LA JUIVE/DIE JÜDIN

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Wiener Staatsoper
Premiere, 23.10.1999


Dirigentin: Simone Young
Inszenierung: Günter Krämer
Bühnenbild & Kostüme: Gottfried
Pilz, Isabel Ines Glathar

Choreinstudierung: Ernst Dunshirn

Kardinal Brogny, Präsident des Konzils - Alastair Miles
Leopold, Reichsfürst von Österreich - Zoran Todorovich
Prinzessin Eudoxie, Nichte des Kaisers - Regina Schörg
Eléazar, ein jüdischer Goldschmied - Neil Shicoff
Rachel, seine Tochter - Soile Isokoski
Ruggiero, Schultheiß von Konstanz - Istvan Gati
Albert, Hauptmann - Janusz Monarcha

Neil Shicoff ist Eléazar
(Dominik Troger)


Hier kann man eigentlich nur von der Zweckmäßigkeit einer Inszenierung sprechen, die im ersten Akt gefährlich geschmacklos mit Lederhosen- und Gamsbartnazis herumbiederte, um sich dann aber doch zu fangen - das heißt, je personenbezogener sie mit fortschreitendem Abend geriet, desto intensiver wurde die Darstellungskraft und Leidenschaft der Sänger - allen voran Neil Shicoff - gefördert. Da erwiesen sich am Schluss dann diese Reminiszenzen des ersten Aktes mehr als Konzession an derzeit übliche Regiemuster, denn als durchdachtes Mahnmal der Judenverfolgung quer durch die Jahrhunderte. Gerade aber weil Neil Shicoff auf der Bühne stand, brauchte es das ohnehin nicht. Es kann dem Regieteam nicht hoch genug angerechnet werden, dass es in letzter Konsequenz auf den Vorschlaghammer verzichtete, gerade um uns, dem Publikum, eben ein solches Mahnmal in den Kopf zu meisseln. Denn viel tiefer als jede Zwangsbekehrung vermochte es Neil Shicoff mit einprägsamer Intensität, das Schicksal eines Volkes zwischen innerer Zerissenheit und äußerer Verfolgung darzustellen. Es war, als hätte Halevy damals schon alles gewußt, und es lag an Shicoff dieses archteypische Wissen um komplexe Schuldzusammenhänge an die Oberfläche zu kehren. Es war wie ein Zeitfenster, in dem die Erinnerungen an das schreckliche 20. Jahrhundert mit Halevys 150 Jahre alter Musik und der Not eines Individuums verschmolzen. Kostbare, unvergessene Augenblicke. Und sie sind es, die zählen. Vergessen das Mischmasch aus k.k. und 30er Jahre in dem dieser jüdische Goldschmied sein Leben fristet, hinweggeschaut über das wenig originelle, aber einigermaßen zweckmäßige Einheitsbühnenbild, unbedeutsam die Länge des Abends (Beginn 19.00 Uhr Ende um 22.50). Beeindruckend, aber eben nicht ganz an Shicoffs Format heranreichend, die übrige Besetzung. Als richtiggehend tückisch erwies sich die zweite Tenorpartie (Reichsfürst Leopold, Zoran Todorovich), die alles in sich birgt um "schwer" und "undankbar" in einem zu sein. Simone Young sorgte mit dem Orchester für Wohlklang, war aber nicht immer in der Lage, einen über die Längen dieses Werkes hinweghören zu lassen. Das Regieteam konnte sich am Schluss einem gewissen, sich in Grenzen haltenden Anteil an Mißfallenskundgebungen nicht entziehen - die allerdings in Summe nicht gerechtfertigt waren. Die Gretchenfrage bei dieser "Jüdin" ist vielmehr eine ganz andere: Was tun, wenn Shicoff nicht singt?

Die Zeitungen ergingen sich in Lobpreisungen auf Neil Shicoff, dessen schauspielerischen und sängerischen Qualitäten nur mehr in Superlativen gehuldigt werden konnte. Da liest man dann Sätze wie "Shicoff ist kein Tenor mehr" (Kurier) eben weil er eine "Persönlichkeit" ist. Da ist von "ungeahnten Höhen der Erschütterung und Wahrhaftigkeit" die Rede (News) und oder ganz einfach von einer "Sensation" (Stuttgarter Zeitung).

Die Aufführung wurde aber auch als Wiederentdeckung eines Werkes gefeiert das "bis 1933 zum festen Bestandteil des Weltopernrepertoires gehörte" (Kleine Zeitung). Ihre Lebensfähigkeit auf der Bühne - die man anläßlich einer konzertanten Aufführung an der Staatsoper Anfang der 80er Jahre durchaus anzweifeln konnte - scheint diese Premiere jedenfalls bewiesen zu haben. Auch die Publikumreaktionen bei den Folgevorstellungen der Premierenserie waren durchweg positiv. Das Werk hat wieder Anklang gefunden - oder, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung notierte "ein kräftiges Plädoyer für Halévys zweifellos unterschätzte Oper".

Manuel Brug, Die Welt, 26.10.99. Er notierte über Neil Shicoff: "In der Caruso-Rolle des Eléazar ist er Verbitterung, schneidende Ablehnung, ein wütender Ahasver, gehetzt von den Furien des Antisemitismus. Dann, in der berühmten Arie "Rachél, quand du Seigneur", scheint nur noch Verzweiflung auf, ein gebrochener, alter Jude, der nicht weiß, ob er seine Christentochter retten oder mit in den Tod reißen soll. Wie Shicoff das spielt, lebt, singt - das ist einer der raren Momente, der heute noch große Oper sein kann."

Die Frage nach einer politischeren Akztentuierung der "Jüdin" stellte Jürg Stenzl im "Feuilleton" der Berliner Zeitung vom 26.10.99: "Das "große Opernhaus" in Paris war 1835 ein Unternehmen, in dem brennende aktuelle politische Themen zur Debatte standen. Davon war am Wochenende in Wien wenig zu verspüren."

"Das durch die Kostüme verstärkte Konzept ist gewiss nachvollziehbar, aber ein bisschen sehr plakativ. Dass sich dahinter ausgefeilte, bewegende Momente der Personenregie befinden, macht es doppelt schwer, die Inszenierung als nicht besonders gelungen und in den Massenszenen einfallslos zu bezeichnen." - befand Derek Weber in den Salzburger Nachrichten zum Regie-Konzept (25.10.99).