MATHIS DER MALER

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Konzerthaus
12.5.2005
Konzertante Aufführung

Dirigent: Bertrand de Billy

Radio Symphonieorchester Wien
Slowakischer Philharmonischer Chor

Mathis - Falk Struckmann
Kardinal Albrecht - John Horton Murray
Pommersfelden - Jan-Hendrik Rootering
Capito - Robert Wörle
Riedinger - Bjarni Thor Kristinsson
Schwalb - Jeffrey Dowd
Truchseß - Janusz Monarcha
Sylvester / Pfeifer - Dietmar Kerschbaum
Ursula - Heidi Brunner
Regina - Maria Bengtsson
Gräfin Helfenstein - Stella Grigorian

"(K)ein Künstlerdrama"
(Dominik Troger)

Der konzertante Opernzyklus im Wiener Konzerthaus sorgt regelmäßig für repräsentative Aufführungen selten gespielter Werke: Diesmal war Hindemiths Künstler- und Historienoper „Mathis der Maler“ an der Reihe.

Als eifriger Opernbesucher hatte man an diesem Donnerstag die „Qual der Wahl“: „Rosenkavalier“-Neueinstudierung an der Staatsoper, im Theater an der Wien die Festwochen-Premiere von „Lucio Silla“, im Konzerthaus „Mathis der Maler“. Schön, dass in Wien immer noch so ein reichhaltiges Musiktheater-Angebot möglich ist – und illustre Besetzungen lockten da- und dort. Doch die Singularität der „Mathis“-Aufführung gab für mich den Ausschlag.

„Mathis der Maler" ist in Wien seit Jahrzehnten nicht mehr zu hören gewesen. Nach meinem Wissensstand bezogen sich die Erinnerungen, die ältere Semester in den Pausenfoyers austauschten, auf eine Produktion unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm, Ende der 50er Jahre. Auch sonst halten sich die Aufführungszahlen in Grenzen. Letztes Jahr gab es eine Neuproduktion des Werkes in Osnabrück, für diesen Herbst ist eine an der Hamburgischen Staatsoper geplant. In Hamburg wird Falk Struckmann die Titelpartie singen, er sang sie auch an diesem Abend im Wien. Hamburger Opernfans dürfen sich schon jetzt auf eine kraftvoll-kernige, stets präsente Rollengestaltung freuen.

Das ist, in Anbetracht der Sänger- und Orchester-Ressourcen, die dieses Werk verschlingt, gar nicht so selbstverständlich. Denn Hindemith zielt mit dieser Oper im wahrsten Sinn des Wortes auf das „Große“ und „Ganze“. Die Handlung spielt in den letzten Lebensjahren von Matthias Grünewald, einem 1528 verstorbenen Maler. Hindemith stellt ihn dem Publikum als Schöpfer des Isenheimer Altars vor – und zeichnet seine letzten Lebensjahre nach. Mathis steht zwischen zwei Frauen und zwischen der katholischen und lutherischen Fraktion. Dazu kommt die Eruption des großen Bauernkriegs von 1525/26, die alles umwälzt und umpflügt, was in ihre Reichweite kommt. Musikalisch verschmilzt Hindemith mittelalterliche und „neutönerische“ Anklänge zu ebenso eruptiven, manchmal fast schon diabolisch anmutenden Schlachtmusiken beziehungsweise zu einem herben Mystizismus, bei dem auch die existentielle Not jener kriegerischen Zeiten durchschimmert. Mathis, der Maler, steht als Individuum jedenfalls dem „Rad der Geschichte“ nahezu wortwörtlich gegenüber, versucht im Zeitgewühl Gerechtigkeit und Humanität zu bewahren, hilft bedrängten Bauern und Adeligen ebenso uneigennützig wie er letztlich in seinem Schaffen aufgeht. Dieses Schaffen wird als göttlicher Auftrag gedeutet, gleichsam als jener Moment, wo es dem einzelnen Menschen gelingt, die Hand in die Speichen dieses beständig sich drehenden Schicksalsrades zu legen: vielleicht um es ein paar Sekunden lang anzuhalten - wie ein universelles Atemholen in der geläuterten Verzückung einer göttlichen Vision.

