EGMONT
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Theater an der Wien
17. Februar 2020
Uraufführung

Musikalische Leitung: Michael Boder

Inszenierung: Keith Warner
Ausstattung: Ashley Martin-Davis
Licht: Wolfgang Göbbel
Choreografie: Ran Arthur Braun

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)


Egmont, Prinz von Gaure - Edgaras Montvidas
Herzog Alba - Bo Skovhus
Clara - Maria Bengtsson
Margarete von Parma - Angelika Kirchschlager
Ferdinand, Albas Sohn - Theresa Kronthaler
Macchiavelli, ihr Sekretär - Károly Szemerédy

Akrobaten Shadperformance: Walter Holecek, Luis Gustavo, Anderson da Silva, Josef Schützenhofer, Esther Schneider


Uraufführung zum Beethoven-Jahr
(Dominik Troger)

Zum Beethoven-Jahr hat sich das Theater an der Wien eine Uraufführung geschenkt. Der Komponist Christian Jost und der Librettist Christoph Klimke haben sich Goethes „Egmont“ vorgenommen, zu dem Beethoven bekanntlich eine Schauspielmusik geschrieben hat. Der Gesamteindruck war ein sehr „anlassbezogener“.

Nun hat die Oper weniger mit Goethes Stück zu tun, als man auf den ersten Blick meinen könnte – und eine Analyse des Librettos, seine (Nicht-)Beziehung auf Goethes Text und die Einbeziehung von Beethovens „Brief an die unsterbliche Geliebte“ sowie die Bezugnahme auf Christoph Klimkes poetische Metaphorik (z.B. das Symbol des Kranichs) würden vielleicht schon als Stoff für eine Diplomarbeit ausreichen. Aber weil an Goethes Drama die zwei Jahrhunderte seit der Uraufführung auch nicht spurlos vorübergegangen sind, war es eine nachvollziehbare Entscheidung, besser eigene Wege zu gehen.

Jost/Klimke haben den Figurenkatalog auf sechs Personen reduziert und in der Figurenkonstellation manche Umstellung vorgenommen: Alba wurde zum „Bösewicht“ schlechthin „stilisiert“, er lässt Margarete von Parma sogar ermorden und bedroht Klärchen, das in dieser Fassung Clara heißt. Sein Sohn Ferdinand fühlt sich zu Clara hingezogen und möchte sie zur Flucht überreden. Clara zeigt starke emanzipierte und revolutionäre Züge, und möchte, dass Ferdinand seinen Vater umbringt. Chorpassagen, in denen der Beginn von Beethovens „Brief an die unsterbliche Geliebte“ „paraphrasiert“ wird „Mein Engel, mein Alles, mein Ich“ geben dem Werk zudem einen oratorienhaften, sakralen Zug und tauchen es in eine melancholisch, introspektiven Traumwelt. Der Text des Librettos hat insgesamt einen den Anforderungen der Bühne wenig zuträglichen Hang zur lyrischen Verknappung.

Bei 15 Szenen in rund 90 Minuten bleibt zudem wenig Platz für eine kontinuierliche Entwicklung der Figuren. Nur selten spannt sich der dramaturgische Faden so straff wie während der Auseinandersetzung zwischen Alba und Egmont, der wohl zentralen Szene der Oper. Der Sprechgesang der Figuren trägt wenig dazu bei, sie in ihrer Individualität zu stärken. Immerhin hat Clara eine Soloszene, in der die Stimme mehr arios geführt wird, und die sie auch ein wenig zur sängerischen Selbstdarstellung nützen kann. Die Figur der Margarete von Parma dient hingegen vor allem dazu, von Alba gemeuchelt zu werden. Egmont selbst wirkt fast ein wenig hölzern: eine etwas blutleere, schon vom Zweifel angenagte „Ikone der Freiheit“? Der sehr schematisch gezeichnete Alba hat leichtes Spiel mit ihm.

