LA JUIVE/DIE JÜDIN

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Halevy-Portal

Wiener Staatsoper
7. März 2015

Dirigent: Frédéric Chaslin

Kardinal Brogny - Dan Paul Dumitrescu
Leopold, Reichsfürst - Jason Bridges
Prinzessin Eudoxie - Hila Fahima
Eléazar - Neil Shicoff
Rachel -
Olga Bezsmertna
Ruggiero - Gabriel Bermúdez
Albert, Hauptmann - Marcus Pelz

1. Bürger - Johannes Gisser
2. Bürger - Hacik Bayvertian
Offizier - Martin Müller


Ein Plädoyer für mehr Toleranz

(Dominik Troger)

Die Wiener Staatsoper hat Jaques Fromental Halévys „La juive” wieder in den Spielplan aufgenommen: Eine Aufführungsserie, die vor allem Neil Shicoff gewidmet war, der sich dem Wiener Publikum nach fünf Jahren noch einmal in seiner „Lebensrolle“ präsentiert hat.

Die Aufführungsserie stand allerdings unter keinem guten Stern. Neil Shicoff musste die ersten beiden Vorstellungen krankheitsbedingt absagen. Das führte dazu, dass der erste „La juive“-Abend überhaupt ausfiel und durch einen „Liebestrank“ ersetzt wurde. In der zweiten Vorstellung sprang John Uhlenhopp als Eléazar ein. Vor der dritten Vorstellung am Dienstag wurde Neil Shicoff angesagt – und in der vierten gab es dann doch noch eine Art von „Happy-end“.

Der Sänger wurde an diesem Samstagabend mit Auftrittsapplaus empfangen – und nach angestrengtem Beginn fand seine etwas schwergängige Stimme im Laufe des Abends zu guter Form. Shicoff sang den Eléazar noch verististischer als früher, aber er war in dieser Partie ohnehin immer einem musiktheatralischen Naturalismus verhaftet, der die Figur von der Folie der Grand opéra abgelöst und in das 21. Jahrhundert transferiert hat. Dabei verschwand alles, was „opernhaft“ hätte sein könnte, und die Handlung formte sich zu einer zeitlosen Geschichte von Intoleranz und Leid.

Das „Rachel, quand du Seigneur“ beispielsweise hat bei ihm den Anstrich eines Selbstgesprächs, in dem sich die Gedanken nach und nach entwickeln, bis sie kurz in einem wiegenden, sehnsuchtsvollen Rhythmus schwingen, einer väterlichen Gebärde, die gleichsam die Tochter, die doch nicht seine ist, in den Armen wiegt. Die Inszenierung von Günter Krämer betont in dieser Arie den Gestus des Abschiednehmens, und wenn der Sänger seine Weste ablegt, seine Schuhe auszieht, dann scheint sich ein Zeitfenster zu öffnen, in dem eine Erinnerung an das Grauen des Holocausts mit dem Schicksal der Bühnenfigur zu einer im Antlitz des nahenden Todes allgemein-menschlichen Klage verschmilzt.

Es fasziniert, wie es Shicoff über all die Jahre – und auch an diesem Abend – mit dieser Arie gelang, die Empfindung einer existentiellen Erfahrung zu reproduzieren und einem Publikum begreifbar zu machen, dass damals in der Premiereserie und auch noch später seine Überraschung über diese Betroffenheit und seine innere Spannung in einem eruptiven Szenenapplaus gleichsam hinausschreien musste. Dieses Phänomen lässt sich nicht mit muskalischen Maßstäben messen – es ist eine Art von kollektiver Erfahrung. Natürlich gab es auch an diesem Abend nach dem „Rachel, quand du Seigneur“ langen Applaus – und die eigentlich nachfolgende Cabaletta wird kaum jemanden abgegangen sein. Shicoff dürfte sie schon bald nach der Premierenserie nicht mehr gesungen haben.

Rund um Eléazar herrschte Opernalltag – teils durch Absagen, teils durch Erkrankungen bedingt. Soile Isokoski, die Rahel der Premiere, hat die Partie schon vor Monaten zurückgelegt. Mit Olga Bezsmertna fand man im Ensemble einen ansprechenden Ersatz. Bezsmertnas leicht dunkel gefärbte Mittellage passte gut zur Gefühlswelt Rahels, die markanten, etwas harten Spitzentöne weniger. Dan Paul Dumitrescu sang einen sicheren, im Timbre für die unerbittliche, selbstherrliche Macht der Kirche vielleicht zu milde gestimmten Kardinal Brogni.

Jason Bridges hatte sich dem Léopold zu widmen. Der Sänger schlug sich tapfer, manövrierte seinen schmalen, wenig durchsetzungsstarken und sehr hell timbrierten Tenor mit einigem Geschick durch die tückische, und ihm wohl noch um eine Nummer zu große Partie. Hila Fahima sang als Einspringerin eine „brave“ Prinzessin Eudoxie, mit hübscher, allerdings fragiler und kleinvolumiger Stimme.

Wenn der Abend trotzdem deutlich machte, dass „La Juive“ eine mitreißende Oper sein kann (wobei die Staatsoper eine gekürzte Fassung spielt, diesmal sogar ohne Ouvertüre), lag das neben Shicoff auch an Frédéric Chaslin, der mit dem Orchester für eine zügige Gangart sorgte, die zwar nicht unbedingt das Raffinement der französischen Oper betonte, aber die Spannung „am Köcheln“ hielt. Der stimmlich präsente Staatsoperchor sorgte vor allem ersten Akt für das fähnchenschwingende Ambiente, dieses weniger gelungenen Teils von Krämers Regiearbeit.

Der starke Schlussapplaus währte 20 Minuten lang – und Neil Shicoff kam zu mehreren Solovorhängen auf die Bühne. Ihm wurden zwei Blumensträuße geworfen.