KATJA KABANOVÁ
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Staatsoper
Premiere
17.6.2011

Dirigent: Franz Welser-Möst
Inszenierung: André Engel
Bühne: Nicky Rieti
Kostüme: Chantal de La Coste
Licht: André Diot, Susanne Auffermann


Dikoj - Wolfgang Bankl
Boris - Klaus Florian Vogt
Kabanicha - Deborah Polaski
Tichon - Marian Talaba
Katja - Janice Watson
Kudrjas - Norbert Ernst
Varvara - Stephanie Houtzeel
Kuligin - Marcus Pelz
Glasa - Juliette Mars
Feklusa - Donna Ellen
Mann - Oleg Zalytskiy
Frau - Isabel Leibnitz


Die Wolga fließt nicht in New York
(Dominik Troger)

Die letzte Saisonpremiere an der Wiener Staatsoper galt Janáceks „Katja Kabanová“. Franz Welser-Möst sorgte für einen blankpolierten Janácek-Soundtrack – die Inszenierung verwässerte das von Janácek konsequent auf den Punkt gebrachte sowie regional und zeitlich detailliert verortete Stück.

„Katja Kabanova“ spielt um das Jahr 1860 in der russischen Provinzstadt Kalinow am Ufer der Wolga. Regisseur André Engel verlegte die Handlung bei seinem Regiedebüt an der Staatsoper ins New York um 1950. Er dachte dabei an die Emigranten in „Little Odessa“, an die eingeengten Lebensbedingungen in einem Ghetto, er ging von (Zitat Programmheft S. 91): „literarisch und cineastisch inspirierten Gedanken“ aus.

Das cieneastische Element erkennt man in der Kodachrome-Farbgebung des Bühnenbildes und der Kostüme und im auffälligen Festhalten an Äußerlichkeiten (Stephanie Houtzeels schöne, lange Beine müssen Engel sehr gut gefallen haben). Die literarische Ebene drängt sich plötzlich und zum Szenenverlauf völlig konträr im Finale in den Vordergrund, wenn Katjas düstere Phantasien „surreal“ werden, ein blinder Mann mit weißem Stock und fünf schwarzen Luftballons in der Hand unmotiviert über die Bühne tastet und eine Begräbnisgesellschaft auftaucht, weil Katja gerade von einem Begräbnis singt.

Das literarische Element offenbart sich womöglich auch im inhaltlichen Weiterspinnen des Librettos, wie im Andeuten einer gleichgeschlechtlichen (!) Versuchung zwischen Katja und Varvara, und im Ausspielen einer sadomasochistischen (!) Aktion zwischen Kabanicha und Dikoj. Gerade daran konnte man deutlich erkennen, wie Engel vor der schroffen Gegensätzlichkeit dieses Werkes, die auch in der Musik die Kontraste auf engstem Raum zusammendrängt, in Vermutungen flüchtet, wie er sein Heil im Hinzufügen von „freud’schen Arabesken“ sucht, um letztlich an „Katja Kabanova“ im farbromatischen Stil des amerikanischen Nachkriegsfilms psychoanalytisch zu dilettieren.

Da wird Katja zu einer überspannten „American Woman“, die inkonsequenter Weise aber keine Schlaftabletten schluckt, sondern ins Wasser geht. Vavara benimmt sich wie ein flotter Teenager, bemalt sich die Zehennägel, wobei sie minutenlang ihren langbeinigen Körper in die „Auslage“ stellt – während Katja sich ihre Seelenpein aus dem Leib singt, um nach kuscheliger „Verzärtlichung“ mit dem kessen Girl einen Selbstmordversuch anzudeuten. Dieser gute, Katjas gefährdete Psyche charakterisierende Einfall wird durch die harmlose Bühnenoptik und die vorangegangenen Techtelmechtel stark entwertet. Kudrjas Naturforscherdasein und sein aufklärerischer Impuls sind im New York des Jahres 1950 von untergeordneter Bedeutung. Trotz der angenommenen einschränkend wirkenden Ghettoeffekte lassen sich in solch großstädtischem Milieu die rigiden Grundstrukturen der russischen Provinzgesellschaft von 1860 nur mehr schwer glaubhaft machen, ihre Bigotterie, ihre herrschsüchtigen Rituale und ihre frauenfeindlichen Konventionen und Lebensentwürfe.

