IL MONDO DELLA LUNA
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Theater an der Wien
5.12.2009
Premiere

Musikalische Leitung: Nikolaus Harnoncourt

Orchester: Concentus Musicus
Inszenierung: Tobias Moretti
Bühne: Renate Martin & Andreas Donhauser
Kostüme: Heidi Hackl
Licht: Olaf Winter
Video: Hamid Reza Tavakoli
Bewegungscoach: Jevgenij Sitochin

Ecclitico - Bernard Richter
Ernesto - Vivica Genaux
Buonafede - Dietrich Henschel
Clarice - Christina Landshamer
Flaminia - Anja Nina Bahrmann
Lisetta - Maite Beaumont
Cecco -Markus Schäfer


Eine Mondreise zum Geburtstag
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien „schenkte“ Nikolaus Harnoncourt zum 80. Geburtstag eine „Welt auf dem Mond“. Das Publikum durfte mitreisen. Der Ausflug geriet aber ein wenig lang – und man darf jetzt rätseln, woran das gelegen haben könnte: an Haydn, an der Inszenierung, an der Besetzung oder am taktstockbewe(ä)hrten Reiseleiter?

Die Verulkung von älteren Haustyrannen, die ihren Töchtern nicht die selbstbestimmte Wahl des Gatten gönnen, wird in Haydns „Il mondo della luna“ (nach einem Stück von Goldoni) besonders aufwendig inszeniert: man schickt den starrsinnigen Alten sogar auf den Mond, um ihn weich zu klopfen.

Diesem Familiendespoten, Buonafede genannt, wird sein astrologisches Interesse zur Falle, in der er sich fängt. Die beiden Liebhaber seiner Töchter inszenieren eine Mondreise, die Bühne wird zum Spiel im Spiel, bei dem Buonafede kunstgerecht zum Trottel gemacht wird. Seltsamer Weise schlägt die Kur an, und am Schluss ist er sogar mit der Heirat seiner Töchter einverstanden.

Wer in dieser Handlung die Leichtigkeit und Typologie der Commedia dell‘arte zu entdecken glaubt, wird dabei nicht fehlgehen. Die Bandbreite erstreckt sich von derben Einlagen bis zu sublimen Mondstimmungen und fröhlichem Vogelgezwitscher. Haydn hat das auch alles komponiert, von der silbrig-gläsernen Mondmusik bis zur handfesten „Watschen“.

Aber was vor der Pause recht komödiantisch und stimmig begann, geriet danach überraschend langatmig – doch der Reihe nach. Ecclitico, einer der Heiratskandidaten, fängt Buonafede mit computergenerierter „Virtual Reality“ ein – modernes Zitat für eine barocke, fernrohrbasierte„Mondschau“. Sexuelle Anzüglichkeiten, die Buonafede mit „Datenhandschuhen“ zu greifen meint, steigern dessen Begierde nach den Weiten Lunas.

Die Handlung schwenkt zu Buonafedes Wohnsitz: beeindruckend die weiße, hohe und bühnenbreite Fassade einer klassizistisch getönten Neureichen-Villa, davor die spitzkegeligen Koniferen in kräftigem Grün, der automatische Gartenzaun und das herausklappbare Balkonzimmer der Schwestern. Das erlaubte eine schwungvoll, witzige Bühnenaktion und bot auch dem Auge ein sinnvolles Ambiente. Die Handlung wurde zudem recht gut auf den Punkt gebracht: die Flucht einer Tochter über verknotete Leintücher, die Mondfahrt des Familientyrannen nach einem geschlürften Drogencocktail als Flug in der Campingliege inszeniert.

Doch kaum war Buonafede nach der Pause auf dem „Mond“ in einem Plantschbecken aufgewacht und darauf neckisch eingekleidet worden, versagte der komödiantische Esprit. Die Welt auf dem Monde wollte keinen Zauber mehr entwickeln: billige Gerüste mit goldenem Lametta behangen, auf denen die Protagonisten zu substanzloser Herumkletterei genötigt wurden. Man ahnte zu deutlich das schmuddelige Ambiente eines Lagerhallen ähnlichen Studios, in dem Ecclitico womöglich vorzugsweise billige Pornofilmchen produziert – und ähnlich billig fiel weitestgehend seine „Mondshow“ aus. Auch musikalisch fühlte man einen gewissen Bruch – vielleicht hätte man ein wenig mehr streichen sollen, nicht nur bei den Rezitativen?

