DIE TOTE STADT
Aktuelle Spielpläne & Tipps
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Korngold-Portal

Wiener Staatsoper
12.12.2004
Premiere

Musikalische Leitung:Donald Runnicles
Inszenierung: Willy Decker
Bühnenbild, Kostüme: Wolfgang Gussmann
Choreinstudierung: Ernst Dunshirn

Koproduktion mit den Salzburger Festspielen

Paul - Steven Gould
Marietta - Angela Denoke
Frank - Bo Skovhus
Brigitta - Daniela Denschlag
Juliette - Simina Ivan

Lucienne - Stella Grigorian
Gaston - Lukas Gaudernak
Victorin - Cosim Ifrim
Graf Albert - Michael Roider

Korngold-Renaissance?!
(Dominik Troger)

Diesen Erfolg hat man (fast) vorausgesehen: „Die Tote Stadt“, eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, hatte schon diesen Sommer in der Mozartstadt ihre Feuertaufe erlebt und bestanden. Zwar war auf dem Weg nach Wien ein neuer Tenor in Pauls Kostüm geschlüpft, aber auch das wurde zu keinem Stolperstein.

Die Handlung hat ja viel von einem Psycho-Krimi an sich. Da pflegt ein Mann (Paul), das Blondhaar seiner verstorbenen Gemahlin (Marie) wie eine Reliquie und lebt nur in der Erinnerung an verflossene Tage. Aber als ihm eine Frau (Marietta) über den Weg läuft, die seiner toten Angebeteten zum Verwechseln ähnlich sieht, gerät er völlig aus dem Häuschen. Wahn und Realität vermischen sich zu einer Mordgeschichte – an deren Ende, seltsam genug, eine langsame, positive Bewegung in die Zukunft steht. Pauls Wachbewusstsein siegt, die Ermordete (Marietta) ist gar nicht tot, es war alles nur ein Alptraum, genährt aus der düsteren Melancholie entschwundenen Liebesglücks. Bei den cineastischen Qualitäten dieses Stoffs (und der Musik) wundert es nicht, dass Korngold später zum Filmkomponisten avancierte – notgedrungen und aus Leidenschaft im amerikanischen Exil.

Die geschickt designte Partitur wechselt zwischen „Elektra“-Anklängen und operettenhafter Melodik, schlägt wuchtig auf die Ohren oder greift tränenselig ans Herz. Vom Libretto darf man nicht viel erwarten: „Glück, das mir verblieb, rück zu mir, mein treues Lieb. Usf.“ Ein Melodram eben, seufzerheischend, am Höhepunkt einen erstickten Aufschrei provozierend: „Mein Gott, er bringt sie um!!!“. Doch am Schluss wird eine sublime Mischung aus Depression und Optimismus gebraut, die damals (Uraufführung 1920) die Menschen, angesichts der modernden Knochen auf den weitläufigen Schlachtfeldern des ersten Weltkriegs, wirklich so empfunden haben mögen: die lebenslustige, Vergessenheit suchende Marietta, der nicht vergessen könnende Paul. Gibt es einen tragfähigen Konsens, der in die Zukunft führt?

Als Opernliebhaber ist man es gewöhnt, im Trüben längst vergangener Epochen zu fischen, und die „Tote Stadt“ ist ein hübsch schillerndes Werk. Szenisch wohl aufbereitet und musikalisch gut gewürzt ist es wirklich zu genießen (nicht alle Tage, aber hin und wieder, je nach Gusto). Dabei fiel auf, dass Stephen Gould als Paul darstellerisch wohl nicht die Intensität eines Torsten Kerl erreicht, sich gesanglich aber weniger als Schwerarbeiter entlarvt. Dabei ist die Partie kraftraubend und liegt relativ hoch. Zwar könnte man viel mehr Schmalz in die Pfanne geben, damit das so richtig herzwärmend aufbrutzelt, aber das hat Donald Runnicles mit dem Orchester auch verabsäumt. Ich hatte fast den Eindruck, man hat das Ganze zu ernst genommen. Aber nachdem es heutzutage zur aussterbenden Zuft gehört, „Operette“ zu singspielen, wie sollte man dann noch – was schwerer ist – ein Gefühl für diese stilistischen Nuancen entwickeln, die der Zuhörerschaft die eine oder andere Träne genussvoll aus den Augenwinkeln pressen könnten.

