DIE TOTE STADT
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Wiener Staatsoper
6.4.2009

Musikalische Leitung: Philippe Auguin

Paul - Klaus Florian Vogt
Marietta - Angela Denoke
Frank - Markus Eiche
Brigitta - Elisabeth Kulman
Juliette - Elisabeta Marin

Lucienne - Sophie Marilley
Gaston - Lukas Gaudernak
Victorin - Alexander Kaimbacher
Graf Albert - Peter Jelosits

Psychodrama
(Dominik Troger)

Über die künstlerische „Substanz“ von Korngolds „Die tote Stadt“ kann man geteilter Meinung sein, aber wenn das Werk so effektvoll präsentiert wird, wie an der Staatsoper, dann vergisst man diesbezügliche Vorbehalte gern. Die gestrige Aufführung hat jedenfalls Chancen unter meine persönlichen „Top 10“ der Staatsopern-Saison 2008/09 gereiht zu werden.

Im Mittelpunkt standen natürlich Marietta/Marie und Paul – hier durch Angela Denoke und Klaus Florian Vogt verkörpert. Vogt bot als Paul eine glänzende Leistung. Sein heller, klarer Tenor dürfte für diese hochgelegene, kräfteraubende Partie sehr gut geeignet sein. Die Stimme ist fundiert und flexibel genug, um sowohl lyrischen Ausdruck zu formen als auch in der Attacke schlank und kernig zu bleiben. Zugleich vermittelt das Timbre eine jugendliche Naivität, die sehr gut zum Charakter eines Mannes passt, der in „psychopathischer Unschuld" der konservierten Haarpracht seiner verstorbenen toten Frau wie einem Fetisch die Treue hält. Vogt spielte außerdem sehr gut, zeigte eine Verhaltenheit im Ausdruck und in den leicht ungelenken Bewegungen, die man als natürliche Abwehrhaltung einer Welt gegenüber verstehen konnte, die als agile Tänzerin Marietta in lebensbejahender Intensität in seine Wohnung „schneit". Ihr gegenüber brachte er eine Mischung aus Abscheu, Anbetung und Abwehr zum Ausdruck, die zusammen mit Denokes aktiver Bühnenpräsenz eine subtile, spannende Atmosphäre erzeugte.

Angela Denoke findet in der Marietta ein ideales Betätigungsfeld, auch gestern beeindruckten wieder ihre körperliche Agilität – die Tänzerin nimmt man ihr in jeder Geste ab – und die laszive Gestaltungskraft ihrer Stimme, die nur bei wenigen Spitzentönen etwas aus der Fasson gerät. Durch Denokes Extrovertiertheit schaukelt sich der Konflikt zwischen dem welt- und menschenscheuen Paul und Marietta so richtig auf. Ihre provozierende Art, mit der sie sich den Fetisch „Haarpracht“ aneignet, muss Paul aus jeder Reserve locken. Denoke erzeugt eine Bühnenpräsenz, die auch auf bühnenfernen Plätzen hautnah mit erlebt werden kann. Die Szene mit dem Mord geriet derart zu einem Kabinettstück in der Art eines Edgar Allen Poe – auch wenn sie nur „geträumt“ ist.

Großes Verdienst erwarb sich Philippe Auguin, der die Orchestermassen in der Dynamik klug beherrschte und die Sänger nicht überdeckte. Zudem scheint er das richtige Gespür für die moschusgeschwängerte Klangsprache Korngolds zu haben, die zwar an vielen Ecken und Enden nach Richard Strauss klingt, trotzdem nie „plagiathafte“ Züge annimmt. Auguin scheute sich nicht, den „Gassenhauer“ des „Glücks, das mir verblieb“ mit operettenhafter Sentimentalität auszumuszieren – wobei ihm – nicht nur hier – die Streicher des Staatsopernorchesters mit überaus gefühlvollem Spiel zu Seite standen, die emotionalen Bögen weit ausspannend. Auch die Schärfen und „neutönerischen Aspekte“ der Partitur kamen gut zur Geltung, ohne dass daraus ein „Kopfstück“ geworden wäre. So eine gewisse schwüle Hitze muss einfach dabei sein, ausdünstend vom jungen Genie Korngolds, das alle Musik, der es nur habhaft werden konnte, gierig in sich eingesogen hat.

Markus Eiche steuerte mit schönstimmigem Bariton den besorgten Freund und Nebenbuhler bei – und Elisabeth Kulman, deren Stimme sich in den letzten Jahren toll entwickelt hat, formte aus der undankbaren Rolle der Brigitta die Charakterstudie einer einsamen, dienenden Frau, die ihre Mädchenträume mit der Melancholie eines sich ungeliebt fühlenden Menschen eintauschen muss. Die verhaltene, erlittene Verzweiflung, die hier zum Ausdruck kam, legte den Fokus auf eine Szene und eine Figur, die im Gewühl der fortschreitenden Handlung leicht vergessen wird.

Die Mitglieder von Mariettas Gruppe trugen viel dazu bei, dass mir diese lange Szene im zweiten Bild doch nicht zu lange wurde (das ist die Klippe, die jede Aufführung der „Toten Stadt“ erst einmal überwinden muss). Die Inszenierung ist klug und hat sich bewährt, bevorzugt visuell aber zu stark die unteren Ränge. Der Beifall galt am Schluss allen Beteiligten mit vielen Bravorufen – im speziellen natürlich Paul und Marietta/Marie.