SANCTA SUSANNA

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Konzerthaus
24.10.2019
Semikonzertante Aufführung

Dirigent: Marin Alsop

Regie: Kateryna Sokolova

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Damen der Wiener Singakademie


Susanna - Ausrine Stundyte
Klementia - Renée Morloc
Alte Nonne - Annette Schönmüller
Eine Magd - Caroline Baas
Ein Knecht - Enzo Brumm


Die heilige Susanna im Konzerthaus
(Dominik Troger)

Marin Alsop, die neue Chefdirigentin des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien, gab ihr Antrittskonzert im Konzerthaus. Nach der Pause stand Paul Hindemiths Kurzoper „Sancta Susanna“ auf dem Programm.

„Das zweite Stück heißt 'Sancta Susanna' und ist von August Stramm verfaßt. Eine Nonne liebt in Jesus Christus den geistlichen, noch mehr aber den fleischlichen Bräutigam, mit dem sie sich in Umarmung verbinden will. (…) Auch in diesem Stück, das Hindemith fest, kräftig und schlank zum dramatischen Höhepunkt führt, spürt man die Nerven eines Vollblutmusikers, die nach der musikalischen und psychiatrischen Mode von heute funktionierenden Nerven.“ (NEUES WIENER JOURNAL; 4. Juni 1922)

Das Werk wurde 1922 in Frankfurt am Main uraufgeführt und bildete zusammen mit „Mörder, Hoffnung der Frauen“ und „Das Nuschi-Nuschi“ ein „Tryptichon“, das zeitgenössische Rezensenten durchaus zu einem Vergleich mit Puccini hinreißen konnte (dessen „I trittico“ wurde 1918 uraufgeführt) – wobei aber mehr die Unterschiede, als die Gemeinsamkeiten beider Tonkünstler betont wurden.

Aber wenn man Puccinis „Schwester Angelica“, Schönbergs „Erwartung“ und die Strauss'sche „Salome“ in einem Topf verrührt, dann kommt vielleicht eine „Sancta Susanna“ heraus. Hindemith ist in seinem Tryptichon Bannerträger einer neuen Komponistengeneration und des Expressionismus mit Skandalpotenzial. Die erotische Geschichte aus dem Nonnenkloster spielt mit Tabubrüchen und einem sexualisierten Mystizismus.

Die Oper dauert eine knappe halbe Stunde, sie wurde in einem semikonzertanten Arrangement von Kateryna Sokolova gegeben, das eigentlich entbehrlich war. Natürlich geht es in dem Stück um erotisches Erwachen und um Sexualität, aber die Ausblendung des religiösen Anteils hat der Sache ihre tabubrechende Kraft genommen. Die Szenenanweisungen sind so ausführlich, dass man sich die Handlung nur in einem passenden sakralen Ambiente vorstellen kann (und sich dabei hoffentlich nicht vor dem Herren „versündigt“).

Sokolova gab den Ausführenden ein leicht lesbisch überbackenes Nonnengehabe, in dem Schwester Susanna und Schwester Klementia auf Tuchfühlung gingen. Statt der geforderten Nacktheit streifte sich Susanna die Bluse der Magd über, die die schwüle Frühlingsluft mit ihrem Lustschrei durchtränkt hat. Diese Lösung war insofern „elegant“, weil sie die Ausführenden zu keinem, in dieser konzertanten Aufführungssituation womöglich besonders unangenehmen Exhibitionismus zwang.

Außerdem hat Hindemith eine aus den Szenenanweisungen ableitbare Bewegungschoreographie sowie Pausen mitgedacht und komponiert – eine Bewegungschoreographie, die sich natürlich an dem Innenraum einer Kirche orientiert, die das überlebensgroße Bild des Gekreuzigten und Kerzenlicht schmücken. Sie wird von einer religiös-rituellen Gestik geprägt, die von Susanna im Akt ihrer Entkleidung dramatisch durchbrochen wird. In dieser semikonzertanten Aufführung war wenig davon zu merken. Zieht man die religiöse Ebene ab, bleibt immerhin ein „Coming out“ zurück, durch das man die emanzipatorische Energie dieses Stücks erahnen kann: Susanna weist am Schluss die Aufforderung der Nonnen zurück, eine Beichte abzulegen. Sie negiert ihre „blasphemische Schuld“. Sie hat das Nonnengewand abgestreift und damit auch ihre Unterwerfung.

