MATHIS DER MALER

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Hindemith-Portal

Theater an der Wien
12.12.2012
Premiere

Dirigent: Bertrand de Billy

Inszenierung: Keith Warner

Bühne: Johan Engels
Kostüme: Emma Ryott
Licht: Mark Jonathan

Wiener Symphoniker
Slowakischer Philharmonischer Chor

Mathis - Wolfgang Koch
Kardinal Albrecht - Kurt Streit
Pommersfelden - Martin Snell
Capito - Charles Reid
Riedinger - Franz Grundheber
Schwalb - Raymond Very
Truchseß - Ben Connor
Sylvester / Pfeifer - Andrew Owens
Ursula - Manuela Uhl
Regina - Katerina Tretyakova
Gräfin Helfenstein - Magdalena Anna Hofmann
Graf Helfenstein - Florian Emberger


"Beeindruckender Wiederbelebungsversuch"

(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien hat sich der Oper „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith angenommen: Das sperrige Werk, Historien- und Künstlerdrama in einem, ist ein seltener Gast auf Opernbühnen. Jetzt kann man es in einer beispielgebenden Produktion bestaunen.

Nach dem begeisternd aufgenommenen „Il Trittico“ hat man am Theater an der Wien zwei Monate später mit „Mathis der Maler“ schon wieder eine vorzügliche Produktion auf die Bühne gezaubert. Die Oper „Mathis der Maler“ ist ein seltener Gast in Wien. 2005 gab es eine konzertante Aufführung im Konzerthaus, die einzige Aufführung über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten.

Hindemith steht mit seinem „Mathis der Maler“ in der Tradition großer historischer Künstleropern, die von Berlioz „Benvenuto Cellini“ über Wagners „Meistersinger“ bis zu Pfitzners „Palestrina“ reicht. Die Handlung spielt in den letzten Lebensjahren von Matthias Grünewald, dem 1528 verstorbenen Schöpfer des Isenheimer Altars. Sie zeichnet die letzten Lebensjahre des Malers nach. Mathis steht zwischen zwei Frauen und zwischen der katholischen und lutherischen Fraktion. Dazu kommt die Eruption des großen Bauernkriegs von 1525/26, die alles umwälzt und umpflügt, was in ihre Reichweite kommt.

Der Maler Mathis steht als Individuum dem geschichtlichen Ablauf gegenüber, versucht im Zeitgewühl Gerechtigkeit und Humanität zu wahren, hilft bedrängten Bauern und Adeligen ebenso uneigennützig wie er letztlich in seinem Schaffen aufgeht. Dieses Schaffen wird als göttlicher Auftrag gedeutet, der Mathis in den letzten beiden Bildern der Oper ereilt – und spätestens hier stellte sich doch eine spürbare Langatmigkeit ein. Die Monumentalität des Historiendramas, die über fünf Bilder hinweg entfaltet wurde, verblasst ab diesem Zeitpunkt – und die Verklärung des Künstlers zum Erschaffer ewiger, aus dem Urgrund des Volkes geborener Werke, die selbstverliebte Darstellung des Leidens, aus dem sich diese Schöpferkraft gebiert, sagt mehr über die historische Epoche aus, in der das Werk entstanden ist, als dass man im Jahre 2012 noch viele Gedanken darauf verschwenden würde. Auch die Figuren der Handlung heben sich nur von der Folie der geschichtlichen Ereignisse plastisch ab – als Charaktere in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen wirken sie stereotyp – die Frauenfiguren überhaupt.

Das Werk wurde 1938 in Zürich uraufgeführt, nachdem man im nationalsozialistischen Deutschland eine Aufführung verboten hat. Adolf Hitler persönlich war auf Hindemith nicht gut zu sprechen. Musikalisch verschmilzt Hindemith mittelalterliche und „neutönerische“ Anklänge zu rhythmisch eruptiven, manchmal fast schon diabolisch anmutenden Schlachtmusiken beziehungsweise zu einem herben Mystizismus, bei dem auch die existentielle Not jener kriegerischen Zeiten durchschimmert. Der expressive Einsatz der Singstimmen mit ihrer hohen Tessitura verlangt den Sängern alles ab. Dadurch entsteht ein musikalischer Sog, der die Zuhörer lange fesselt, aber letztlich doch überreizt und erschlafft. Der Abend dauerte immerhin inklusive einer Pause rund dreidreiviertel Stunden.

