IRENE
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Theater an der Wien
29.1.2020
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Aapo Häkkinen

Helsinki Baroque Orchestra

Irene - Vivica Genaux
Niceforo - Max Emanuel Cencic
Eudossa - Dara Savinova

Isacio - Bruno de Sá
Oreste - David DQ Lee

Hasse-Portal

„Kindestausch im alten Byzanz

Die Reihe der konzertanten Opernaufführungen im Theater an der Wien wurde mit Johann Adolph Hasses „Irene“ weitergeführt. Die Oper stellt die byzantinische Kaiserin Irene in den Mittelpunkt des Werkes. Sie hat sich unwissentlich in ihren eigenen Sohn verliebt, aber das Missverständnis wird rechtzeitig aufgeklärt.

Max Emanual Cencic hat in den letzten Jahren schon so manchem vergessenen Barockjuwel aufgespürt und es zur Aufführung gebracht – auch diesmal ist ihm eine spannende Entdeckung gelungen. Hasses „Irene“ wurde 1738 in Dresden uraufgeführt, zum Karneval und zum Besuch der Zarin Anna von Russland. Der Librettist Stefano Benedetto Pallavicino ließ sich dazu eine geschickte und huldigende allegorische Verquickung der Opernhandlung mit der damals aktuellen Tagespolitik einfallen – Querbezüge, die ein lesenswerter Artikel im Programmheft verdeutlicht.

Die Handlung beruht auf der Vertauschung zweier Kinder, die zu unwissentlich inzestuösen Liebesgefühlen führt: Nikeforo ist der Sohn Irenes, wird aber für den Sohn des Oreste gehalten. Er liebt unstandesgemäß Irene und Irene liebt ihn. Irenes vermeintlicher Sohn Isacio liebt hinwiederum Eudossa, die Tochter des Oreste – und weil er selbst in Wirklichkeit der Sohn des Oreste ist, also seine Schwester. Er zettelt mit seinem richtigen Vater sogar einen Aufstand gegen seine vermeintliche Mutter an, die das Reich für ihren minderjährigen vermeintlichen Sohn regiert. Er möchte als Kaiser die Hand von Eudossa zu gewinnen. Irene und Nikeforo werden in Ketten gelegt. Aber natürlich kommt es anders: Irene übergibt schlussendlich die Herrschaft an ihren richtigen Sohn und alle sind glücklich.

Hasse hat die Musik auf seine Helden maßgeschneidert, charakterisiert ihre Liebe , ihre Intrige und ihr Unvermögen und die Massenszene im zweiten Akt mit ihren Chören macht großen Eindruck. Mit hochdramatischen Bravourarien hat sich der Komponist eher zurückgehalten, es herrscht eine gewisse Selbstbespiegelung der eigenen Gefühlswelt vor – und das passt natürlich zu diesen doppeldeutigen „falschen“ Lieben im Sinne einer, wie es Irene am Schluss ausdrückt, „falsch verstandenen Natur“. Hasse zielt dabei insgesamt auf eine sinnvolle dramaturgische Verknüpfung der Szenen. Auch wenn die Auflösung der Handlung durch das Motiv des Kindestausches nicht gerade eine Geniestreich ist, wird diese doch stringent verfolgt und bleibt nachvollziehbar. Für die Aufführung hat man allerdings nicht nur die eine oder andere Arie, sondern auch an den Rezitativen manch erklärendes gekürzt. Die Aufführung dauerte knapp zweidreiviertel Stunden inklusive einer Pause.

In Erinnerung wird man den Abend zuvorderst wegen des Hausdebüts von Bruno de Sá behalten, ein „Sopranista“, dem man ohne mit der Wimper zu zucken eine große Karriere prophezeien kann. Sá profilierte sich als männlicher Koloratursopran, wobei allerdings die Tiefe, mit wenig Volumen ausgestattet, noch recht flach klang. Der junge Künstler stammt aus Brasilien, ist derzeit in Basel als Barbarina (!) engagiert. Seine Ausflüge ins Barockfach (etwa 2019 in Potsdam) haben aber die interessierte Öffentlichkeit schon hellhörig gemacht. Die Partie des Isacio erwies sich für den Sänger als ideal: eine etwas chwärmerische Figur in der Adoleszenz, gepaart mit einer leicht prahlerischen Unreife, dazu diese im Klang zwischen Knaben- und Frauensopran seltsam unentschiedene Stimme, die in der Höhe einen überraschend klarer Klang produziert. Die Androgynität der Gesangeskunst wird hier auf die Spitze getrieben. Sá gewann gleich die Gunst des Publikums und heimste den stärksten Szenenapplaus des Abends ein.

Max Emanuel Cencic selbst hat die Partie des Nikeforo gesungen und nahm sich gegen diesen Ansturm der Jugend wie ein Mentor aus. Er wirkte stimmlich „introvertierter“ als bei vielen früheren Auftritten im Theater an der Wien, im ersten Akt fast zurückhaltend, auch später mehr bemessend als mit voller Hand auszahlend. Mit seinem leicht bronzenen Stimmklang harmonierte er sehr gut mit Vivica Genaux, die mit ihrem leicht rauchigen Mezzo Kaiserin Irene ein starkes Profil verlieh. Dara Savinova gab mit ihrem leicht metallisch funkelnden, lyrischen Sopran die Eudossa, und David DQ Lee hatte als aufmüpfiger Oreste – der dritte Countertenor an diesem Abend – leider nur wenig zu singen. Aber er durfte im zweiten Akt immerhin effektvoll „zu den Mannen rufen“, um die Thronerhebung seines Sohnes zu propagieren.

Das Helsinki Baroque Orchestra unter Aapo Häkkinen war im Theater an der Wien zum ersten Mal zu Gast und spielte akzentuiert, aber nicht übertreibend „rohköstlerisch“ und vermochte auch weitgehend die Spannung zu halten. Der starke Schlussapplaus dauerte rund fünf Minuten lang.