bühnenkrimi. Dass die Inszenierung nach der Pause Marietta eine Glatze verpasst, damit die Sache mit dem Haarfetisch ganz besonders auffällt, macht die Sache nicht einfacher. Nylund hat Paul aber glaubhaft zum Ausrasten zu provoziert. Ein Vergleich: Anna Denoke, ebenfalls eine gefeierte Marietta am Haus, hat die Partie lasziver angelegt, die erotische Beweglichkeit einer Tänzerin kam bei ihr stärker heraus, dafür waren die Spitzentöne gefährdeter.

Dritter im Bunde war Adrian Eröd, der Frank und dem Pierrot eine wortdeutliche und wie immer mit leicht intellektuellem Anstrich versehene Interpretation angedeihen ließ. Sein Bariton klang frisch und bei dieser Partie sehr gut aufgehoben. Monika Bohinec war als Einspringerin für Janina Baechle in die nicht sehr große Rolle der Brigitta geschlüpft, und entledigte sich der Aufgabe solide. Mariettas Truppe war nicht in jedem Punkt nach den gesanglichen Maßstäben ausgewählt worden, die Marietta selbst vorzulegen im Stande gewesen war.

Die etwas trockene, knallige Gangart des Orchesters unter Mikko Franck wurde glücklicher Weise nicht nur beim Ohrwurm des „Glück, das mir verblieb” zurückgenommen und durch ein gewisses Schwelgen ersetzt. Sattere Streicher, differenzierteres Blech und deutlichere dynamische Abstufungen wären wünschenswert gewesen – zumal Korngold einiges an Orchestermassen entfacht, die ansonsten die Stimmen der Sängerinnen und Sänger übertönen.

Der Schlussapplaus brachte es auf elf Minuten – und „Die tote Stadt“ hätte es verdient, öfter gespielt zu werden.