THEODORA
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Theater an der Wien im Museumsquartier Halle E
19. Oktober 2023
Premiere

Dirigent: Bejun Mehta

Inszenierung: Stefan Herheim
Bühne: Silke Bauer
Kostüm: Gesine Völlm
Licht: Franz Tscheck
Video: Roman Hagenbrock

La Folia Barockorchester
Arnold Schönberg Chor

Theodora - Jacquelyn Wagner
Irene - Julie Boulianne
Septimius - David Portillo
Valens - Evan Hughes
Didymus - Christopher Lowrey
Bote - Zacharias Galaviz-Guerra


„Händel im Kaffeehaus
(Dominik Troger)

Feiern wir also den Geburtstag des römischen Kaisers Diokletian im Café Central. Die Wiener halten es zwar mehr mit Kaiser Marcus Aurelius Probus, aber wenn Georg Friedrich Händel auf Diokletian besteht und Stefan Herheim auf ein Kaffeehaus, dann wird sich das schon irgendwie reimen. Ob sich das Publikum an dieser „Mischung“ laben kann, ist eine andere Frage. Aber zumindest gibt es viel schöne Musik zu hören.

Georg Friedrich Händels Oratorium „Theodora“ wurde 1750 uraufgeführt. Das Werk war kein Erfolg und wurde erst im 20. Jahrhundert wieder „ausgegraben“. Die Handlung spielt zur Zeit der Christenverfolgung unter Diokletian. Es gibt einen bösen römischen Statthalter und zwei sich keusch liebende Christen – Theodora und Didymus – die beide zusammen in den Tod gehen, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören wollen. Als Vorlage diente Händel ein Text von Robert Boyle. Händel hat sich davon zu einem sehr empfindsamen Werk anregen lassen, dessen Aufführung sich an diesem Abend (inklusive einer Pause) über dreieinhalb Stunden erstreckte.

„Theodora“ enthält vor allem schöne Musik. Bereits im Herbst 2021 konnte man sich im Theater an der Wien bei einer konzertanten Aufführung davon überzeugen. Trotz illustrer Besetzung (Joyce Di Donato als Irene, Lisa Oropesa in der Titelpartie und Michael Spyres als Septimius) wurde aber dem Publikum nicht nur großes Einfühlungsvermögen, sondern wegen der Länge auch eine große Portion Geduld abverlangt. Damals hätte nicht man gewettet, dem Werk innerhalb von zwei Jahren in Wien auch szenisch zu begegnen. Zu undramatisch schien es, ein Oratorium zur geistigen und seelischen Erbauung komponiert, aber als Musiktheater?

Schon 1996 haben in Glyndebourne William Christie und Peter Sellars „Theodora“ zur „Oper“ erklärt und szenisch in die US-amerikanische Gegenwart geholt. Seither gab es mehrere szenische Produktionen, erst letztes Jahr am Royal Opera House in London. Der „Guardian“ übertitelte seine Besprechung damals: „Theodora review – bombs, a brothel and a brillant cast“. Für die neue Wiener Produktion ist diese Überschrift viel zu reißerisch, weil Stefan Herheim die „Handlung“ ins Wiener Cafe Central verlegt hat. Es werden keine Bomben gezündet, als Bordellrequisit muss ein Billardtisch herhalten und der Kaffeehausbesitzer Valens hat offensichtlich Probleme mit seinem Personal. Warum? Weil es die Gäste dazu animiert hat, sich bis auf die Unterwäsche auszuziehen? Am Schluss werden Theodora und Didymus gekündigt und verlieren ihren Job. Als  ironisierendes Aperçu gibt es noch einen „Engel“, schwarzes Gewand und große weiße Flügel an den Schultern, der sich kurz im Obergeschoß des Cafés zeigt, ehe dieses zusammenzubrechen droht und der Vorhang fällt.

Im Programmheft zur Aufführung wird Herheim wie folgt zitiert: „Schon der Name Café Central dient als Gedankenmodell. Ein Kaffeehaus als Zentrum der Welt.“ Herheim entzieht sich in seiner Inszenierung der Religionsthematik, er möchte im Kaffeehaus unter seinen sozial heterogenen und touristisch unterwanderten Besuchern ein philosophisches Streitgespräch initiieren – über Gesetz, Gewalt, persönliche Freiheit oder was auch immer. Dabei hat er übersehen, dass die realweltliche Bildhaftigkeit des Café Central mit seinen Tischchen, Torten und Touristen und ein von religiösem Überschwang triefendes Händel-Oratorium aus dem 18. Jahrhundert schwer in Einklang zu bringen sind. Herheim hat mit diesem Bühnensetting die existentialistische Position von Händels in Musik gesetzten Märtyrern zu einer säkularen „Meinungsverschiedenheit“ unter Angestellten im Gastgewerbe sowie ihrer Kundschaft verwässert. Und obwohl Herheim wie immer einer guten Personenführung pflog, praktikable (Chor-)Tableaus formte und das Licht für stimmungsvolle Szenen nützte, blieb deshalb das Gesamtergebnis gemessen an Händels Vorlage viel zu banal und uninteressant.

Musikalisch hinterließ der Abend einen viel überzeugenderen Eindruck. Bejun Mehta am Pult des La Folia Barockorchesters packte das Werk bei seinen Stärken, ohne es ruppig auf „Oper“ aufzublasen. Er ließ das Publikum in Händel den sensiblen Musiker entdecken, gefühlvoll, farbenreich, manchmal wie ein Vorgriff auf das 19. Jahrhundert anmutend: Händel als Klangzauberer, gleichsam der Welt enthoben, eine innere Seelendramatik nachspürend, deren ausufernde Selbstgespräche mehr zelebriert als „kaschiert“ wurden. 

Die Solisten agierten durchwegs auf gutem bis hohem Niveau, auch darstellerisch ganz auf diese seltsame Produktion eingeschworen. Mit Christopher Lowrey präsentierte sich ein ausgezeichneter Countertenor dem Wiener Publikum, mit  angenehm timbrierter Stimme folgte er den von Händel mit sensiblem Gefühl gespannten musikalischen Bögen. Jacquelyn Wagner gab die Titelpartie, machte dem Publikum mit ihrem leicht kühl umflorten, glaubensfesten Sopran sogar Theodoras mitleidheischendes Räkeln auf dem Billardtisch erträglich. David Portillo sang den Septimius mit sicherem lyrischem Tenor, Julie Boulianne steuerte einen agilen Mezzo als Irene bei, Evan Hughes hätte ein noch bösartigerer Kaffeehauschef alias römischer Statthalter  sein können. Der Arnold Schönberg Chor gab wieder ein Beispiel seiner gesanglichen Integrität und darstellerischen Wandlungsfähigkeit. Ohne diesen Chor müsste das Theater an der Wien zusperren.

Das Publikum reagierte mit starkem Applaus für Dirigenten und Sänger, beim Regieteam hielten sich die Bravorufe in engen Grenzen und es gab keine Buhrufe.