JENUFA
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Theater an der Wien
21. Februar 2022

Dirigent: Marc Albrecht

Inszenierung: Lotte de Beer
Bühnenbild: Christof Hetzer
Kostüme: Jorine van Beek
Licht: Alex Brok

Choreographie: Gail Skrela
Video Design: Paul Sturminger


Arnold Schönberg Chor
ORF Radio-Symphonieorchester Wien

Die alte Buryja - Hanna Schwarz
Laca Klemen - Pavel Cernoch
Stewa Buryja - Pavol Breslik
Die Küsterin Buryja - Nina Stemme
Jenufa - Svetlana Aksenova
Starek - Zoltán Nagy
Dorfrichter - Alexander Teliga
Seine Frau - Václava Krejci Housková
Karolka - Valentina Petraeva
Jano - Anita Giovanna Rosati
Barena - Juliette Mars
Pasthyna - Natalie Kawalek
Tetka - Lilya Namisnyk

Die Küsterin im Fokus
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien verabschiedet sich ab Ende Februar in eine zweijährige Pause zur Gebäudesanierung. Als letzte szenische Produktion vor dem baulichen Intermezzo wurde Leoš Janáceks „Jenufa“ angesetzt. Bis einschließlich 28. Februar werden noch drei Aufführungen gespielt.

Ohne COVID-bedingte Umplanungen ist es auch diesmal nicht abgegangen: Die Premiere musste vom 16. auf den 19. Februar verschoben werden, die Anzahl der geplanten Vorstellungen wurde von sechs auf fünf reduziert. Wer für die Premiere gebucht hatte, musste sich bei den restlichen Vorstellungen um ein Plätzchen bemühen. Den Damen und Herren des Kartenbüros sei an dieser Stelle ausdrücklich für ihr kundennahes Agieren in den letzten zwei Pandemiejahren gedankt.

Diese „Jenufa“-Produktion setzte zudem den Schlusspunkt hinter die 16 Jahre währende Intendanz von Roland Geyer am Theater an der Wien. (Es folgen noch zwei Produktionen an der Kammeroper). Als das Theater an der Wien 2006 wieder in seiner Funktion als Opernhaus inauguriert wurde, hat Roland Geyer die strategische Ausrichtung des Hauses wie folgt umschrieben: Barockoper, Mozart, zeitgenössische Werke. Dazu gesellten sich bald allerhand Raritäten vor allem des 19. Jahrhunderts, was in Summe einen für Opernliebhaber interessanten Spielplan ergab. Die Pflege des zeitgenössischen Repertoires blieb allerdings hinter den Erwartungen zurück.

2006 hätte wahrscheinlich niemand darauf gewettet, dass die beiden letzten Produktionen der Intendanz am Haus der „Tosca“ und der „Jenufa“ gewidmet sein würden. Die „Tosca“-Inszenierung war heiß umfehdet und wild umstritten, die „Jenufa“ hat die aufgebrachten Gemüter wieder versöhnt. Mit Lotte de Beer war interessanter Weise die kommende Volksoperndirektorin als Regisseurin aufgeboten worden – und mit Nina Stemme als Küsterin ist Roland Geyer zum Beschluss seines Wirkens noch ein Besetzungscoup gelungen, der ganz wesentlich zum Erfolg dieser Produktion beigetragen hat. Es war allerdings kein Coup „ins Blaue“ hinein, Stemme hat schon seit einigen Jahren die Küsterin als nächsten Karriereschritt angedacht.

Natürlich gibt es in der Sängerinnenbiographie von Nina Stemme all die Brünnhilden und Kundrys und Isolden und Färberinnen und Elektras, aber die Küsterin ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Ihr Lebensumfeld ist von göttlichen Sphären weit entfernt. Ihr Schicksal wird durch die rigiden gesellschaftlichen Konventionen eines bäuerlich-dörflichen Milieus mit strengen, religiös unterfütterten Moralvorstellungen bestimmt. Hier gibt es kein Rittertum und keine Märchenzeit, sondern nur den brutalen Kampf ums Überleben – ein Kampf, der vielleicht einmal in der Gerichtsglosse irgendeiner Provinzzeitung seinen Niederschlag findet. Muss das Publikum dieses Schicksal nicht wie einen Span zu fühlen bekommen, den man unter Fingernägel treibt?