Hindemiths Musik ist sehr stimmungsmalend, aber auf eine mehr sachliche, klare Art. Vom flötengetriebenen Windgeflüster bis zur musikalisch orgiastisch untermauerten sexuellen Selbstentäußerung spannt sich der Bogen, in ein musikalisches und handlungsgemäßes Crescendo eingebettet. Susanna muss allerdings mit „Salome-Verzückung“ ausgeführt werden, und die kam nicht wirklich beim Publikum an. Ausrine Stundyte (Susanna) und Renée Morloc (Klementia) gelang es aber, trotz der nicht idealen Aufführungsbedingungen, einiges an Spannung aufzubauen. Und so erlaubte diese Aufführung, unterstützt vom ebenso sachlichen und klaren Dirigat, einen interessanten Blick auf ein Werk, dessen emanzipatorische Energie vom Charakter des „Zeitstücks“ doch deutlich überlagert wird. Die Beleuchtung war im Saal während der Aufführung abgedimmt. Die Oper ist zuletzt vor 30 Jahren im Konzerthaus erklungen.

Hindemith hat sich später von seinen skandalträchtigen „Jungendsünden“ abgekehrt. Vor der Pause kam mit der „Mathis der Maler“-Symphonie ein „späterer“ Hindemith zur Aufführung. Auch hier war die Umsetzung von einer sachlichen, klaren Klangsprache bestimmt. Marin Alsop hat das RSO Wien zu einem mehr entschlackten, strukturbetonenden Spiel animiert, in der Emotionalität eher reduziert. Das eignet sich für Neuere Musik, die romantisierenden, wehmütigeren Anklänge in Hindemiths Komposition, so manch „melancholisch-mahler’sche Streichergeste“, gerieten zurückhaltend und pathosarm – so als habe man dem Mathias sein Mittelalter „wegretuschiert“.

Klarheit zeichnete auch die Wiedergabe von „Rapture“ (Christopher Rouse, 1999-2000) und die Uraufführung von Lera Auerbachs „Evas Klage. O Blumen, die niemals blühen werden“ – inspiriert von John Miltons „Paradise Lost“. Beide Stücke haben eine Läge von rund zehn Minuten. Christopher Rouse ist 2019 verstorben, sein „Rapture“ ist vielleicht deshalb auf den Programmzettel gerutscht. Das Stück findet nach einem etwas düsteren Beginn zu einem von zwitschernden Querflöten angeregten Impressionismus, ehe sich die destruktiven Elemente, die durch massive Orchesterausbrüche gekennzeichnet sind, durchzusetzen beginnen.

Lera Auerbach ließ Eva in einem orchestralen „Spieluhrenmodus“ klagen, von den schwebenden Tönen der Martinot-Wellen angereichert. Diese erinnerten an frühe Synthesizermusik und wogten wie kosmische Energien durch die mehr verinnerlichten Klangräume des „verlorenen Paradieses“. Das Werk ist nicht ohne Reiz, vor allem ab der Mitte, wenn diese „Spieluhr“ ins Laufen kommt – und es endet stimmungsvoll mit dem langsamen Verhauchen des Orchesters.

Auerbach hielt eine kurze, das Werk erläuternde Rede, in der sie auch anmerkte, dass sie jetzt nach Wien übersiedelt sei. Auerbach sprach in Englisch, Alsop begrüßte das Publikum mit einer vom Blatt gelesenen kurzen Rede in deutscher Sprache. Auerbach nannte die Romane von Vladimir Nabokov als Vorbild für ihre kompositorische Tätigkeit. Nabokov hat in seinen Romanen viele kleine Rätsel verpackt, die einen bei der Lektüre ganz schön narren können.

Fazit: Viel Applaus im nicht ausverkauften Konzerthaussaal.