DIE STUMME SERENADE
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Korngold-Portal

Kammeroper
5. Juni 2023
Szenische österreichische Erstaufführung

Musikalische Leitung: Ingo Martin Stadtmüller

Inszenierung: Dirk Schmeding
Bühne und Kostüm: Pascal Seibicke
Licht: Franz Tscheck
Choreografie: Kerstin Ried


Silvia Lombardi - Jasmina Sakr
Andrea Coclé - Peter Bording
Louise - Jenifer Lary
Sam Borzalino - Paul Schweinester
Caretto - Reinwald Kranner
Mannequin 1 - Diana Bärhold
Mannequin 2 & Dance Captain - Lilia Höfling
Mannequin 3 - Lucia Miorin

Sprechrollen
Benedetto Lugarini / Carlo Marcelini - Stefano Bernardin
Bettina / Laura / Pater Orsenigo - Alexander Strobele


Nostalgie in Noten

(Dominik Troger)

Starker Regen machte den Anmarsch zu Kammeroper an diesem Montagabend zu einer amphibischen Expedition. Alles flüchtete gleich unter das Vordach und ins kleine Foyer, wo man erst einmal im Sprühnebel ausgezogener Regenjacken und ausgeschüttelter Regenschirme nassschwülen Atem schöpfte. Aber nichts kann Opernenthusiasten davon abhalten, der szenischen österreichischen Erstaufführung eines Werks von Erich Wolfgang Korngold beizuwohnen.

Der Andrang war wirklich stark, der Saal bestens gefüllt, an Persönlichkeiten des Wiener Musiklebens war kein Mangel: Operndirektoren, Musikkritiker, Professoren von Hochschulen, Künstler und eine ganze Abteilung Stammgäste von der Staatsopern-Galerie gaben sich ein Stelldichein, diesem Opus aus den frühen 1950er-Jahren Willkommen zu sagen. Der Weg zu dieser szenischen österreichischen Erstaufführung war wirklich ein langer, dabei ist „Die stumme Serenade“ hierzulande schon erklungen – und zwar im Radio.

Am Ostermontag des Jahres 1951 konnte die Zuhörerschaft der RAVAG einem mit „Die stumme Serenade“ betitelten musikalischen „Lustspiel“ lauschen. Unter der Leitung des Komponisten wurde das Stück in einer Radiofassung gegeben. (Korngold wollte die „Stumme Serenade“ eigentlich am Broadway aufführen lassen, geworden ist es dann in der deutschen Übersetzung von Raoul Auernheimer besagte Radioproduktion.) Das „Neue Österreich” vom 31. März 1951 notierte dazu: „Das Werkchen ist reizend, einfallsreich und erreicht mit einfachsten Mitteln starke dramatische Wirkungen. (...) Was wir an dem Werk vor allem schätzen, ist der Reichtum des melodischen Einfalls, die Pikanterie einer gewürzten, aber nie überspritzen Harmonik und der frische, buffoneske Zug des Ganzen (...). Das (...) Operchen müßte auf einer kleinen Bühne (Akademietheater) ausgezeichnet wirken.“ Der Gebrauch der Verkleinerungsformen in dieser kurzen Rezension ist auffallend und zeigt, dass sich die Zeitgenossen damit schwer taten, für die „Stumme Serenade“ die richtige „Schublade“ zu finden: Singspiel, Operette, Schauspielmusik, Musical, Revue und/oder komische Oper? Scheint die „Serenade“ nicht zwischen allen Genre-Stühlen zu sitzen?

Aus heutiger Sicht fällt die Einordnung möglicherweise leichter: Von Korngold als „Komödie mit Musik“ bezeichnet scheint das Werk mit vom Komponisten nachempfundenem nostalgischem Flair in Revue- und Operettentheatern der Zwischenkriegszeit zu wurzeln, mit einem Hang zum Schlager, dem ein kleines Ensemble eine farbenprächtige, leicht jazzige Begleitung bietet. Von der Radiofassung gibt es einen Mitschnitt, den man sich auf Youtube anhören kann, und der diese stilistische Einordnung ermöglicht. Außerdem kann man sich von der hohen Qualität des damaligen Ensembles überzeugen, das mit klarer, präziser Artikulation zwischen Sprache und operettenleichtem Gesang nahtlos zu wechseln verstand.

Dieser Mitschnitt bringt auch die feine, charmante, leicht frivole Ironie bestens zur Geltung, die diese reichlich absurde Geschichte vom Schneider pikant abschmeckt, der im Jahr 1820 in Neapel einer schlafwandelnden Schauspielerin stumme Ständchen darbringt, sich aus Liebe sogar zu einem Attentat bekennt, das er nicht begangen hat, um am Schluss, und mit knapper Not vor dem Galgen gerettet, doch noch seine Liebste in die Arme schließen zu dürfen.

