ORLANDO PALADINO
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Theater an der Wien
Premiere
18.11.2007

Musikalische Leitung: Nikolaus Harnoncourt

Inszenierung: Keith Warner
Ausstattung: Ashley Martin-Davies
Licht: Wolfgang Göbbel
Choreographie: Karl Alfred Schreiner

Orlando - Kurt Streit
Angelica - Eva Mei
Medoro - Bernard Richter
Rodomonte - Jonathan Lemalu
Eurilla - Juliane Banse
Pasquale - Markus Schäfer
Alcina - Elisabeth von Magnus

Licone - Bernhard Berchtold
Caronte - Markus Butter

Die Schäferin Eurilla langweilt sich ...“
(Dominik Troger)

Manche Wiederbelebungsversuche lohnen sich – auch wenn man nachher das Gefühl hat, dass es sich nicht gelohnt hat. Ein Widerspruch? Doch wer könnte schon von sich behaupten, Ariostos Versepos aus dem 16. Jahrhundert wirklich gelesen zu haben, das die Vorlage für Haydns „Orlando paladino“ bildet?!

Der Verdacht, dass die Lektüre dieses manieristischen Ritterromans für den umfassenden Genuss von Haydns Oper essentiell sein könnte, kam mir schon wenige Minuten nach Beginn der Vorstellung. Lautete der erste Satz der Inhaltsangabe im Programmheft nicht geradezu verräterisch „Die Schäferin Eurilla langweilt sich (...)“? Die Kunst für die Zuschauenden bestand jedenfalls darin, sich an dem sehr lose geknüpften, abenteuerlichen Handlungsfaden entlangzutasten und mehr daran zu finden als eine Aneinanderreihung von einzelnen Musiknummern.

Haydn und sein Librettist, Nunziato Porta, konnten darauf rechnen, dass das Publikum seinen Ariosto kennt. Sie konnten davon ausgehen, dass der Rahmen der turbulenten Handlung schon in den Köpfen der Zuschauer vorhanden ist und dass sie die „epischen“ Querbezüge zu den Stanzenreimen entschlüsseln können. Denn ohne diese erscheinen die Figuren als ziemlich austauschbar, bis auf den „furiosen“ Orlando, dessen Liebestollheit am Schluss durch einen Kunstgriff in eine aufgeklärte, wohltemperierte Gefühlswelt übergeleitet wird. „Aufklärung“ ist überhaupt das Stichwort für dieses 1782 uraufgeführte Werk, dass sich eines „da-Pontehaften“-Schlusstableaus nicht enthalten kann, in dem die Sänger ihre neu gewonnene Lebensweisheit in das Publikum tragen. In diesem Falle sinngemäß: „Liebe nur jemanden, der auch dich liebt.“

Doch halt! – da Ponte und Mozart, dieses Teamwork steht erst knapp vier Jahre später auf der historischen Zeitachse: Haydn im wienfernen Schloss Esterháza hatte hier wieder einmal die Nase vorn. Vieles in „Orlando paladino“ nimmt den „Mozartstil“ der da Ponte-Opern vorweg. Nicht zuletzt manche seltsam verzerrt an den „Don Giovanni“ erinnernde Bühnensituation: Orlando und sein Diener Pasquale, der einen veritablen Leporello abgäbe, die Begegnung Orlandos mit dem Unterweltsfährmann, wo die düsteren Abgründe der Begegnung des Don Giovanni mit dem steinernen Gast heraufdämmern, die Durchmischung der Stilebenen von buffonesker Commedia dell´arte und Tragödie. Bei Haydn bleibt der Rahmen aber ein höfischer. Die Stoffe sind der „Konvention“ entnommen und lassen das aufgärende revolutionäre Zeitalter nur erahnen. Solange der herrschende Stand seiner Vernunft vertraut, werden sich alle Probleme lösen lassen. Diese restaurative, austauschbare Mythologie hemmt auch bei „Orlando paladino“ die Bühnenwirksamkeit für unsere Tage.

