LA SEMELE
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Theater an der Wien
26.11.2019
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Claudio Osele

Le Musiche Nove

Semele - Arianna Vendittelli
Giunone - Roberta Invernizzi
Giova - Sonia Prina


Hasse-Portal

„Ehekrach im Hause Jupiter

Das Theater an der Wien bescherte am Dienstagabend seinem Publikum eine Serenata von Johann Adolph Hasse. „La Semele“ behandelt eine Episode aus dem reichhaltigen Liebesleben des Jupiter. Das Werk wurde 1726 in Neapel uraufgeführt.

An der Programmplanung der konzertanten Opernaufführungen im Theater an der Wien kann man immer auch ein bisschen aktuelle Barockopern-Trends ablesen: Händel geht immer, Vivaldi ist ein wenig in den Hintergrund gerückt, es gab in den letzten zehn Jahren interessante Entdeckungen aus dem Kreis der neapolitanischen Oper (u.a. Vinci, Porpora) – und von dort ist es bis zu Hasse nicht mehr weit. Den Anfang machte an der Linken Wienzeile im Jahr 2015 eine konzertante Aufführung seines „Siroe“, bei dem Hasse im vollen musikalischen Ornat der Opera seria bestaunt werden konnte. Es folgte 2017 mit „Piramo e Tisbe“ ein Serenata-ähnliches „Intermezzo tragico“, ebenso wie „La Semele“ für eine Privataufführung konzipiert und deshalb im Aufwand der eingesetzten Ressourcen sparsamer.

Bei „La Semele“ handelt es sich um ein zweiaktiges Werk mit drei Figuren, in dem Hasse – man könnte es fast schon psychologisch nennen – mit viel musikalischer Detailarbeit die drei Charaktere der Handlung malt: Jupiter, seine Gemahlin Juno und Semele, als Opfer göttlicher Liebe und göttlichen Ehestreits. Juno ist eifersüchtig und stellt der Rivalin eine tödliche Falle. Sie soll Jupiter dazu bringen, ihr als Liebesbeweis in göttlicher Gestalt zu erscheinen. Juno weiß, dass Semele als Sterbliche diesen Anblick nicht überleben wird. Semele lässt sich auf die Vorschläge Junos ein und stirbt. Aber Juno hat sich zu früh gefreut: Jupiter erweckt Semele wieder zum Leben. Juno muss die göttliche Macht ihres Gemahls anerkennen – und Jupiter verspricht, ihr in Hinkunft treu zu bleiben.

Die Partitur des Werkes befindet sich im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Die Einrichtung für die Aufführung stammt von Claudio Osele, dem musikalischen Leiter des Abends. Er hat das Werk bereits 2018 bei den Innsbrucker Festwochen für Alte Musik zur Aufführung gebracht, damals in einer szenischen Version. Auch die Besetzung war, bis auf die Partie der Semele, von dort übernommen worden. Die Aufführung dauerte zweieinhalb Stunde (inklusive einer Pause). Die Handlung ist (siehe oben) klar nachvollziebar, die drei Figuren sind musikalisch gut charakterisiert.

Semele wird als etwas naive, aber letztlich korrumpierbare Geliebte gezeichnet, die Junos Einflüsterungen zu einem ruhmreichen Begehren nur zu gerne nachgibt. Semele hat im zweiten Teil eine ausgesprochen hübsche Arie zu singen, die Violinen das Vogelgezwitscher malend (Besetzung: nur Streicher und Basso continuo). Im Zentrum der Serenata stehen aber ihr Tod und Jupiters trauriger Abschied von seiner Geliebten. Hasse entringt diesen Passagen, zum Teil als begleitetes Rezitativ gestaltet, eine fast schlicht zu nennende menschliche Trauer, die anschließend von Junos Triumph aber in ein intensives Wechselbad der Gefühle getaucht wird. Juno gibt – gleichsam zynisch – zu verstehen, dass ihr Gemahl statt die Lippen einer Rose jetzt die bereits vom Tode verfärbten Lippen einer Lilie küssen möge.

Juno hat Hasse nicht gerade als charmante Frau gezeichnet. Sie wird von starken Rachegefühlen getrieben. Bei ihrer Selbstdarstellung im ersten Teil „Trassi anch’io dal nascer mio“ hört man es im Orchester sogar ein wenig „keifen“. Junos Verstellung, mit der sie Semele als alte Frau gegenübertritt, hat denn auch nicht nur einen Intriganten, sondern sogar buffonesken Zug. Letztlich ist sie es, die übertölpelt wird und sich sogar zu einer, im Sinne der Aufklärung gebotenen „Korrektur“ ihres Charakters bekennen muss. Sie begräbt ihren Groll unter dem „Gefallen“ und dem Gesetz Jupiters.

Jupiter selbst erscheint im ersten Teil voller Liebe fast ein wenig „geckenhaft“. Gegen Ende des ersten Teil macht er aber mit der Arie „Di mio fulmine“ ganz auf Gott, und Hasse speist Jupiters Blitz aus einem vom Element der Wiederholung gespeisten musikalischen Dynamo, der ihm unerschöpfliche Energien zu verleihen scheint. Und Jupiter wäre nicht Jupiter, könnte er im Finale nicht Semele wieder von den Toten erwecken und zugleich auch seine Gemahlin durch die ihr versicherte Treue beruhigen.

Arianna Vendittelli bestätigte als Semele den Eindruck, der vor wenigen Wochen in der „Merope” von ihr zu gewinnen war: ein Sopran mit Metallauflage, der für die poetischen Regungen dieses verliebten Herzens mir schon etwas zu „resch“ klang. Ihr zur Seite standen zwei weitere bewährte Sängerinnen für barocken Ziergesang: Roberta Invernizzi als Giunone, an diesem Abend im Klang auch ein bisschen spröder als erinnert, was aber gut zur Rolle passte, sowie Sonia Prina als Giove: mit ihrem Alt und wie immer leicht „punkiger“ Frisur das bekannte Energiebündel. Sie versah das Finale noch mit jenem Augenzwinkern, das wohl auch die Zeitgenossen Hasses in diesem Finale gesehen haben: Denn was wäre Jupiter ohne seinen Liebschaften? Obwohl konzertant (diesmal sogar mit Notenständern) wurde viel dargestellt und alle drei Sängerinnen wussten die Figuren als Charaktere plastisch auszugestalten.

Le Musiche Nove überraschte mit einem fülligen Klang in den Bässen und Claudio Osele trieb das Geschehen nicht so knochentrocken und stürmisch voran, wie andere, einer historisch informierten Aufführungspraxis verschriebene Ensembles. Hasses Musik wurde sehr detailfreudig interpretiert, bei der genannten „Blitz-Arie“ Jupiters hätte es vielleicht noch eine Spur schwungvoller sein können. Insgesamt rundete sich der Abend zu einer mit wachgehaltenem Interesse und Genuss verfolgten Erstbegegnung. Fazit: starker, rund fünf Minuten langer Applaus des Publikums. (Der Abend war – nach den freigebliebenen Plätzen beurteilt – deutlich besser besucht als zuletzt Mozarts „Gärtnerin aus Liebe“.)