LA JUIVE/DIE JÜDIN

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Halevy-Portal

 

Wiener Staatsoper
5.9.2008

Dirigent: Michael Halász

Kardinal Brogny, Präsident des Konzils - Walter Fink
Leopold, Reichsfürst von Österreich - Ferdinand von Bothmer
Prinzessin Eudoxie, Nichte des Kaisers - Jane Archibald
Eléazar, ein jüdischer Goldschmied - Neil Shicoff
Rachel, seine Tochter -
Soile Isokoski
Ruggiero, Schultheiß von Konstanz - Eijiro Kai
Albert, Hauptmann - Marcus Pelz

1. Bürger - Hacik Bayvertian
2. Bürger - Hiro Ijichi
Offizier - Martin Müller


Saisonstart an der Staatsoper

(Dominik Troger)

Bei hochsommerlichen Temperaturen konnte man heuer fast das Gefühl haben, die Staatsoper hätte den Saisonstart verpasst: oder war es doch der anspruchsvolle Beginn mit Halévys „La Juive“, der einem Publikumsansturm oder besonderem Medieninteresse vorbeugte?

Nun kann man nicht jedes Jahr mit einer neuen Außenbeleuchtung des Hauses plus Feuerwerk starten, mit einer Neuorganisation der Garderoben (deren Fehlplanung man erst merkt, wenn die kühlere Jahreszeit beginnt) oder mit einem besonders spektakulärem „Kunstwerk“ als „neuem“ Eisernen Vorhang.

Beim Eisernen Vorhang muss man in den nächsten zehn Monaten ohnehin dreimal hinschauen, um einen künstlerischen Gestaltungswillen zu erkennen. Er ist vor allem eines: schwarz. Nun kann man nicht ausschließen, dass sich unters Publikum der Staatsoper hin und wieder ein paar „Schwarzseher“ mischen („Schwarzmaler“ schon eher), aber so ein unprovokatives, spinnwebverhangenes „Schwarzes Loch“, ist doch enttäuschend, nachdem jahrelang versucht wurde, die Besucher mit mehr oder weniger bunten Farbklecksen zu einer anregenden Diskussion über „moderne Kunst“ zu erziehen.

Auf der Bühne, die dieser „Eiserne“ verdeckt, gab man sich zum Glück weniger „konzeptionell“ und ließ die Emotionen regieren: die Spinnweben, die sich in der Sommerpause angesammelt hatten, wurden gleich zu Beginn fortgepustet und waren spätestens mit dem zweiten Akt verschwunden. Es wurde ein sehr bewegender Abend und trotz der hochsommerlichen Temperaturen erzeugte das Finale wieder diesen eisigen Schauer einer unmittelbaren Betroffenheit, der Halévys „La Juive“ so einzigartig macht.

Soile Isokoski sang die Rachel schon 1999 in der Premiere. Sie tauchte auch diesmal wieder das christlich-jüdische Mädchen in den dunklen, ernsten Glanz eines unbarmherzigen Schicksals. Da gibt es keinen „falschen“ Heroismus, sondern alles pulsiert in einem Zwielicht aus Liebe, Hass und Verzweiflung. Das liegt über ihr, wie der Schatten des geliebten „Zieh-“Vaters, wie der des verehrungswürdigen, stammbegründenden, einzigen Gottes. Isokoski ließ wie Shicoff nie einen Zweifel daran aufkommen, dass es hier um Fragen von wahrhaft existentieller Bedeutung geht - um Fragen, aus deren quälender Gegenwart keine Befreiung gelingt.

Neil Shicoff ist der Eléazar ohnehin „auf den Leib geschrieben“. Die Rolle wirkt jetzt noch gereifter und markanter ausgeführt. Die Identifikation scheint so vollkommen, dass man um Léopold ernsthaft bangt, wenn Shicoff ihm im zweiten Akt das Messer an die Kehle setzt. Die Arie im vierten Akt wird zu einem Klagelied, dass weit über die engen Dimensionen des Werkes hinausreicht – und doch in der Gespaltenheit dieses Charakters gefangen bleibt. Das ist ein Mann am Ende aller Tage und Zeiten, der durch die Geschichte treibt, eingesperrt zwischen gesellschaftlicher Verachtung, einem bedingungslosen Gottesglauben und den emotionalen Ansprüchen seines Menschentums. Für ihn ist nicht einmal der Tod erstrebenswert?!

(Es wäre interessant, die Motive genauer zu untersuchen, die im Finale noch ins Spiel kommen. Ist es eine menschliche Regung, dass Eléazar versucht, Rachel eine schmale Brücke zurück ins Leben zu bauen? Oder ist er sich ihrer Antwort so sicher, dass er erst dadurch seiner angestrebten Rache den vollkommenen Triumph verleiht?)

Der dritte im Bunde, der christliche Gegenspieler, Kardinal Brogni, hatte keinen guten Tag. Die Pause nach dem dritten Akt kam genau zum richtigen Zeitpunkt, um die lädiert wirkende Stimme wieder aufzurichten. Im vierten Akt und im Schlussbild war sie dann von ausreichender Präsenz.

Ferdinand von Bothmer sang sich mutig und mit achtbarem Erfolg durch den Léopold – er sparte auch nicht an Höhen (und traf es meiner Meinung nach insgesamt besser als so mancher Vorgänger in dieser schwierigen Rolle.) Allerdings klingt seine Stimme jenseits des „hohen Cs“ schon eng und unnatürlich und fordert hier wohl einen den historischen Gegebenheiten angepassteren Gesangsstil ein. Jane Archibald war mir für die Eudoxie vom Stimmtypus zu leichtgewichtig besetzt, über die geforderte Koloraturfähigkeit verfügt sie freilich. Ihr Rollendebüt war solid, blieb aber etwas blass. Der Ruggiero von Eijiro Kai war mehr grob gesungen. Michael Halász und das Orchester sorgten nicht gerade für einen Klangrausch, aber die Dramatik kam gut heraus.

Das Publikum spendete am Schluss viel Beifall und Bravorufe (besonders für Shicoff und Isokoski), allerdings nur rund zehn Minuten lang. Dann strebte man durchs Stiegenhaus (neue, beleuchtete (!), grün-weiße Schildchen wiesen den Weg) dem Ausgang zu.