Das Inszenierungsteam um Keith Warner tauchte tief in diese Oper ein, stellte sie mit ernsthaftem Anspruch auf die Bühne: im weitesten Sinne historisierend, auch wenn die Mainzer Bürger durchwegs „gut“, aber „modern“ angezogen waren. (Dafür durften die Bauern mit rustikalen aus Holz gefertigten Heugabeln „fechten“.) Beherrscht wurde die Bühne von einem liegenden, riesigen Modell des Gekreuzigten (Bühne: Johan Engels), den man aus der Kreuzigungsgruppe, die die geschlossene Retabel des Isenheimer Altas zeigt, quasi „herausgeschnitten“ und in 3-D transformiert hat. Die Jesusskulptur mit ihren expressiv spinnenförmig ausgestreckten Fingern spannte die Arme so weit, dass sie auf der Bühne fast bis zum rechten und linken Rand reichten. Die Bühnenmaschinerie und die Drehbühne hielten dieses Modell in Bewegung, zerlegten es sogar in Haupt mit Rumpf sowie Beine und Füße, die von einem riesigen Nagel durchbohrt waren, ließen es drehen und heben und senken und abtauchen und im Finale wieder auftauchen und sich zusammenfügen: eine großartige, aus dem Stück entwickelte Idee, die der Aufführung eine ganz starke Stütze bot. Projektionen von Zeichnungen stellten beispielsweise das Engelkonzert dar oder bebilderten unaufdringlich die lange Orchestereinleitung am Beginn.

Das Regiekonzept Warners kreiste um das Thema Einsamkeit – ein gangbarer Weg, der aber vielleicht dazu geführt hat, dass Mathis selbst ein wenig inaktiv wirkte in dem szenisch üppig ausgewalzten Horrorkabinett geschichtlicher Ereignisse, das er durchleiden muss. (Dass sich in den Mathis-Visionen im sechsten Bild Dämonen aus dem Isenheimer-Altar auf der Bühne einfanden inklusive des am „Antoniusfeuer“ leidenden Kranken sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.) Warner beließ es aber nicht beim „Bebildern“. Ein wenig Ironie war in Anbetracht der Reliquienverehrung am Mainzer Hof schon angebracht und gegen das Finale hin ließ er im Hintergrund die Silhouette eines gotischen Flügelalters hochfahren, ganz in Weiß, der von Besuchern beäugt wurde, die wie in einem Museum an ihm vorüber schritten. In diesen Momenten verschränkten sich Gegenwart und Geschichte zu der sentimentalen Poesie, die einen beim Betrachten alter Gemälde hin und wieder anfliegt und die man schlussendlich gerne aus dem Theater an der Wien mit nach Hause nahm.

Die Sängerinnen und Sänger schlugen sich beachtlich, auch wenn die Anstrengungen, die Hindemith den Singstimmen abverlangt, da und dort nicht zu überhören waren. Wolfgang Koch begann etwas vorsichtig und blieb den ganzen Abend über vielleicht eine Spur zu „seriös“, um als Mathis richtig mitreißend zu wirken. Koch muss die Partie aber noch viermal singen – und wenn man im Vergleich Kurt Streit hernahm, der nach dem Motto „Augen zu und durch“ die „Knochenbrecher-Partie“ des Albrecht von Brandenburg gesanglich nachvollzog, dann war es vielleicht die klügere Taktik. Streit war imposant, manchmal auch schon an der Grenze zur Überforderung, das pinselte in allen grellen Farben des Expressionismus. Manuela Uhl als Ursula – noch so eine „Mörderpartie“ – stellte sich beharrlich den Herausforderungen mit „jungdramatischer“ Überzeugungskraft. Raimond Very lieh dem Bauernführer Schwalb einen kernigen, etwas einfach gestrickten Tenor, was recht gut zu dieser Rolle passte. Seine Tochter Regina war bei Katerina Tretyakova gut aufgehoben. Franz Grundheber, selbst schon eine „Sängerlegende“, bot einen profunden Riedinger mit starker Bühnenausstrahlung. Auch die übrigen Mitwirkenden einschließlich Chor fügten sich gut in die gesamte Produktion ein.

Bertrand de Billy und den Wiener Symphonikern gelang eine packende, klar strukturierte Wiedergabe dieses komplexen Werks, wobei die Lautstärke meist im Rahmen des verträglichen blieb. Bei den Wiener Symphonikern sind die Qualitätsunterschiede, die sie im Theater an der Wien bei den Opernaufführungen je nach angetretenem Dirigenten hören lassen, schon auffallend. Diesen Abend spielten sie vorzüglich.

Die Publikumsreaktionen waren einhellig positiv, viele Bravorufe gab es auch für das Regieteam.