CARDILLAC
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Staatsoper
17.10.10
Premiere

Dirigent: Franz Welser-Möst


Regie: Sven-Eric Bechtolf
Bühnenbild: Rolf Glittenberg
Kostüme: Marianne Glittenberg
Licht: Jürgen Hoffmann

Cardillac - Juha Uusitalo
Die Tochter - Juliane Banse
Der Offizier- Herbert Lippert
Der Goldhändler - Tomasz Konieczny
Der Kavalier - Matthias Klink
Die Dame - Ildikó Raimondi
Führer der Prévoté - Alexandru Moisiuc


Nachtkritik: „Geschönte Monstrosität“
(Dominik Troger)

Cardillac, der mordende Pariser Goldschmied, sorgt in der neuen Staatsopernproduktion von Paul Hindemiths gleichnamigen Werk nicht gerade für Angstschweiß. Überzeichnete Stummfilmgesten und entsprechend „farblose“ Ausstattung beruhigen mit einem antiquarischen Expressionismus, vor dem sich niemand fürchten muss.

Regisseur Sven-Eric Bechtolf hat in einem Interview sinngemäß angemerkt, man könne dem Hindemith’schen „Cardillac“ nicht mit Psychologie beikommen. Nun, er hat die Psychologie gegen eine expressionistische „Vorzeigeinszenierung“ eingetauscht, die ungefähr so „packend“ scheint, wie ein Lohengrin mit Schwanenhelm.

Die Szene mit den stilisierten, schräggestellten schwarzen Häuserfronten, aus denen große weiße Rechtecke wie Fenster starren, die schwarzen Kostüme und weißen Choristenhandschuhe, das immer wieder auch ironisch überzeichnende Gestenrepertoire, verweisen stark auf die Entstehungszeit der 1926 uraufgeführten und auch an der Staatsoper gegebenen Erstfassung der Oper. Man denkt beim Zuschauen an „Metropolis“ oder „Nosferatu“ oder „Eine Stadt sucht einen Mörder“. Bechtolf hat selbst, wie im Programmheft nachzulesen ist, den cineastischen Querverweis gesucht – und „Cardillac“ in der praktischen szenischen Umsetzung dort stilsicher verortet.

Das Ergebnis durchblättert man wie einen goldgedeckelten Bildband mit alten Schwarzweiß-Photographien, zu denen das expressionistisch verknappende Opernlibretto die entsprechenden Bildunterschriften abliefert. So umgibt „Cardillac“ in dieser Inszenierung ein nostalgischer Hauch, der an den strafrechtlich fragwürdigen Handlungen des Goldschmieds mehr Desinteresse zeigt, als man der Handlung nach vermuten würde.

Vielleicht hätte man sich doch ein bisschen mehr an E.T.A. Hoffmann anlehnen sollen? In seiner Novelle „Das Fräulein von Scuderi“, Ideenlieferant für das Opernlibretto, wird Cardillacs ganz besonderer Blick beschrieben: „aus kleinen, tiefliegenden, grün funkelnden Augen“, der ihn in den Verdacht „heimlicher Tücke und Bosheit“ hätte bringen können. Und drängt sich nicht auch bei Hindemiths eineinhalb „Cardillac“-Stunden die Frage in den Vordergrund, was das für ein Mensch gewesen sein muss, der die Käufer seiner Schmuckstücke serienweise hinmeuchelt, nur um wieder in den Besitz derselbigen zu kommen?

Immerhin wissen jetzt die Besucher der Premiere, dass Cardillacs Seele symbolisch betrachtet in einem goldenen „Kasten“ „wohnt“, mit einem Zylinder auf dem Kopf und kohlrabenschwarz gewandet ist. Und diese vollausgetuschten Wilhelm Busch-Karikaturen, die als Chor über die Bühne wandeln, mit weißen Messern den armen Cardillac zu lynchen, passten bestens ins Konzept – und wie sie ihn am Schluss vergöttern, den Toten, jetzt auf einem Podeste stehend, mit vergoldetem Zylinder und Gesicht, gleichsam sich selbst zum Monument geworden: „Er war das Opfer eines heil’gen Wahns“. Das soll das „Volk“ begreifen! Als Publikum tut man sich eher schwer damit – und Bechtolf hält das Bild Schwebe, lässt Hindemith seine im Finale oratorienhaft ausgeführte Überhöhung des Künstlertums zu unkommentiertem Abschluss bringen. Vielleicht tat er ja auch gut daran, aber so ganz ohne dämonische Konturen, blutige Ecken und reißerische Kanten liest sich jeder Krimi wie eine „Gute-Nacht-Geschichte“.

Der erste Akt entwickelte wenig Spannung. Das lag möglicherweise auch am Orchester, das unter Franz Welser-Möst glattgebürstet und sehr differenziert aufspielte. Es dauert ein Weile, bis die Dramatik der Musik sich ihrer funkelnd aufgeputzten strukturellen Darlegung hinzugesellte. Auch Hindemiths Komposition kommt erst im zweiten und dritten Akt „in Fahrt“, dann allerdings mit starker Sogwirkung. Trotzdem, das war in der Interpretation mehr eine „romantische“ Sicht auf das 20. Jahrhundert, denn eine „zeitgenössische“.

Juha Uusitalo hätte in der Titelpartie noch mehr stimmliche Durchschlagskraft gut vertragen – und was die Frage nach dem abartigen Charakter dieses Goldschmieds betrifft, die wurde schon von Seiten der Regie nicht gestellt. Juliane Banses Sopran war bei Hindemith gut aufgehoben, das rein lyrische Element ist ihm aber schon etwas abhanden gekommen. Darstellerisch überzeugte sie mit regieverordnetem trippelndem Stummfilmschritt zum Hindemith-Takt – eine automatenhafte Olympia oder Stummfilmreminiszenz?

Beeindruckend Herbert Lippert als Offizier, der den Anforderungen der Partie keinen Tribut zahlen musste und sich über eine vom Publikum viel bejubelte Rückkehr an die Staatsoper freuen durfte. Tomasz Koniecznys stimmliche Energie hätte man auch dem Cardillac gewünscht. Mathias Klink und Ildikó Raimondi sangen tadellos Kavalier und Dame. Alexandru Moisiuc hatte als Führer der Prévoté nur einleitend ein paar „Anmerkungen“ zu machen.

Das Publikum applaudierte rund 12 Minuten. Es wurde einhellig gejubelt.