Die szenische Uraufführung fand 1954 in Dortmund statt, wo die „Die stumme Serenade“ wegen zu hohen, sich mehr an einer „Oper“ orientierenden Erwartungshaltungen und einer Kritik, die Korngold als altmodisch abstempelte, einen schweren Stand hatte. Das Werk verschwand – auch wegen Korngolds frühem Tod – in der sprichwörtlichen Versenkung, bis es 2007 wieder daraus hervorgeholt wurde. Seither ist es schon öfters (z. B. an kleineren deutschen Bühnen) nachgespielt worden. („Die stumme Serenade“ würde sich aber auch als Film gut gemacht haben, als einer jener typisch leichtgängigen Lustspielfilme der 1950er-, frühen 1960er-Jahre.)

Die Regie von Dirk Schmeding startete gleich einmal mit überdrehtem Schwung in die Handlung, setzte auf Slapstick und eine geschickte „Umbauchoreographie“, die auf die effiziente Nutzung von großen „Eventkisten“ baute. Die kleine Bühne der Kammeroper wurde sehr gut ausgenützt und von flotter Personenregie belebt. Ein mit orangen Glühbirnen bestückter Zwischenvorhang zauberte „Varietéfeeling“ in den kleinen Saal. Dadurch wurde das Werk in einem revueartigen Bühnensetting verortet, was eine gute Idee gewesen ist, weil es zur musikalischen Sprache und zur manchmal fast nonsenseartigen Handlung passte. Überraschende Effekte wie der Delinquent auf der riesigen Kanonenkugel oder der „Aufzug“ für den mit typischem „Kleinen-Mann-Syndrom“ gezeichneten Ministerpräsidenten sowie die Kostüme sorgten für ausreichend Abwechslung.

Weniger erfreulich war der „Holzhammer-Humor“ mit dem Schmeding das Stück in die Gegenwart geholt hat. Korngolds liebevolle und charmante Figurenzeichnung kulminierte in einem überdimensionalen (um nicht zu schreiben „ungustiösen“) Plastikbusen, den die Schauspielerin Silvia Lombardi beim Abendessen mit ihrem revolutionären Schneider vor sich her trug. Derart wird die Überzeichnung rasch zum Feind eines kultivierten und spielerischen Humors, der die Figuren immer noch ernst genug nimmt, um je nach Szene den Unterschied zwischen Parodie und human empfundenem Seelenschmerz zu wahren. Die Grenze zum Klamauk ist schnell überschritten, und davon gab es an diesem Abend eine ganze Menge.

Das einsatzfreudige Ensemble plus Solisten im Graben (Dirigent: Ingo Martin Stadtmüller) zog ganz im Sinne der Regie eine gut getimte Show ab und begeisterte damit das Publikum. (Ziemlich überrascht hat es, ein paar Microports zu entdecken und eine aufgeblasene Akustik wahrzunehmen, die Details wenig förderlich war.) Im Mittelpunkt der Aufführung standen Peter Bording als begabter Kleidermacher Andrea Coclé und Jasmina Sakr als die von ihm begehrte Schauspielerin Silvia Lombardi. Sie wurden beide von einer ganzen Reihe an bühnenwirksamen „Nebenrollen“ begleitet – etwa: Stefano Bernardin als Ministerpräsident und Bombenbauer, Reinwald Kranner als die „Pension ohne Pension“ fürchtender Polizeiminister oder Alexander Strobele in mehreren Sprechrollen. Paul Schweinester gab einen Journalistin und Jenifer Lary die in einem hitverdächtigen Lied besungene Luise. Die drei Mannequins (Diana Bärhold, Lilia Höfling und Lucia Miorin) wurden auch für Tanzeinlagen und für wieselflinke Umbauarbeiten herangezogen.

Der Schlussapplaus war stark und währte lange, schon während der Aufführung zeigte sich das Publikum sehr gut amüsiert. Die Produktion lässt sich augenscheinlich als Erfolg verbuchen. Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause nicht ganz zweidreiviertel Stunden. Korngolds musikalische Komödie war die letzte Premiere des Theaters an der Wien in der  laufenden Saison. Sie beschließt das erste Jahr der Intendanz von Stefan Herheim, der die Kammeroper nach ihrem mehrjährigen Dasein als Studiobühne des Hauses wieder aufgewertet hat.