CARDILLAC
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Hindemith-Portal

Staatsoper
10. November 2022

Dirigent: Cornelius Meister

 

Cardillac - Tomasz Konieczny
Die Tochter - Vera-Lotte Boecker
Der Offizier- Gerhard A. Siegel
Der Goldhändler - Wolfgang Bankl
Der Kavalier - Daniel Jenz
Die Dame -Stephanie Houtzeel
Führer der Prévoté - Evgeny Solodovnikov


„Giergetriebener Mörder“
(Dominik Troger)

Kunden sollten den Goldschmied Cardillac meiden. Wer ihm ein Schmuckstück abkauft, endet mit einem Messer im Genick. Paul Hindemiths Oper aus dem Jahr 1926 verteidigt in der Erstfassung mit zäher Hartnäckigkeit ihren Platz auf den Spielplänen, auch wenn die Anzahl der Aufführungen in überschaubarem Rahmen bleibt.

Massen lassen sich mit „Cardillac“ nicht ins Haus locken, aber eine Bereicherung für das schmale Kernrepertoire ist die Oper allemal. Laut der online einsehbaren Aufführungsdatenbank des Schott Verlages gab es seit dem Jahr 2000 weltweit um die 130 Aufführungen, die meisten davon in Deutschland. Die Staatsoper hat „Cardillac“ 1964, 1994 und 2010 eine Neuproduktion gegönnt. Die Erstaufführung fand aber bereits 1927 statt. Trotzdem hat das Haus an der Ringstraße insgesamt noch keine 40 Aufführungen der Oper erlebt.

Julius Korngold hat in der Neuen Freien Presse am 4. März 1927 ausführlich über die Wiener Erstaufführung referiert. Er war kein Fan der Oper. Die pointierte Einleitung seiner Kritik – „Cardillac – das erinnert fast an Cadillac, die Automobilmarke, diese an Maschine und Bewegung.“ – zeigt schon die Stoßrichtung seiner Einwände, die Hindemiths Musik unterstellen „ein erklügeltes Retortenprodukt“ zu sein. Hindemith hielte die Figuren musikalisch am Zügel eines „formalen Archaisierens“ und verweigere ihnen „warmes Menschengefühl“. Korngold entdeckt in der Akzentsetzung „etwas Maronettenhaftes“, das sich – so meine Sicht der Dinge – bei näherer Betrachtung auf die Figuren überträgt.

Die aktuelle Staatsopern-Inszenierung von Sven Eric Bechtholf legt dieses bereits von Korngold gesehene „Marionettenhafte“ bloß und transponiert die Grellheit der Handlung in eine expressionistische „Stummfilmästhetik“ mit einer stilisierten Bühnensprache. Sie betont zudem die historische Distanz, ohne dabei das Werk zu beschädigen. Im Rückblick beurteilt, handelt es sich um Bechtholfs beste Regiearbeit am Haus. (Nach der Premiere wäre ich nicht dieser Ansicht gewesen, auch mich hat die monströse Handlung dazu verleitet, mehr in den Opernkategorien des 19. Jahrhunderts zu denken.) Die zähe Hartnäckigkeit, mit der sich „Cardillac“ dagegen wehrt, ganz von den Spielplänen zu verschwinden, hat auch mit seiner Kürze zu tun: Der Ausflug in die 1920er-Jahre ist nach rund eineinhalb Stunden vorbei – und die Handlung ist zu gut, um „vergessen“ zu werden.

Wenn die Staatsoper die Produktion jetzt einer Wiederaufnahme gewürdigt hat, dann war das eine gute Entscheidung – zumal man mit Tomasz Konieczny einen Cardillac zur Hand hat, der stimmlich die Mörderpranke auspackt. Konieczny hat bereits 2015 in der letzten Aufführungsserie von Hindemiths Oper die Titelpartie verkörpert. Mit greller Durchschlagskraft ist sein Bariton zwar nicht der nobelste von allen, aber er greift das Publikum am Schopf und lebt mit expressionistischem Wahn sein übersteigertes Künstlertum, das Hindemith im Finale mit fast litanaihaft anmutenden Chorpassagen provokativ überhöht.

Vera-Lotte Boecker ist bei der „versachlichten“ Tochter Cardillacs viel besser aufgehoben als bei Micaela oder Nanetta. Ihr etwas nüchtern timbrierter Sopran passt sehr gut in diese Produktion, in der sie mit puppenhaften Trippelschritten dem Einfluss ihres Vaters zu entfliehen sucht. Gerhard A. Siegel war den tenoralen Tücken des Offiziers gewappnet – eine jener überspannten Tenorpartien, an denen die Komponisten in der Zwischenkriegszeit nicht gegeizt haben. Derart konnte er sich auch mit Konieczny messen und für spannende Minuten sorgen.

Daniel Jenz durfte sich als Kavalier mit den lyrischeren Ausformungen dieses tenoralen Expressionismus befassen – und löste die Aufgabe sogar mit einiger Eleganz. Seine von ihm umworbene Herzdame wurde von Stephanie Houtzeel mit pragmatischer Erotik ausgeführt. Wolfgang Bankl gab wie schon 2015 den argwöhnischen Goldhändler. Er ist für solche Charaktere immer ein Gewinn. Lediglich Evgeny Solodovnikow als Führer der Pérvoté hinterließ bei mir nicht den Eindruck, als wäre er gesanglich schon ganz bei Hindemith angekommen. Sehr präsent auch der Staatsopernchor – kommt ihm doch eine wichtige Funktion zu, wenn er im Finale Cardillac zu seinem Geständnis drängt. Vorzüglich das Staatsopernorchester unter Cornelius Meister, fein austariert bis in die kammermusikalischen Verästelungen, wuchtig wenn erfordert, das Ohr immer am dramatischen Impuls, der die Handlung weitertreibt.

Besucht wurde die (laut Programmzettel) 14. Aufführung in dieser Inszenierung. Das Publikum spendete rund sechs Minuten langen, starken Schlussapplaus. Die Sitzplätze waren überraschend gut gefüllt, der Stehplatz weniger.