Regisseur Keith Warner spricht in einem Interview das manchmal sehr „minimalistische“ Libretto an (nachzulesen im Programmheft der Aufführung) und verweist charmant auf den „Subtext“ – und Warner hat damit wohl die eigentliche Schwäche dieses „Egmont“ erkannt: Er geizt mit Informationen zur Handlung und zum „Ideengehalt“ und zum Charakter der Figuren. Er bemüht eine lyrische Sprache „hohen Stils“, die sich letztlich der harschen Realität von Alba und dem vom ihm gedungenen Macchiavelli entzieht. Es finden sich nach meinem Eindruck für das Publikum zu wenige Möglichkeiten, um mitzuleiden, um Partei zu ergreifen, um sich von den Ideen, Taten oder Untaten der Bühnencharaktere entflammen zu lassen.

Aber ein guter Regisseur weiß hier Abhilfe zu schaffen: Keith Warner ließ sogar Akrobaten auftreten, um die schwankenden Gefühlszustände der Protagonisten zu visualisieren. Er ließ auf der Bühne Alba etwas drastisch arme Niederländer foltern. Die großen schwarzen Papierkraniche, die aufgezogen wurden, waren vielleicht sogar jene des „Ibykus“. Warum Clara in der Gegenwart einer „Badewanne“ „arios“ wird, hat sich mir allerdings nicht erschlossen. Egmont ist am Beginn und im Finale in der Bühnenmitte auf einem Sessel „geparkt“ und wird von großen Scheinwerfern angestrahlt, diese Verschränkung gab der Aufführung eine gewisse Geschlossenheit: Hier wird das Schicksal eines Menschen verhandelt, der im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht. Summarisch betrachtet hat Keith Warner die Schwächen des Librettos mit seiner Inszenierung geschickt „umschifft“.

Christian Josts „atmosphärische“ Musik passte sehr gut zum aufgespannten Rahmen. Es handelt sich um eine mehr traditionsgebundene „Moderne“, kräftig, mit Klangraumwissen entworfen, abwechslungsreich in der Instrumentation: schwebende Klangflächen, repetitive Figuren, drohendes Blech und natürlich Glissandi, als die auf der Bühne verhandelte Ideenwelt unterminierende „Verrutschungen“. Das Resultat war ein drängender musikalischer Strom, der die Spannung stärker aufrecht hielt als das Libretto. Zwar gab es eine „klassische“, nur in wenigen Details abgeänderte Orchesterbesetzung (ergänzt um Vibraphon, Marimbaphon, Klavier) doch das naheliegendste – nämlich Beethoven-Zitate – hat sich Jost offenhörlich versagt.

Die Besetzung brachte mit Bo Skovhus und Angelika Kirchschlager zwei starke Sängerpersönlichkeiten auf die Bühne, die ihren Partien auch den geforderten Nachdruck verleihen konnten. Der Egmont von Edgaras Montvidas war ein wenig das Opfer der oben geschilderten Schwachpunkte und konnte sich auch sonst nicht wirklich jene Präsenz verschaffen, die einer Titelfigur zugestanden hätte. Maria Bengtsson hat mit ihrem etwas nüchternen Sopran Clara in modernem Sinne nicht „romantisch" verklärt, Theresa Kronthaler war als Ferdinands Sohn Alba passend juvenil, passend auch der etwas raue Bariton von Károly Szemerédy für die zwielichtige Partie des Macchiavelli. Das sehr gut aufspielende ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Michael Boder war ein weiterer Pluspunkt des Abends, der Arnold Schoenberg Chor eine weitere tragende „Säule“ dieser Uraufführung, die vom Publikum mit immerhin fast zehn Minuten Schlussapplaus bedankt wurde.

Fazit: Sowohl Warner als auch Jost/Klimke ist es einerseits anzurechnen, dass sie dem heutigen Trend zur „Banalisierung“ widerstanden haben andererseits war zu spüren, dass es sich bei dieser Auftragsarbeit eigentlich um eine „unzeitgemäße Betrachtung“ handelt: Seine Anlassbezogenheit wird das Stück wahrscheinlich auch in Zukunft schwer los werden.