Keith Warner versuchte, einen Rahmen zu finden, der zeitgemäß und „mythologisch“ zugleich eine Brücke in den Ritterroman des Ariosto baut. Er verfiel auf die Idee eines Vergnügungsparks und nahm sich den Wiener Prater als Vorbild. Ringelspiel, Spiegelkabinett und Hochschaubahn werden zur Kulisse und zum Ausgangspunkt eines teils poetischen teils schwungvoll-komödiantischen Bühnengeschehens. Warner entpuppte sich dabei erneut als außerordentlich kreativer Regisseur, mit einem Sinn für exzellente, pointierte Personenführung und viel Gefühl für „barocken Theaterzauber“. Orlandos Auftritt auf mannshohem Karussellross gehörte ebenso dazu, wie der Unterweltsfährmann auf der Hochschaubahn. Langsam glitt das Boot die Metallträger hinab, das gekrümmte Ruder stakend im unsichtbaren Lethefluss. Die Zauberin Alcina wurde flugs und unbetulich in eine Psychotherapeutin verwandelt, und lenkte das Geschehen unbewusst-bewusster Liebesträume. Nach seinem mitreißenden „Don Giovanni“ von vor zwei Jahren hat Warner für das Theater an der Wien wieder eine exzellente Arbeit abgeliefert.

Doch so ganz konnte er gegen den von Eurilla weiter oben angekündigten Trend nicht anschwimmen. Denn die Besetzung entsprach nur bedingt den Erwartungen. Eva Mei lieh der Angelica hübsche Soprankoloraturen, wirkte aber auf mich wie eine zu blass geratene „Naive“. Gibt die Partie nicht mehr her an glutvoller oder sich in verzweifelter Sehnsucht verzehrender erotisch-sinnlicher Spannung? Bernard Richter sang den Medoro im Stile eines braven jungen Liebhabers, schön, manchmal eine Spur angestrengt, aber ebenfalls ziemlich farblos. Elisabeth von Magnus steuerte eine darstellerisch agile, stimmlich weniger beeindruckende Alcina bei. Das Geheimnisvoll-magische der Partie hat allerdings schon der Regieansatz von Warner ziemlich „demontiert“. Jonathan Lemallu gab als durch die Szene polternder Rodomonte sicher das Beste seiner jungen Stimme. Juliane Banse trug als adrette Schäferin viel zum süperben Gelingen der Buffo-Szenen bei, von Markus Schäfer als witzigem Pasquale eifrig assistiert. Das hatte zur Folge, dass die Komödie ein ziemliches Übergewicht gewann (außerdem hat sie Haydn mit überaus witziger Musik versehen), während die langen Liebesklagen mich an den eingangs zitierten Satz „Die Schäferin Eurilla langweilt sich“ gemahnten. Einen guten Eindruck hinterließ Markus Butter als Caronte in seinem Kurzauftritt, Licone (Bernhard Berchtold) wurde kaum gefordert. Bleibt noch Orlando selbst, der in den bewährten Händen von Kurt Streit lag. Da konnte man hören und spüren, was Bühnenpräsenz ausmacht. Wenn alle Mitwirkenden seinem Niveau entsprochen hätten, wäre es für diesen Anlass gerade gut genug gewesen.

Mit der Auffassung von Nicolaus Harnoncourt konnte ich mich dieses Mal weniger anfreunden. Das Spiel des Concentus Musicus wirkte auf mich vor allem im ersten Aufzug zu verbissen und doktrinär. Schon die scharfen, kratzbürstigen ersten Takte im Vorspiel drängten das Dramma eroicomico vor allem zum „comico“. Das Ergebnis machte auf mich einen bruchstückhaften Eindruck, zusammengesetzt aus pointierter Komödie und etwas langatmiger Tragödie, mit einer versöhnlichen Synthese erst im Schlussensemble. Das Publikum spendete starken Beifall mit vielen Bravorufen auch für das Inszenierungsteam.

Die eigentliche „Pointe“ des Abends war eine Teilsperre des Theaters an der Wien für die Gäste des Hauptsponsors. Für das normalsterbliche Publikum gab es deshalb um die Hälfte weniger Parterregarderoben und durch die Sperre des Pausenraums im Keller standen um rund ein Viertel weniger Toilettenanlagen zur Verfügung. Man stieg sich also im Eingangsfoyer auf die Zehen oder verbrachte die Pause Schlange stehend vor den Sanitäreinrichtungen. Toiletten gibt es im Theater an der Wien ohnehin zu wenige: Es wäre längst an der Zeit, zumindest noch eine weitere Damentoilette einzubauen.