JENUFA
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Staatsoper
12. Oktober 2022

Dirigent: Tomás Hanus

Die alte Buryja - Margarita Nekrasova
Laca Klemen - David Butt Philip
Stewa Buryja - Michael Laurenz
Die Küsterin Buryja -
Eliška Weissová
Jenufa - Asmik Grigorian
Altgesell - Marcus Pelz
Dorfrichter - Dan Paul Dumitrescu
Seine Frau - Stephanie Houtzeel
Karolka - Anna Bondarenko
Jana - Ileana Tonca
Barena - Jenni Hietala
Schäferin - Daria Sushkova
Tante - Katarina Porubanova

Schicksalsmühle
(Dominik Troger)

Die Pflege der Opern von Leoš Janácek in Wien scheint eigenen Gesetzmäßigkeiten zu folgen, so als müsste man sich immer wieder neu an ihn erinnern. Er kann für Jahre aus den Spielplänen verschwinden, um dann plötzlich wieder überzeugenden Einstand zu feiern: heuer mit der „Jenufa“ im Theater an der Wien und an der Staatsoper. Und „Das schlaue Füchslein“ wird am kommenden Wochenende im Museumsquartier vorbeischauen.

Die „Jenufa“-Produktion der Wiener Staatsoper stammt aus dem Jahr 2002 und erlebte an diesem Abend – laut Programmzettel – ihre 38. Aufführung. Inszeniert hat die Koproduktion mit der Janácek Oper Brno David Pountney. Der Regisseur lässt die Handlung in einer bühnenfüllenden Mühle spielen, zeigt ihr Mahlwerk im ersten Akt, platziert die Stube der Küsterin im zweiten Akt vor bollwerkhaft aufgeschichteten Mehlsäcken, öffnet im dritten Akt die Bühne zu einer hellen, riesigen Scheune (Bühnenbild: Robert Israel). Die Menschen werden ganz klein vor dieser Mühle, die als Symbol für das Schicksalsrad das Leben der Menschen zwischen ihren Mahlsteinen zu zerreiben droht.

Aber was noch viel wichtiger ist: Pountney erzählt die Geschichte, er erzählt sie sehr detailgetreu, manchmal mit fast übertrieben anmutender Genauigkeit. Sogar ein Stempel für die Kennzeichnung der Mehlsäcke ist vorhanden. Von ebensolcher Genauigkeit ist Pountneys Personenführung – und die Wiener Staatsoper hat für diese Wiederaufnahme ein Ensemble engagiert, das solche darstellerischen Vorgaben auch umsetzen kann. Das Ergebnis ist ein szenisch ganz „unverschwurbelter“, packender Opernabend.

Mit Asmik Grigorian in der Titelpartie hat die Staatsoper ohnehin eine Singschauspielern aufgeboten, die in Rollen schlüpft wie in eine zweite Haut. Ihre Jenufa ist allerdings die Jenufa mit der Narbe auf der Wange: die blühende, ausgelassene junge Frau, die Steva zur Liebe begeistert haben mag, ist bereits der Erinnerung anheim gefallen. Jenufas mädchenhafte Unschuld wurde schon durch das Schicksalsrad gedreht, ihre natürliche Naivität, gespeist aus Mährens Hain und Fluren ist längst zwischen die Mühlsteine geraten.

Nun ist das an sich nicht „falsch“, aber es nimmt von der Figur jenen Zauber einer bewahrten Unschuld, die sich allerdings auch in einer aufblühenden Sopranstimme die Seele aus dem Leib singen müsste, um etwa im Finale die Hoffnung auf eine bessere Zukunft engelsgleich auf den Lippen tragen zu können. Aber dafür müsste Grigorians leicht metallische, schon etwas sehnig klingende Stimme Jenufas hartem Los eine schwelgerische Note abgewinnen. Aber wird solch „opernhafter“ Ausdruck in Zeiten des „Musiktheaters“ vielleicht als zu „kitschig“ empfunden?

Es spricht für die Inszenierung, dass in den Pausen über Details der Personencharakterisierung gesprochen wurde – zum Beispiel über die Zeichnung der Küsterin durch Eliška Weissová. Mit viel Tiefe, beeindruckender Höhe und etwas wenig gut tragender Mittellage sang sie eine Mitgefühl erweckende, sehr menschlich wirkende Küsterin – eine fast schon zu menschlich wirkende Küsterin? Die Figur müsste nach meinem Dafürhalten etwas Unnahbares auszeichnen, von einem harten, dämonischen Zug umgeben, der sich erst im dritten Aufzug aufweicht. Sie müsste eine Autorität darstellen, bei der allen Menschen in ihrer Umgebung sprichwörtlich das Blut in den Adern gefriert.

Weissová legte nach meinem Empfinden bereits im ersten Aufzug zu viel Gefühl in die Partie, öffnete zu stark ihr vom Schicksal verhärtetes Herz, wenn sie Jenufa vor einem möglichen künftigen Eheschicksal mit Steva warnt. Damit hat sie eine Entwicklung des Charakters vorweggenommen, die sich erst im dritten Akt zu erfüllen hätte. Auch ihre Demütigung vor Steva im zweiten Akt verlor dadurch an selbstüberwindender Brisanz. Erst im dritten Akt rundete sich für mich ihr Rollenporträt.

Die beiden Tenöre waren gut besetzt und getroffen: Steva in der Person von Michael Laurenz angereichert mit einer leicht charaktertenoralen Überspanntheit, David Butt Philip stellte als liebewerbender Laca beeindruckend seinen Mann. Sein Tenor hatte mit den expressiven Passagen keine Probleme, wobei er mir mit Fortschreiten der Vorstellung immer besser gefiel, am Beginn noch ein bisschen angestrengt klingend. Margarita Nekrasova war eine auch gesanglich noch recht frisch des Daseins sich erfreuende alte Burja und wenig gezeichnet vom Mühlenleben und der eisigen Gegenwart der Küsterin.

Sehr gut in die Produktion einbezogen waren auch die weiteren Mitwirkenden: vom gemütlichen Dorfrichter des Dan Paul Dumitrescu und seiner schnippischen Gemahlin Stephanie Houtzeel, über eine lebenslustige Karolka (Anna Bondarenko) bis zum lebenserfahrenen Altgesellen von Marcus Pelz. Dazu gesellten sich noch Daria Sushkova als Schäferin, Jenni Hietala (Barena) und Ileana Tonca (Jana).

Tomáš Hanus am Pult des Staatsopernorchesters sorgte für eine weitgehend spannende Umsetzung, mehr einer „romantischen“ Tradition verhaftet, die trotz der brutalen Story auch klangschöne Phrasen zulässt und ohne die Partitur mit dem Seziermesser zu zerlegen. Das packende Finale des zweiten Aktes wurde allerdings nicht wirklich auf den Punkt gebracht und die Länge von Generalpausen hat Hanus für meinen Geschmack überdehnt. Der starke Schlussapplaus bliebt knapp unter zehn Minuten.

Die Besprechung ist zuerst auf der Website des Onlinemerker erschienen.