HÄNSEL UND GRETEL
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Kammeroper
12.5.2016
Premiere


Dirigent:
Vinzenz Praxmarer

Regie: Christiane Lutz
Bühne & Video: Christian Tabakoff
Licht: Franz Tscheck
Video: Andrzej Goulding
Kostüme: Natascha Maraval

Wiener KammerOrchester

Kammermusikfassung von Helga Pogatschar

Peter, Besenbinder - Tobias Greenhalgh
Gertrud, sein Weib - Natalia Kawalek
Hänsel - Jake Arditti
Gretel -Viktorija Bakan
Die Knusperhexe - Thomas David Birch
Sandmännchen
- Julian Henao Gonzalez
Taumännchen - Natalia Kawalek

Stumme Rolle:
Ein Ganove - Johannes Kermetter


Denaturiertes Märchen
(Dominik Troger)

Die Kammeroper spielt „Hänsel und Gretel“ als Wiener „Gangsterstory“ zwischen Fleischmarkt und Reumannplatz. Zwei Kinder kommen ihren Eltern auf die Schliche, die einen Banküberfall planen. Wer im Publikum während dieser Aufführung an Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ denkt, hat schon verloren.

Viel Fantasie und kaum eine Übereinstimmung mit dem anschaulichen Libretto: Süßigkeiten werden zu Goldbarren und aus Besen werden Staubsauger. Es gibt keinen Wald und keine Engelträume und naturgemäß auch keine Lebkuchenkinder. „Hänsel und Gretel“ erzählt an der Kammeroper die Geschichte von den Kindern eines Staubsaugervertreters. Die Handlung spielt laut Programmheft in den frühen 1980er-Jahren in Wien. Die Bühne zeigt am Beginn das Geschäftslokal von Papa Staubsaugervertreter. Hier soll der Hunger wohnen? Die Milch wird aus einem prosaischen Packerl verschüttet – und selbstbewusst greift Mama Staubsaugervertreter zur Geldbörse und schickt die Kinder aus dem Haus, damit sie sich etwas zu essen kaufen. Selbige fahren zum Reumannplatz, um sich beim Eissalon T**** mit (Erbel)-Eis einzudecken. Als Papa Staubsaugervertreter nach Hause kommt, macht er viel Radau, und findet das mit der Hexe möglicherweise sogar lustig. Aber eigentlich hat er nur seinen Banküberfall im Kopf und gräbt mit zwei Kumpanen an einem Tunnel unter dem Fleischmarkt zu den Schließfächern.

Die Kinder entdecken den Tunnel, werden in selbigem von den mit Bergwerkshelmen ausgestatteten Mithelfern des Vaters mit „Äther“(?) betäubt (Sandmann!). Die angeblich betäubten Kinder krabbeln trotzdem in ein Modegeschäft, das die Bankräuber irrtümlich „angebohrt“ haben. Dort verkleiden sie sich als Engel – oder so. Der „hexende“ Securitymann ist ein Bekannter der Frau Staubsaugervertreter. Er nimmt die Kinder nach der Pause in Empfang, die es tunnelwärts doch noch bis zur Bank geschafft haben. Gretel muss mit ihm falsche Goldbarren aus Gips fabrizieren (!!), während Hänsel die Schließfächer leer räumt. Schließlich wird der Securitymann von den Kindern in ein solches hineingeschubst. Mama und Papa Staubsaugervertreter kommen durch das Tunnel gekrochen, „retten“ die Kinder, und danken Gott, dass er ihnen in höchster Not die Hand gereicht hat.

Also eine Parodie?! Nein, ganz im Gegenteil: Im Programmheft begründet die Regisseurin Christiane Lutz ihre Herangehensweise. Es ist vom Vertrauensverlust der Kinder gegenüber ihren Eltern die Rede, weil die Eltern ihren Kindern verschweigen, was für ein übles Handwerk sie treiben. Der Beruf des Staubsaugervertreters bezeichne zudem den niedrigen sozialen Status der Eltern, der (Zitat) „zu oft auch über die soziale Zukunft der Kinder entscheidet; denn wohlhabend wird der Vater mit diesem Business niemals werden.“ Weil die Kinder ihren Eltern nachspionieren, (Zitat) „(...) entfernen sie sich vom Kind-Sein und beginnen selbstbestimmt ihren eigenen Weg der Erkenntnis zu gehen.“ Besonders abgründig ist natürlich der Securitymann angelegt, der am Tag bei Mutter Staubsaugervertreter den Guten mimt und doch heimlich die Goldbarren klaut, die er bewachen soll. Aber mache sich jeder selbst seinen Reim darauf.

In die Kammeroper passt natürlich kein hochromantisches „Wagnerorchester“. Deshalb wurde eine auf elf Instrumente angepasste Fassung der deutschen Komponistin Helga Pogatschar gewählt. Die Komponistin war offenbar bestrebt, die üppige Gefühlsromantik aus der Musik Humperdincks konsequent zu eliminieren. Die Partitur wurde deshalb radikal der Violinen entledigt und für einen Kontrabass, ein Cello, sowie Akkordeon, Blockflöte, Klarinette, Hackbrett, Harmonium, Schlagwerk, Gitarre, Klavier und Celesta maßgeschneidert. Nicht nur der etwas volksschülerhafte, wohl ironisierend gemeinte Blockflötenton in diesem „Stubenmusik-Ambiente“ war gewöhnungsbedürftig, sondern auch manch leicht verquollen klingende Anreicherung mit Harmonium und Akkordeon. Der Abendsegen wurde dermaßen nicht nur durch die Regie entkitscht und entzaubert. Das mit 12 Musikern besetzte Wiener KammerOrchester unter Vinzenz Praxmarer sorgte im Orchestergraben für die Umsetzung. Hätten sich aus dieser Fassung mehr Klangfarben, hätte sich mehr Spannung herausholen lassen?

Die Sängerbesetzung war eine Konzession an den Studiobetrieb des Theaters an der Wien in der Kammeroper. Ich hätte mir eine stückgerechtere Auswahl gewünscht. Der Hänsel (Jake Arditti) war mit einem Countertenor besetzt. Seine Stimme ließ im Vergleich zu einem Sopran ein virileres, leicht überspanntes Timbre hören. Das hat die Figur nicht mehr sehr knabenhaft gezeichnet. Der Sopran der Gretel (Viktorija Bakan) war mir ebenfalls zu reif und zu kühl, ohne den blühend naiven Mädchenton. Die Mutter (Natalia Kawalek) geriet bei den „Walkürenmomenten“ etwas an ihre Grenzen – und als Taumännchen (!), das aus dem Radio zu den Kindern sang, mühte sie sich mehr, als dass sie kindlichen Charme versprüht hätte. Thomas David Birch, der seine Tenor-Hexe mit einigen Krafttönen anreicherte, sang wieder sehr ungeschliffen. Der lyrische Tenor Julian Henao Gonzalez musste als Sandmännchen (!) und Tunnelbohrer auf die Bühne. Der Vater (Tobias Greenhalgh) hinterließ den angemessensten Eindruck und grub und sang sich unter dem Fleischmarkt zur nächsten Bankfiliale.

Beim Schlussvorhang gab es drei, vier lautstarke Buhrufe gegen das Regieteam sowie den üblichen Premierenjubel, der knapp fünf Minuten lang anhielt.