Das Bühnenbild ist diesmal nicht für alle Szenen einheitlich (das ist schon fast eine Revolution) – es zeigt eine stilisierte Skyline von NewYork im ersten Bild, im Vordergrund eine Art Straße mit Bänken. Das zweite Bild zeigt ein helles Zimmer mit großem Matratzenbett, das dritte Bild einen Hinterhof, das vierte Bild eine Dachterrasse mit großem Lüftungsausgang (?), die optisch unspektakuläre Gewitterszene spielt in einem Schuppen oder Lagerhaus. Die Schlussszene zeigt zuerst einen Zaun, der dann zur Seite fährt und einen mit Pflanzen bewachsenen Uferstreifen frei gibt. Einige Bilder beanspruchen nicht die ganze Bühnenbreite für sich und sollen dadurch wahrscheinlich „Beengtheit“ ausdrücken.

Staatsopernorchester und Dirigent Franz Welser-Möst erhielten beim Schlussapplaus den stärksten Beifall. Aber der Gesamteindruck blieb mir zu glatt, das Orchester klang auffrisiert und auf Hochglanz poliert wie ein schnittig designter Rennwagen. Das war beeindruckend, lotete das bedrückende Psychodrama der „Katja“ aber zu wenig aus.

Auf der Bühne spürte man wenig von der unmittelbaren Wirkungskraft, der Janáceks Bühnenrealismus eigen ist. Janice Watsons (Katja) Sopran klang für mich insgesamt zu solide und wenig mitreißend. Darstellerisch lebte sie regiebedingt ein Illustriertenschicksal. Warum bringt sich diese Katja eigentlich um? Watson war im Vorfeld der Produktion für die ursprünglich angesetzt gewesene Emily Magee eingesprungen.

Stephanie Houtzeel durfte als Varvara den größten Erfolg ihrer ersten Staatsopernsaison verbuchen. Sie wurde natürlich von der Regie ebenfalls „amerikanisiert“, zeigte dabei aber eine starke Bühnen- und Stimmpräsenz. Ebenfalls gut zur Wirkung kam Wolfgang Bankl als polternd-widerlicher Dikoj, während Deborah Polaski als böse Schwiegermutter von André Engel mehr als harsche Domina positioniert wurde. Wenn sich das Monströse an dieser Figur in Sadospielchen mit Dikoj ausleben muss, dann desavouiert man damit nur die scharfe und unerbittliche Charakterzeichnung Janáceks. Im Finale dreht sie die tote Katja noch mit dem Fuß vom Rücken auf den Bauch. Ihr Sieg ist ein vollkommener.

Norbert Ernst sang einen ins Charakterfach sich neigenden Kudrjas, spielte sehr lebendig. Klaus Florian Vogt blieb mir als Boris zu unterbelichtet: das Paar Varvara – Kudrjas dominierte deutlich über Katja – Boris. Marian Talaba steuerte passend den etwas hilflos wirkenden Tichon bei, der bei Katja langfristig kein Leiberl reißt.

Das Stück wird in Originalsprache gegeben. Die drei Akte werden ohne Pause bei einer Länge von etwas über eineinhalb Stunden durchgespielt. Für die Staatsopern-Premiere wurde eine möglichst urfassungsnahe Fassung gewählt, die spröder klingt als spätere „Verbesserungen“.

Der Applaus währte knapp über zehn Minuten, wobei die Vorstellung nicht zu den meistbesuchten der Saison gezählt haben dürfte. Das Regieteam wurde im Applaus mehr oder weniger „übergangen“, für mich wahrnehmbare Buhrufe stellten sich keine ein. In den kurzen Zwischenakten bei dunklem Zuschauerraum gab es kurzen, nicht sehr starken Applaus.

Fazit: An die szenisch und musikalisch dichte „Katja Kabanová“-Produktion des Theaters an der Wien unter Keith Warner / Kirill Petrenko aus dem Jahre 2008 kam diese Staatsopern-Premiere nicht heran.