Es war schwer beeindruckend, wie Nina Stemme sich vom Wotans Kind zum Opfer ländlicher Kleingeistigkeit zu wandeln vermochte: Ihre Küsterin ist eine starke Frau, eine Frau, vor der sich auch Männer fürchten. Aber die Situation um Jenufa schmilzt ihr barsches Innerstes auf. Strenges Auftreten und herrischer Ton wandeln sich im zweiten Akt zu Momenten unter der Haut gehender Demütigung, wenn sie doch noch Steva für Jenufa gewinnen möchte, dem die ganze Aktion schnell ziemlich unheimlich wird. Doch dieser Selbstpreisgabe entschlüpft die Küsterin mit der düsteren Idee, das Kind für die Heirat Jenufas mit Laca zu opfern – und ihre ganze physische und psychische Kraft und Energie wirft sie in die Umsetzung dieser Tat, befeuert von der dunklen, breitströmenden Glut ihrer mächtigen Sopranstimme. In diesen Augenblicken öffnen sich seelische Abgründe, die eine Brünnhilde nie gesehen hat – und schnell zeigen sich die ersten Spuren des Verfalls, eine den ganzen Körper erfassende Schwächlichkeit, eine durch Winterstürme heraufbeschworene Vision des Todes. Im dritten Akt wird das Schicksal der Küsterin besiegelt. Das Geständnis ist nur noch ein Aufbäumen, um Jenufa zu retten, ehe sich die sisyphosgleiche Pein einstellt, die Geschehnisse um Jenufa nie mehr vergessen zu können.

Stemme hat in der Regisseurin Lotte de Beer augenscheinlich eine starke Verbündete gefunden, die die Küsterin als die zentrale Figur der Oper nicht nur formal herausgestrichen, sondern in der Personenführung die Entwicklungsphasen des Figurencharakters sehr gut herausgearbeitet hat. Die formale Konzeption – die Küsterin befindet sich im Gefängnis, erlebt die Geschichte in der Rückblende – ist für das Verstehen der Oper zwar nicht notwendig, ermöglichte aber eben doch jene Fokussierung, die sich wegen der intensiven Umsetzung durch Nina Stemme als tragende Säule der Aufführung erwiesen hat. Außerdem wurde die rahmende Gefängnissituation mehr angedeutet, als grobklotzig präsentiert – und bis auf ein wichtige Ausnahme konnte sich die Handlung ohne Irritationen entlang des Textbuches entfalten.

Die gegenüber der Vorlage etwas in Schwebe gehaltene Sicht der Regisseurin ließ sich auch am Bühnenbild ablesen, das in seiner schäbigen Erscheinungsform nicht unbedingt Gefängnis, sondern auch Teil einer Mühle oder ein ärmliches Haus hätte vorstellen können. In diesem trostlosen Gemäuer befanden sich rechts (vom Publikum aus betrachtet) ein Bett, dahinter ein paar Heiligenbildchen an der Wand. Links führte eine schmale Treppe in den ersten Stock, in dem, von einem wenig Vertrauen erweckenden Geländer begleitet, ein balkonartiger Quergang nach rechts verlief, das Bett sowie die angedeutete Zelle der Küsterin im Erdgeschoß überdeckend. Nach links war die Drehbühne ein wenig geöffnet, um Platz für das Volk zu schaffen. Der zweite Akt zeigte eine armselige Stube mit Tischchen und zwei Sessel und kurz bekam man auch Jenufas Zimmer zu sehen. Die Gefängnisatmosphäre wurde am Beginn durch eine Wache und andere gefangene Frauen angedeutet, das Finale zwischen Jenufa und Laca spielte im ersten Stock auf diesem erwähnten Quergang. Erträumt sich am Schluss die einsitzende Küsterin hoffnungsfroh eine gute Zukunft für die beiden?