Hindemith folgt mit diesem Werk den Spuren von Berlioz („Benvenuto Cellini“), von Wagner („Meistersinger“), von Pfitzner („Palestrina“). Dabei gelingt ihm zwar nicht so eine dichte und lebendige Darstellung des historischen Stoffes wie Pfitzner im zweiten „Palestrina“-Aufzug, doch tritt der historische Hintergrund schon sehr plastisch hervor. Wagner und Pfitzner sind allerdings um einiges ökonomischer im Umgang mit den Mitteln. Bei Hindemith besteht mit Fortschreiten des Abends (die reine Spielzeit des Stücks liegt bei rund drei Stunden, eher noch etwas darüber) schon die Gefahr einer Erschlaffung beim Zuhörer, hervorgerufen durch eine beständig angelegte Überspannung. Es gibt in dieser Oper einen Zug zum monumentalen Historismus, der der Entstehungszeit des Werkes insgesamt nicht fremd war. Trotzdem fand die Uraufführung von „Mathis der Maler“ 1938 in Zürich und nicht in Deutschland statt. Hindemith war im nationalsozialistischen Staat zunehmend unter politischen Druck geraten.

Vor allem sind wirklich hochkarätige „Sing-Schauspieler“ gefordert – und es ist wirklich nicht einfach, dieses Werk zu besetzen. Das bewiesen auch die Umbesetzungen im Vorfeld dieser konzertanten Aufführung: Johan Botha, hatte sich schon vor längerer Zeit vom „Mathis“ verabschiedet; die Zweitbesetzung, Glenn Winslade, den man in Wien noch als markigen „Rienzi“ im Ohr hat, ging den Veranstaltern in Folge einer Erkrankung ebenfalls verlustig. Es sprang relativ kurzfristig John Horton Murray ein, und übernahm die wichtige Partie von Albrecht, Erzbischof von Mainz. Von ihm durfte man nicht erwarten, was man von Botha, und dann schon etwas weniger exponiert, von Winslade hätte erwarten dürfen. Doch seine Darbietung festigte sich im Laufe des Abends. Regina Schörg konnte ihrer Namensvetterin im „Mathis“ nicht ihre Stimme leihen – es sprang Maria Bengtsson ein – und die Partie der Gräfin Helfenstein wurde von Stella Grigorian übernommen (anstelle von Simone Schröder).

Die Damen, ebenso wie die Herren, werden von Hindemith eifrig forciert, er fordert ihnen teilweise extreme Leistungen ab. Stimmen und Orchester liegen in beständigem Ringen mit der von Religionshaß und Krieg aufgewühlten Welt – in der sich die Menschen trotzdem als Individuen erweisen sollen. Hier müssen alle über ihre Grenzen gehen, auch die Zuhörerschaft. Dabei hat sich das Ensemble insgesamt bravourös geschlagen – begonnen mit den Damen Brunner, Bengtsson und Grigorian. Den Bauernführer Hans Schwalb sang Jeffry Dowd. Er sorgte –zusammen mit Struckmann – gleich im ersten Bild für eine packende Szene. Seine Wagner-Erfahrung hat Dowd in dieser Partie sicher nicht geschadet. Zwei große Pluspunkte des Abends waren zwei weitere Tenöre: Robert Wörle als Capito und Dietmar Kerschbaum als Sylvester – beide mit gewissen Tendenzen ins Charakterfach.

Die Bässe fielen da ein bisschen zurück, wobei allein schon aufgrund der Rolle Jan-Hendrik Rootering (Pommersfelden) und Janusz Monarcha (Truchsess) weniger „ins Spiel“ kamen als Bjarni Thor Kristinsson (Riedinger). Falk Struckmann war natürlich (neben Betrand de Billy) die tragende Säule des Abends. Ihm gelang im Konzerthaus nach dem imposanten „Tiefland“ vor zwei Jahren erneut eine maßstäbesetzende Interpretation. Betrand de Billy förderte den Abend mit einem sachlichen, schnörkellosen, immer am Fortgang der Handlung orientierten Musizieren. Er heizte das Geschehen an, brachte den Abend auf den „dramatischen Punkt“. Bestens eingestellt waren das RSO Wien und der Slowakische Philharmonische Chor.

Falk Struckmann durfte sich nachher an heftigem Beifall laben. Zwar hätte in einem wirklich vollen Konzerthaus das Publikum noch heftiger applaudiert (in der zweiten Pause hatte doch eine gewisse Abwanderung stattgefunden), aber für knapp 23 Uhr war das immer noch ganz ordentlich.