DIE AUSFLÜGE DES HERRN BROUCEK
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Wiener Volksoper
Premiere
18.2.2006

Dirigentin: Julia Jones
Inszenierung: Anja Sündermann
Bühnenbild: Sascha Weig
Kostüme: Claudia Kofler
Licht: Wolfgang Könnyü

Choreinstudierung: Michael Tomaschek

Aufführung in deutscher Sprache

Mathias Broucek - Heinz Zednik
Mazal/Sternenfried/Peter - Ferdinand von Bothmer
Sakristan/Mondkristan/Domsik - Christian Sist
Malinka/Etherea/Kunka - Edith Lienbacher
Würfl/Zauberlicht/Schöffe - Mathias Hausmann
Piccolo/Wunderkind/Scholar - Jennifer O'Loughlin
Gertrude - Andrea Bönig
Wolkenfrau/Vacek - Daniel Schmutzhard
Farbenspiel/Vojta - Christian Drescher
Harfenklang/Miroslav - Sebastian Reinthaller
Cech - Sebastian Reinthaller
1. Taborit - Heinz Fitzka
2. Taborit - Marian Olszewski


Viel Schaum und wenig Bier
(Dominik Troger)

Die selten gespielten „Ausflüge des Herrn Broucek“ kann man jetzt an der Wiener Volksoper miterleben: einmal geht es zum Mond, einmal ins Jahr 1420 zu den Hussiten. Aber diese Neuproduktion von Janáceks Opernsatire wirkte mindesten so schwammig wie Brouceks Bierbauch.

[1] Wer oder was ist Mathias Broucek? Er ist ein kleinbügerlicher Hausbesitzer, der sich täglich in seinem Stammwirtshaus einen Rausch antrinkt und dem dann ganz seltsame Träume zufliegen. Broucek ist einerseits selbst Gegenstand der Satire, ein kleiner Kapitalist und Schlachtenführer, im Bierdunst am Stammtisch, andererseits wird er dazu benützt, um den Prager Kulturbetrieb des späten 19. Jahrhunderts aufs Korn zu nehmen. Deshalb wird er auf den Mond geschickt, damit er dort mit seinen ganz „normalen“ Lebensbedürfnissen die Mondsozietät durcheinanderbringt. Deren feine Nerven samt absonderlicher Lebensweise (nur Riechen und Verseschmieden statt Essen!) haben für Würste beispielsweise überhaupt nichts übrig. Aber Broucek ist kein Vegetarier, er ergreift die Flucht.

[2] Im zweiten Bild siegt die nationalistische Komponente (angesichts der zerbröckelnden Donaumonarchie kein Wunder – die man als historischen Background zur Werkentstehung nicht vernachlässigen sollte). Die Musik wirkt da schon sehr pompös, fast wie ein Hussitenrequiem, wenn die aufrechten Prager dem deutschen Kaiser eins überziehen. Der arme Broucek, der für das alles kein Verständnis hat, versucht sich durchzuschwindeln, wird entdeckt und zum Tode verurteilt. Broucek hat eben Alpträume, wenn er besoffen ist.

[3] Der Broucek des ersten Teils findet sich nur bedingt im zweiten wieder – das macht ein durchgehendes Regiekonzept nicht einfach. Zumindest im zweiten Teil steht Brouceks kleinbürgerlicher Egoismus zur großen heroischen, nationalen Tat in deutlichem Widerspruch. Aber wie sieht Janácek selbst seinen alkoholgetriebenen Titelhelden? Janácek hat sich über diese Figur folgendermaßen geäußert: „Ich wollte, daß uns ein solcher Mensch widerwärtig werde, daß wir ihn auf jedem Schritt vernichten, erwürgen – aber vor allem in uns selbst, damit wir in der Reinheit des Geistes der Märtyrer unseres Volkes wiedererstehen.“ (Zitat nach dem aktuellen Volksopernprogrammheft Seite 31.) Janácek hat an dem Werk neun Jahre gearbeitet – den ersten Teil hatte er schon 1908 begonnen, den zweiten 1917 sehr rasch abgeschlossen. Auch das könnte diese unterschiedlichen Zugänge zur Hauptfigur im ersten und im zweiten Teil erklären.

[4] Also, wer oder was ist Mathias Broucek? Eine Inszenierung muss sich doch entscheiden, sie kommt um eine sehr genaue Charakterisierung der Hauptperson nicht herum. Wo sollen die Schwerpunkte liegen? Auf der satirisch-humoristischen Seite? Soll Broucek mehr den liebenswerten Säufer abgegeben oder einen ekelhaften Widerling? Wie konkret nimmt das Bühnenbild auf Prag, den Mond und die Hussiten bezug? Janáceks Musik ist von sich aus nicht sehr satirisch, am Schluss des ersten Teils wird sie schon fast elegisch. Brouceks Heimkehr vom Mond nach Prag wird mit einem spätromantischen Zwischenspiel belohnt, die Liebe zur „goldenen Stadt“ glüht durch jede Note. (Das ist auch eine der musikalisch reizvollsten Stellen der ganzen Oper). Im 2. Teil – meiner Meinung nach der schwächere – wird die musikalische Sprache schroffer, in gewisser Weise auch pathetischer. Eigentlich unterläuft Janácek hier seine eigenen, ursprünglich satirischen Intentionen.