Doch was hat es mit der oben angesprochen „Ausnahme“ an sich? Es handelt sich um die Gruppenvergewaltigung Jenufas durch Steva und die Rekruten. Aber die Szene wird dem Publikum nicht „plump“ aufs Auge gedrückt, sondern korrespondiert mit Auftritten von Perchten und „Kornmanderln“ und entwickelt sich aus der ausgelassenen Feier der Dorfjugend. Vor der Vergewaltigung ziehen sich die Männer Tiermasken über das Gesicht. Am Schluss des zweiten Aktes wird eine dieser Perchten mit rundem, mondartigem Gesicht den Tod symbolisieren – und für einen ganz starken Bühneneffekt sorgen. Es liegt auf der Hand, dass de Beer mit diesen Zutaten die naturalistische Basis der Handlung verlässt. Verargumentieren könnte man sie als Wahnbilder der Küsterin, als einen durch religiös-archetypische Symbolik ausgedrückten psychotischen Prozess, in dem beispielsweise die Schwangerschaft Jenufas als Resultat eines Gewaltaktes erlebt wird. Man kann diese „Zutaten“ auch kritisch sehen, aber im Kontext der Produktion geht die Rechnung auf. Die Handlungszeit der Inszenierung war nicht genau festzumachen, Trachten sind zeitlos, das Gebäude tendierte stark ins 19. Jahrhundert, die Augengläser von Laca wollten nicht so ganz in den ländlichen Kontext passen. Erwähnenswert sind zudem einige Schatteneffekte, die für eine bedrohliche Stimmung sorgten.

Musikalisch ist neben Nina Stemme zuerst das ORF Radiosymphonieorchester unter Marc Albrecht zu nennen. Albrecht gelang es, für einen homogenen Gesamteindruck mit Sogwirkung zu sorgen: Er fand eine gute Balance zwischen den rührenden Passagen (in denen Janacek zum Beispiel geschickt die Mutterliebe Jenufas ausbreitet, um ihr tragisches Schicksal um so deutlicher Herauszustreichen), bis zu den gewalttätigen Orchesterausbrüchen. Den feinen Schmelz des Staatsopernorchesters darf man sich nicht erwarten, der Klang war robuster, man könnte angesichts der Geschichte auch schreiben „ehrlicher“ – aber um die Emotionalität wurde man trotzdem in keiner Sekunde betrogen. Die Lautstärke schien mir der Dirigent auf meinem eher bühnennahen Platz am zweiten Rang einigermaßen unter Kontrolle zu haben. Gespielt wurde die Brünner Fassung von 1908.

Die Jenufa der Svetlana Aksenova war eine liebenswerte Bühnenerscheinung, die von frischer Unbekümmertheit bis zum verzeihenden Finale glaubwürdig ihr Schicksal durchmaß. Gesanglich musste sie ihren Sopran einige Male über Gebühr forcieren, was zu einigen angestrengten Tönen führte. Pavol Breslik und Pavel Cernoch wussten als Steva und Laca zu glänzen, wobei mir Cernoch mit seinem schlanken, aber durchschlagskräftigen, unermüdlich um Jenufa buhlenden Tenor noch mehr Respekt einflößte. Die unterschiedlichen Charaktere der beiden Männer wurden von ihnen sehr gut herausgearbeitet.

Hanna Schwarz gab die Großmutter mit einer Stimme, die das Alter dieser Bühnenfigur nicht beschönigte. Das Kaleidoskop der übrigen Landbevölkerung hinterließ in Summe einen guten Eindruck, von der schnippischen Richtersgemahlin (Václava Krejci Housková) und ihrem Mann (Alexander Teliga) samt Tochter (Valentina Petraeva) bis zum lernbegierigen Jano (Anita Giovanna Rosati) und weiteren mehr. Und der Arnold Schönberg Chor war auch wieder mit Überzeugungskraft am Spielen und Singen. Das Publikum reagierte mit starkem Beifall, schon im Pausenfoyer des zweiten Aktes wurde von „Gänsehauteffekten“ berichtet. Der Abend dauerte einschließlich einer Pause ziemlich genau zweieinhalb Stunden.

Fazit: Eine gelungene Produktion und ein würdiger Abschluss vor den beginnenden Bauarbeiten. Diese sind laut Zeitungsberichten mit rund 60 Millionen Euro veranschlagt. Ein Lift soll eingebaut werden, das Fundament und der Dachstuhl werden saniert. Kommende Saison soll im Museumsquartier gespielt werden. Stefan Herheim, der neue Intendant, ist darum nicht zu beneiden. Es wird stark auf den Spielplan ankommen, ob das Haus dort reüssieren kann.