JOIN!

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Museumsquartier HalleE
10. Mai 2013

(Uraufführung 8. Mai 13)

Musik: Franz Koglmann
Libretto: Alfred Zellinger

Musikalische Leitung: Carsten Paap

Inszenierung: Michael Scheidl
Bühnenbild & Kostüme: Nora Scheidl
Choreographie: Florian Hurler
Klangregie: Peter Böhm
Licht: Norbert Joachim
Musikvideo: Alex Püringer

Ensemble die reihe

Eine Koproduktion von Netzzeit und Wiener Festwochen

Aufsichtsratvorsitzender - Anthony Heidweiller
CEO - Sébastien Soulès
Marketingdirektor - Wolfgang Gratschmaier
Verkaufsleiterin - Katja Reichert
Produktmanager - Max Niemeyer
Moderator - Dennis Kozeluh
NGO Aktivistin / Stimme Model - Annette Schönmüller

Model - Anna Erb


„Biochip vom Planet der Affen?“
(Dominik Troger)

Während es am Rathausplatz die Festwocheneröffnung verregnete lief von der Musiktheater-Produktion „Join!“ schon die dritte Vorstellung: eine Abrechnung mit Konzernträumen im Turbokapitalismus, leicht „trashig“ und auf „low budget“ getrimmt.

„Join!“ handelt vom Unternehmen Gen&Brain, das einen implementierbaren Bio-Chip entwickelt hat, der es Menschen ermöglicht, rund um die Uhr „online“ zu sein und „allwissend“ zu werden. Im ersten Akt wird man Zeuge einer Marketingsitzung, bei der die Produkteinführung besprochen wird. Im zweiten Akt werden die persönlichen Beziehungen der Manager abgehandelt (Sex & Intrigen), im dritten Akt wird der Werbefilm des neuen Chips präsentiert, eine Demo von Datenschutzfanatikern in Affenkostümen (!) marschiert auf, und ganz zuletzt wird die Intrige zwischen Aufsichtsratsvorsitzendem und CEO zum Abschluss gebracht. Das Libretto ist mit viel Marketingrhetorik garniert, deren „Phraseologie“ genussvoll zerpflückt wird – oder zumindest scheint das die Absicht gewesen zu sein.

Die Ausstattung persifliert billig produzierte Fernsehserien mit Anleihen an den ersten Staffeln von Raumschiff Enterprise aus den 1960er-Jahren. Im Programmzettel fällt der Begriff der „Retro Science Fiction“ – eine Bezeichnung, die einiges erhellt. Denn die Grundidee von der Vernetzung menschlicher Gehirne zu einer gemeinsamen virtuellen Realität ist wirklich keine neue – aber sie ist ein Ziel, das gut zu den ausufernden Träumen „siliziumgeprägter“ Unternehmen im 21. Jahrhundert passt, bei denen sich Technikwahn und Datengier zu einer gefährlichen Mischung paaren, der das einzelne Individuum oft sogar freiwillig (!!!) auf den Leim geht. „Join!“ spielt also nicht im Hier und Heute, sondern schätzungsweise vor 50 oder 60 Jahren. Der heutige Betrachter erblickt die Utopie im Rückspiegel – und muss jetzt nur noch darauf warten, dass er von ihr überholt wird. (Was beispielsweise bei der Mobilkommunikation längst geschehen ist.)

Aber was sich auf dem „Papier“ als reizvolle Versuchsanordnung darstellt, begann in der Umsetzung auf der Bühne bald zu schwächeln. Die Persiflage drang nur punktuell durch, wie etwa bei dem Werbevideo für den neuen Chip, der auf die Erde „gebeamt“ wird, oder im ersten Teil bei der Marketingsitzung. Der Versuch, im zweiten Akt die menschlichen Banalitäten in der Firmenspitze aufzudecken, glitt rasch selbst ins Banale ab. Die Pointe mit der seltsamen Affendemo wurde weit über Gebühr ausgereizt.

In der Musik von Franz Koglmann findet dieses „Retro“ eine süffige und – wie er selbst im Einführungsvortrag anmerkte – „eklektizistische“ Entsprechung: von Jazz bis Madonna, von einigen Alban Berg-Anklängen bis zum Rock n`Roll. Die Bandbreite von Koglmanns musikalischer Chamäleontaktik wird man in ihren Feinheiten aber nur als ausgewiesener Jazzfan würdigen können (bleibt mir also verwehrt). Eine nette Idee war es, auf dieses Windows-„Signal“ zu referenzieren, das nach dem „Hochfahren“ eines mit MS-Betriebssystem bestückten PC erklingt, und das Verkomponieren von Handyklingeltönen war in diesem Zusammenhang fast schon ein „Muss“.

Die Figuren hatten ihre „Arien“, in denen sie sich vorstellten, es gab revueartige Ensembles, gesprochene Texte – eine durchaus konventionelle „Nummernfolge“. Es wären einige schmissige Songs dabei gewesen, aber in der Umsetzung fehlten die scharfen Konturen. Die engagiert an die Sache herangehenden Sänger trugen Microports, deshalb erübrigen sich weitere Anmerkungen zur gesanglichen Ausfertigung. Für die gepflegte Orchesterbegleitung sorgte das Ensemble „die reihe“.

Das Regiekonzept war „Marke“ Netzzeit (die Musiktheatergruppe zeichnete auch für den Kompositionsauftrag im Rahmen des „Out of Control“-Festivals verantwortlich). In „Personalunion“ sorgten Michael Scheidl (Regie) und Nora Scheidl (Ausstattung) für die erwartete Auflockerung des Bühnenambientes. Nach der Marketingsitzung, die in der Halle E im gewohnten Setting „Bühne versus Publikum“ absolviert wurde, gab es eine „Coffee-Break“ auf der großen Hinterbühne. Das Publikum verließ also die Plätze, stieg über die Bühne und nahm neue Plätze dahinter ein. Bei einer Bar gab es Erfrischungen, und wer wollte, konnte die folgenden zwei Akte mit einem Weinglas in der Hand verbringen. Es gab Stehtischchen und es gab an beiden Längsseiten der großen Hinterbühne „Sitzstufen“, auf denen es allerdings etwas eng wurde. Das Orchester, im ersten Akt hinter der Bühne platziert, war jetzt davor. Zum Teil wurde zwischen den Stehtischchen gespielt, zum Teil auf der Bühne. Das Geschehen wurde gefilmt und auf mehrere Projektionsflächen übertragen, die schräg unter der Hallendecke angebracht waren.

Eine Pause in dem Sinne, dass man den Zuschauerraum hätte verlassen können, gab es nicht. Die zwei Stunden waren zwar auszuhalten, aber der Schluss wurde durch „Zugaben“ noch künstlich verlängert. Sie folgten auf den ersten „Vorhang“ und setzten das Publikum einer „Zugaben-Zwangsverpflichtung“ aus, weil der Ausgang durch den Wechsel des Auditoriums jetzt hinter der Bühne lag. Im ersten Akt gab es ein paar Besucher, die die Aufführung vorzeitig verließen, im zweiten und dritten Akt wäre das augenscheinlich nur Notfällen möglich gewesen.

Fazit: Hätte man den Abend um eine halbe Stunde gekürzt und auf die „Angriffigkeit“ einer Brecht-Weil’schen-Musiktheaterrevue zurechtgefeilt, er wäre als Parodie auf unsere heutige Wirtschafts- und Technikgläubigkeit möglicherweise besser zur Geltung gekommen (und der Retro-Look hätte gut dazu gepasst).