LA JUIVE/DIE JÜDIN

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Wiener Staatsoper
3.5.2003


Dirigent: Vjekoslav Sutej

Kardinal Brogny, Präsident des Konzils - Walter Fink
Leopold, Reichsfürst von Österreich - Jianyi Zhang
Prinzessin Eudoxie, Nichte des Kaisers - Simina Ivan
Eléazar, ein jüdischer Goldschmied - Neil Shicoff
Rachel, seine Tochter -
Krassimira Stoyanova
Ruggiero, Schultheiß von Konstanz - Boaz Daniel
Albert, Hauptmann - Janusz Monarcha

1. Bürger - Johannes Gisser
2. Bürger -Hacik Bayvertian
Offizier - Johann Reinprecht

Zuviel Understatement?
(Dominik Troger)

Diesmal waren sogar Fernsehkameras mit dabei: ein Grund mehr die SängerInnen und Orchester aus der Reserve zu locken. Weil aber nicht alle Mitwirkenden über solche „Reserven“ verfügten, musste man auch hin und wieder die Stirne runzeln.

Ja, die Stirnfalten krausten sich vor allem im ersten Akt aus einigem Mißvergnügen. Die Partie des Leopold führte Jianyi Zhang in gefährliche Höhen, wo zu straucheln einen tiefen Absturz unweigerlich zur Folge hat. Zwar konnte er sich noch rechtzeitig da und dort an spärlich aufwucherndem Gehölze festklammern, aber er baumelte mit beiden Beinen schon dermaßen über dem Abgrund, dass das Hörvergnügen ein zweifelhaftes war. Ob schlechter Tag oder die falsche Partie, was auch immer – der Eindruck war jedenfalls kein allzu schmeichelhafter.

Auf sicheren Pfaden wanderten der Brogni von Walter Fink und die Eudoxie von Simina Ivan. Beide entledigten sich ihres Parts ohne gröbere Irritationen. Die Partie der Prinzissin Eudoxie ist der des Leopold an Exponiertheit ein wenig ähnlich, Ivan zeigte sich den Anforderungen aber um einiges besser gewachsen, auch wenn ihr nicht jede Höhe mit der einer Prinzessin gemäßen Eleganz von der Kehle ging.

Der Brogni von alter Fink war leider kein wirklicher „Gegenspieler“ für von Neil Shicoff’s Eléazar. Er vermochte dem jüdischen Goldschmied keine machtvolle Kardinalswürde und das unbedingte Gottvertrauen eines katholischen Kirchenfürsten entgegenzusetzen. Insofern war das Match von vornherein ziemlich unausgeglichen. Vor den laufenden Fernsehkameras wäre ein wenig mehr an darstellerischem Raffinement und stimmlicher Feinfühligkeit kein Fehler gewesen. Und das ist wahrscheinlich der Punkt, der ein wenig befremdlich erscheint: warum hier nicht versucht wurde, den Besetzungsglanz zu mehren. Nur auf eine Verlässlichkeit zu setzten, die sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen weiß, ist des „Understatement“ wohl ein wenig zu viel.

Aber zum Glück hielten Krassimira Stoyanowa und Neil Shicoff diesem „Mittelmaß“ mit Kräften entgegen. Da wurde das Kaleidoskop der emotionalen Wechselbäder bis zur letzten Todes-Verzweiflung und sinnlos-heroischen Gestik ergreifend zur Geltung gebracht. Und im berührenden Schlussbild, wenn der Vater der (vermeintlichen) Tochter noch eine kleine, schmale Brücke ins Leben bauen möchte (aber möchte er das überhaupt?) schmolzen die Schicksale dieser beiden Bühnenpersönlichkeiten zu einer innigen Vertrautheit zusammen. Das hat einen jener zeitlosen Bühnenmomente erzeugt, nach denen man als Zuseher ganz einfach süchtig ist. Da sprang der „Funke“, wie man so sagt. Aber es hatten beide auch den ganzen Abend eifrig am Feuerstein geschlagen, damit der Funke dann auch wirklich spränge.

Shicoff transzendierte in der Arie des vierten Aktes zum schrecklichen Schicksal seines Volkes quer durch die Jahrtausende, gebunden an den einen Gott, ausgestattet mit der Gewissheit der Auserwähltheit ebenso, wie mit der ständigen Anfechtung des Zweifels vor der nahezu übermenschlichen Anforderung, die dieser Bund bedeutet. Ich kann diese Szene, wenn Shicoff sie singt, nie anders denken und es muss wohl auch so sein. Wie Shicoff die Brüche und Zweifel in Eléazars Charakter selbst darstellt und wie sich bei ihm auch immer wieder menschliche Regungen den Weg durch eine Schichte alttestamentarischer Härte bahnen, ist bemerkenswert. Die Bruchlinien treten zu Tage. Das Besondere daran ist wahrscheinlich, dass er einen Märtyrer zu spielen weiß und einen rachedurstigen, unbarmherzigen Mann, dem es nicht möglich ist, über seinen Schatten zuspringen. Die heldenhafte Pose des „einen, wahren Glaubens“ zerbricht: und Halevys „Jüdin“ entpuppt sich plötzlich auch als ein Werk harscher Religions- und Zeitkritik, abseits eines spannenden Bühnenstoffes. (Es ist ein schier unlösbares Problem von Wertigkeiten, denn könnte er seinen Glauben verraten, um das Leben zu gewinnen oder zumindest das seiner Tochter?)

Das Orchester unter Vekoslaw Sutej agierte sehr animiert. Die Inszenierung hat den Eindruck von der Premiere bestätigt: der erste Akt ist nahezu inferior, dann bessert sie sich erheblich, je mehr auf die Persönlichkeiten eingegangen wird.

Der Applaus währte, trotz der späten Stunde (es war dreiviertel Elf) lange, obwohl die Beleuchter mehrmals den großen Bühnenstrahler schon „hinuntergefahren“ hatten. Shicoff kam dann, bis auf einen Einzelvorhang (plus einem geworfenen Blumenstrauß) und den Ensembleverbeugungen, immer Hand in Hand mit Stoyanova. Und beide schienen erfreut über den gelungenen Abend.