JENUFA
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Wiener Staatsoper
Premiere
24.2.2002

Dirigent: Seiji Ozawa
Inszenierung: David Pountney
Bühnenbild: Robert Israel
Kostüme: Marie-Jeanne Lecca
Licht: Mimi Jordan Sherin

Choreinstudierung: Ernst Dunshirn
Choreographie: Renato Zanella

Die alte Buryja - Anny Schlemm
Laca Klemen - Jorma Silvasti
Stewa Buryja - Torsten Kerl
Die Küsterin Buryja - Agnes Baltsa
Jenufa - Angela Denoke
Altgesell - Wolfgang Bankl
Dorfrichter - Walter Fink
Seine Frau - Helene Ranada
Karolka - Renate Pitscheider
Schäferin - Stella Grigorian
Barena - Cornelia Salje
Jana - Ileana Tonca
Tante - Waltraud Winsauer

"Ungeschminkter, symbolentladener Realismus "
(Dominik Troger)

Diese Jenufa ging unter die Haut. David Pountney (Inszenierung) und Seiji Ozawa (musikalische Leitung) setzten auf einen expressiven Realismus, der die einzelnen Figuren unerbittlich dem existenziellen Mahlstrom menschlichen Schicksals unterwarf - ungefähr so, wie jenes im ersten Akt sich drehende Mühlrad aus jedem noch so kleinen Getreidekörnchen den Lebensaft herausquetscht.

Pountney hat in einem Interview für das Programmheft den "Erlösungsaspekt" der Jenufa allerdings viel deutlicher angesprochen, als er mir dann wirklich umgesetzt schien: "Sichtbar, oder besser hörbar gemacht wird der Erlösungsgedanke durch die Musik, die vom ersten bis zum dritten Akt immer mächtiger wird, sich stets zu steigern scheint. Das Schöne an dieser Oper ist, daß sie eine positive Grundaussage hat." Und etwas später: "Der erste Akt ist ziemlich realistisch - es wird getanzt, gearbeitet; im zweiten Akt muß ein glaubwürdiger Raum existieren, in dem Jenufa leben kann; der dritte Akt spielt dann in einem nicht näher definierten ‚Erlösungsraum'."

Aber für meinen Begriff - und in Anbetracht dieser Aufführung - hat Janacek keine "Erlösungsoper" komponiert, da greifen Kindsmord, Schande, Gewalt und Liebe viel zu eng ineinander. Und Jenufas mehrmaliges "Gottesbemühen" führt sich im Grunde ad absurdum. Was bleibt ist die Bewährung oder Nicht-Bewährung des Einzelnen in seinem Schicksal, hier drastisch und unerbittlich vorgeführt. Auch wenn Jenufa und Laca am Schluss doch noch so etwas wie Hoffnung und Tröstung in ihrer geläuterten Liebe finden (könnten).

Das mag manchen vielleicht ein wenig zu roh erschienen sein, da hing die Gefahr der Überzeichnung beständig in der Luft, da wurde aber nur mittels der operettenhaften mährischen Festkostüme im dritten Aufzug an die Grenze der ironischen Besserwisserei geschrammt. Denn Pountney und Ozawa nutzten sogar die folkloristischen Momente als Quelle dumpfer, massenhafter Bedrohung, und die lustige Dorfgesellschaft im ersten Akt ragte mit einem Fuss immer schon über den Abgrund alkoholgeschwängerter Raserei.

Verbunden mit der emotionalen Gebärdensprache der Sänger, erzeugte das bei den Zusehern eine Art von Paralyse, wie man sie dem Kaninchen nachsagt, das einer Schlange angesichtig wird. Die Spannung im Haus war spürbar und prägnant. Das mährische Bauernleben schlug sich mit der Wucht einer griechischen Tragödie nieder - und natürlich darf man das ein wenig zu überhöht finden. Letztlich war die dramatische Akzentuierung, auch vom Orchester, so stark, dass man die sängerischen Leistungen fast nur noch als zweitranging empfinden musste. Trotzdem gab es hier deutlich hörbare Abstufungen - und gegenüber Angela Denoke und Agnes Baltsa hatten die Männer, der Laca von Jorma Silvasti und der Stewa von Torsten Kerl keinen so guten Stand.

Während man sich mit der Jenufa von Angela Denoke schnell anfreunden konnte, brauchte es ein wenig Zeit, sich auf Agnes Baltsa als Küsterin einzustellen. Sie reifte erst im dritten Akt zu dieser inneren Größe, die der Küsterin ihren ganz eigenen Stellenwert zuspricht. Aber es braucht vielleicht noch ein paar Mal "Jenufa", bis sie zu diesem monolithischen, am Leben scheinbar konturlos geschliffenen Felsblock wird, der dann nach und nach zerfällt und das eigentliche Herz bloßlegt. Man muss gerade die Rolle der Küsterin auch als inneren Reifungsprozess begreifen, und die Jenufa hat es da im Vergleich viel leichter, sich glaubwürdig einzubringen, als diese psychologisch so vielschichtig ausgearbeitete Rolle.

Natürlich läge es nahe, diese Premiere mit den "legendären" Jenufa-Aufführungen an der Staatsoper in den frühen 80er Jahren zu vergleichen. Aber je länger der Abend dauerte, umso unzulässiger schien mir ein solcher Vergleich zu werden. Damals war alles "opernhafter" und bewegte sich mit Sena Jurinac, als einer fast dämonischen Verkörperung der Küsterin, und der engelsgleichen Gabriela Benackova-Cap als Jenufa auf konventionelleren, musikalischeren Pfaden als diese psychologische Fallstudie, die Pountney der Jenufa in bravouröser Manier abgerungen hat. Denn diese Neuproduktion entsagt jedem auch noch so dünnen Illusionsschleier, der sich zwischen Bühne und Publikum legen könnte. Das ist so wie das Bild zur Hochzeitsgesellschaft im dritten Akt, wie diese weißgefärbelte weiße Riesenscheune mit dem langen, schmalen Tisch: des Lebens ungeschminkte Kargheit. Da gibt es kaum mehr einen Funken Hoffnung auf der Welt.

Die seelische Erschütterung nachher war groß. Der Applaus war heftig. Keine Buh-Rufe. Sogar Pountney wurde - wenn auch deutlich weniger enthusiastisch als Baltsa, Denoke und Ozawa - gehuldigt. Ein bedeutender Abend!