Denn das teils junge, sehr sympathische Ensemble entwickelte für meinen Geschmack zu wenig Persönlichkeit, um der Komödie mit Originalität und um Haydns gesanglichen Ansprüchen mit einem verfeinerten musikalischen Ausdrucksvermögen zu begegnen. So eine Opera buffa muss man auch „leben“ können. Ist Komödie nicht auch die Kunst der wohlkalkulierten Übertreibung? Erst das Finale gewann wieder an Schwung - vor allem musikalisch: so hätte man sich den ganzen Abend gewünscht!

In diesem Sinne war wohl auch Buonafede (Dietrich Henschel) von Tobias Moretti (Inszenierung) zu neurotisch gezeichnet worden, zu ernsthaft als Charakter und zu wenig als Type. Henschels anfänglich zu leiser, eher blasstimbrierter, klarer Bariton rückte die Partie zudem stärker ins asketisch-verklemmte, intellektuelll-berechnende, bei dem eine gewisse buffonekse Frivolität und Hilflosigkeit nicht eben gut aufgehoben waren. Beeindruckend war Henschels schauspielerisches Engagement, sein Stangenturnen vor dem Finale – eine jener unnachvollziehbaren Gags, die SängerInnen in Gefahr bringen, weil dem Regieteam nichts mehr einfällt.

Gesanglich am auffallendsten agierte wohl noch Anja Nina Bahrmann als Flaminia, die auch in den Koloraturen und Spitzentönen sicher wirkte und vor der Pause für den musikalischen Höhepunkt sorgte. Bei ihr – aber auch bei Christina Landshammer (Clarice) sowie bei Lisetta (Maite Beaumont) spürte man Koketterie und einen gewissen belebenden Witz. Vivica Genaux wirkte in der ursprünglich für Altkastraten komponierten Partie des Ernesto merklich blass, mit selbst für das Theater an der Wien überraschend leiser und wenig durchschlagskräftiger (wie wohl sehr gut geführter) Stimme.

Ecclitico (Bernard Richter) und Cecco (Markus Schäfer) setzten nur wenige Akzente, obwohl ihre Partien dazu einige Möglichkeiten geboten hätten. Insgesamt wirkte das Ensemble zu wenig „handverlesen“ für einen Anlass wie diesen, bei dem es nicht nur einen honorigen Geburtstag zu feiern galt, sondern wieder einmal die Reputation von Haydn als Opernkomponisten auf dem Spiele stand.

Das Rückgrat des Abends bildete natürlich Nikolaus Harnoncourt mit dem Concentus Musicus. Bei ihm weiß man, was man bekommt – in diesem Fall war mir der gebotene Humor aber schon eine Spur zu bissig-trocken. Der Concentus Musicus war an diesem Abend auf besonders „forsch“ getrimmt. Die sinnliche Lebendigkeit der Komödie war unter diesem Klangbild schwer zu erkennen und die lunare Weiblichkeit des Mondes funkelte für meinen Begriff musikalisch viel zu spröde. Mehr südländische Leichtigkeit hätte dem Abend nicht geschadet. Aber manchmal muss sich jemand, der meint die Wahrheit gefunden zu haben, wohl auch selbst darin bestätigen, dass er sie wirklich gefunden hat.

Das Publikum feierte Harnoncourt, zeigte sich auch den übrigen Mitwirkenden gegenüber sehr applausfreudig, ließ nur einige Buhrufe gegen das Inszenierungsteam fallen – offenbar vor allem gegen die Ausstattung, weil Moretti, als er sich zuerst allein ins Ensemble eingliedernd verbeugte, mit Missfallen verschont wurde. Überlänge erreichte der Applaus aber keine.

Fazit: In dieser Form wird „Il mondo della luna“ auch weiterhin eine Rarität bleiben.