Schließlich kann sich auch nicht jede(r) SängerIn mit solch exhibitionistischem Drang in eine Rolle werfen wie Angela Denoke. Das ist eine Naturbegabung. Wenn ich es mit der Radioübertragung vergleiche, die im Sommer von der Salzburger Premiere ausgestrahlt wurde, dann hat sie gesanglich sicher gewonnen, klangen die Höhen nicht mehr so eindeutig problematisch und erzwungen. Das war diesmal viel besser ausbalanciert. (Wobei man anmerken muss, dass sich das im Radio auch anders abmischt.) Doch ihr intensives Spiel macht sie überhaupt zu einer Sängerin, die erst auf der Bühne ihre wahre Persönlichkeit und Überzeugungskraft entfaltet. Dabei bleibt die Stimme immer eher zarter, flexibel in ihren Verführungskünsten, trotzdem fähig eine große Bandbreite vom lyrischen bis hin zum dramatischen Ausdruck zu umspannen. Aber sie ist keine Primadonna im klassischen Sinn. Wer des optischen Bildes entbehrt, könnte vielleicht zum Schluss kommen, Denokes Stimme wäre in Summe zu „leicht“ für diese Partie, zu wenig tragfähig in den ausladenden Korngold'schen Gefühlsausbrüchen – der „Augen- und Ohrenschein“ am Tatort dieser psychodelischen Geschichte belehrt einen jedoch rasch eines Besseren und erfreut mit überzeugendem Musiktheater. (Auch von der Marietta fordert Korngold eine physische Höchstleistung, und Denoke bleibt neben dem Singen noch Atem genug für extensives Spiel.)

Ohne überdurchschnittliche Sänger für Marietta und Paul braucht man das Werk gar nicht auf die Bühne zu stellen. Doch die restliche Besetzung führt eher ein Schattendasein. Natürlich kommt Frank eine wichtige Funktion zu, die Bo Skovhus auch ausgefüllt hat, aber mit seiner Bühnenpräsenz steht und fällt nicht der Abend. Noch mehr gilt das für Brigitta (Daniela Denschlag) und die gesamte Theatertruppe Mariettas, die alle das gute Ihre zum Erfolg beitrugen.

Runnicles hat man in Salzburg vorgeworfen, er lasse zu laut spielen. Dieser Vorwurf war kaum nachvollziehbar, erstens ist die Staatsoper groß genug, um einiges zu verkraften, zweitens war es immer noch ein klanglich ausbalanciertes „Laut“ und kein blech- und/oder schlagwerklastiges „Gedresche“. Die musikalische Umsetzung war in jedem Fall pragmatisch, bühnenah und auch von ansprechender klanglicher Qualität. Eine andere Sache ist die mit den Klangfarben. Das wäre spannend, hier einmal wirklich die Farbpalette auszupacken. Ich glaube, da ließe sich noch manches unerwartete Detail hervorzaubern. Insofern schillerte es mir doch zu wenig.

Die Inszenierung war leider eine für das Parkett. Vom starken (unerwarteten) Publikumsansturm in mehr seitliche Regionen des Zuschauerraumes abgedrängt, konnte ich die Verdopplung des Bühnenbildes und der Protagonisten – ein wesentliches Element von Willy Deckers-Regie – nur sehr eingeschränkt wahrnehmen. Die Personenführung war intensiv, vor allem was Marietta betraf – Paul hätte da noch zwei Gänge zulegen können. Pauls Zimmer hat sich über die ganze Bühnenbreite erstreckt, war aber nicht sehr tief. Im Hintergrund rotierten mal gemächlich als schwarze Würfel die Häuser von Brügge, einer der stärksten Effekt des ganzen Abends, weil sich hier durch einen einfachen Wechsel der Perspektive die surreale Traumsituation kongenial widerspiegelt: statt Paul, der durch die Straßen eilt, bewegen sich die Häuser! Von der Prozession im dritten Bild habe ich kaum etwas mitbekommen, die war zu weit hinten platziert. Decker lässt am Schluss Paul das Zimmer verlassen, er folgt seinem Freund Frank. Insofern bleibt der Schluss offen, zeigt aber doch zumindest eine Veränderung. Paul hat sich (vorläufig?) vom Fetisch Maria befreit. Die Glatze, die Denoke eineinhalb Bilder mit sich herumträgt, ist ein wenig desillusionierend.

Das Haus war voll, der Applaus ohne Widerspruch und heftig für alle Beteiligten; besonders stark für Denoke. BesucherInnen der Folgevorstellungen sei unbedingt empfohlen, Plätze an der Seite zu meiden.