[5] Dass es schwer ist, beide Teile in den Griff zu bekommen, wurde anhand dieser Neuproduktion nur allzu deutlich. Heinz Zednik wirkte den ganzen Abend lang wie sediert von üppigem Biergenuss. Er durfte weder einen bösartigen noch einen witzigen Broucek mimen, und so wurde es ein Broucek, mit dem man höchstens wegen seines Säuferschicksals ein wenig Mitleid haben konnte. Da fanden sich kaum satirische Kanten oder abstoßende Züge. Wo blieben der kleinbürgerliche Kapitalist oder der kakanische Überlebenskünstler? Ich glaube, man hat von Seiten der Regie versucht, Broucek „ernst“ zu nehmen. Und deshalb schmeckte alles ein wenig fad, wie schlecht eingeschenktes Bier, dessen Schaum wenig labt und den Durst nicht stillt.

[6] Schon die Idee, Brouceks Bett und Schafzimmer zum eigentlichen Zentrum des Bühnenbildes, ja der ganzen Inszenierung zu machen, halte ich für ein großes Missverständnis. (Es grenzt den Handlungsraum zu sehr ein. Das absurde Moment der Oper wird durch diesen hölzernen Realismus negiert. Die Satire wird um ihre skurillen Nuancen betrogen.) Schließlich ist ohnehin klar, dass Broucek träumt – und das Bett wird schnell zum phantasielosen Artefakt. Denn was passiert da sonst noch auf diesem kargen Mond, zu dem sich das Bett dank Bühnenmechanik emporschraubt? Man läuft in grellfarbigen, poppigen Kostümen herum, kann aber als Zuseher weder erkennen warum, noch was daran „satirisch“ sein soll. Vielleicht hätte es geholfen, diese Mondgesellschaft mit aktuellen Bezügen auszustatten, Masken berühmter Zeitgenossen etc.? Was hätte dagegen gesprochen, dass Broucek besoffen aus einer Rakete kippt? An Ideen sollte doch wirklich kein Mangel sein. Und Brouceks biersäuferischer „Kulturchauvinismus“ hätte sich exzessiv und knackwurstessend an der High-Society des Mondvolkes ausgelebt. Aber so war die Projektion einer großen, beutemachenden Spinne der eigentliche Höhepunkt – ein Leckerbissen für Arachnologen und Angstpatienten.

[7] Trotzdem gehörten diese letzten zwanzig Minuten des ersten Teils zu den stärkeren Eindrücken des Abends, sind auch musikalisch reizvoll. Am Schluss machte sich sogar ein melancholisches Nachsinnen breit, wenn Broucek im Nachthemd und mit roten, löchrigen Stutzen angetan, voller Verwirrung erwacht. Vielleicht kann man da die Nöte Brouceks fast verstehen, die ihn dazu treiben, viel Bier zu trinken und dann schlecht zu träumen. Aber Satiriker mit Mitleid schaden nur sich selbst. Der zweite Teil fand dann sowieso keine Linie, inmitten historischer Versatzstücke. Das unhinterfragte nationale Element löste vor allem Befremden aus. Das Bett stand natürlich wieder auf der Bühne, später mit weißem Laken verhüllt. Eine Videoeinspielung zoomte auf Prag – Google Earth ließ grüßen. (Diese Idee hätte besser an den Schluss des ersten Teils gepasst, als Fall vom Mond zurück auf die Erde.)

[8] Das Volksopernorchester und -ensemble sorgte für eine engagierte, aber letztlich zu harmlose Umsetzung. (Ich denke da zum Beispiel an die blumig-belanglosen Verschen der Mondbewohner, die eine ironisierende Doppelbödigkeit im Ausdruck geradezu herausfordern.) Die Titelpartie war mit Heinz Zednik ideal besetzt, stimmlich war er an diesem Abend rüstig unterwegs. Ferdinand von Bothmer meisterte die schwierige Tenorpartie des Mazal (und seiner Traumspiegelbilder). Edith Lienbacher wechselte emotional und gesanglich überzeugend zwischen traurigem Prager Mädel, kühler Mondbewohnerin und fanatisierter Hussitentochter. Christian Sist, Mathias Hausmann, Jennifer O’Loughlin, Andrea Bönig und weitere Mitwirkende sorgten für den einen oder anderen Farbtupfer. Das Orchester war von Julia Jones zu eher trockenerem Spiel angehalten worden. Den Klangkaskaden des zweiten Teils tat das sicher gut – aber vieles hätte ich mir witziger, pointierter, auch schwelgerischer vorstellen können. Seltsam wirkte, dass man den Chor im zweiten Teil nicht auf der Bühne singen ließ.

[9] Das Publikum spendete freundlichen Premierenapplaus mit Bravorufen. Sogar für das Regieteam um Anja Sündermann.