„Händel im Kaffeehaus“
(Dominik Troger)
Feiern
wir also den Geburtstag des römischen Kaisers Diokletian im Café
Central. Die Wiener halten es zwar mehr mit Kaiser Marcus Aurelius
Probus, aber wenn Georg Friedrich Händel auf Diokletian besteht und
Stefan Herheim auf ein Kaffeehaus, dann wird sich das schon irgendwie
reimen. Ob sich das Publikum an dieser „Mischung“ laben kann, ist eine
andere Frage. Aber zumindest gibt es viel schöne Musik zu hören.
Georg Friedrich Händels Oratorium „Theodora“ wurde 1750 uraufgeführt.
Das Werk war kein Erfolg und wurde erst im 20. Jahrhundert wieder
„ausgegraben“. Die Handlung spielt zur Zeit der Christenverfolgung
unter Diokletian. Es gibt einen bösen römischen Statthalter und zwei
sich keusch liebende Christen – Theodora und Didymus – die beide
zusammen in den Tod gehen, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören
wollen. Als Vorlage diente Händel ein Text von Robert Boyle. Händel hat
sich davon zu einem sehr empfindsamen Werk anregen lassen, dessen
Aufführung sich an diesem Abend (inklusive einer Pause) über
dreieinhalb Stunden erstreckte.
„Theodora“ enthält vor allem schöne Musik. Bereits im Herbst 2021
konnte man sich im Theater an der Wien bei einer konzertanten
Aufführung davon überzeugen. Trotz illustrer Besetzung (Joyce Di Donato
als Irene, Lisa Oropesa in der Titelpartie und Michael Spyres als
Septimius) wurde aber dem Publikum nicht nur großes
Einfühlungsvermögen, sondern wegen der Länge auch eine große Portion
Geduld abverlangt. Damals hätte nicht man gewettet, dem Werk innerhalb
von zwei Jahren in Wien auch szenisch zu begegnen. Zu undramatisch
schien es, ein Oratorium zur geistigen und seelischen Erbauung
komponiert, aber als Musiktheater?
Schon 1996 haben in Glyndebourne William Christie und Peter Sellars
„Theodora“ zur „Oper“ erklärt und szenisch in die US-amerikanische
Gegenwart geholt. Seither gab es mehrere szenische Produktionen, erst
letztes Jahr am Royal Opera House in London. Der „Guardian“ übertitelte
seine Besprechung damals: „Theodora review – bombs, a brothel and a
brillant cast“. Für die neue Wiener Produktion ist diese Überschrift
viel zu reißerisch, weil Stefan Herheim die
„Handlung“ ins Wiener Cafe Central verlegt hat. Es werden keine Bomben
gezündet, als Bordellrequisit muss ein Billardtisch herhalten und der
Kaffeehausbesitzer Valens hat offensichtlich Probleme mit seinem
Personal. Warum? Weil es die Gäste dazu animiert hat, sich bis auf die
Unterwäsche auszuziehen? Am Schluss werden Theodora und Didymus
gekündigt und verlieren ihren Job. Als ironisierendes Aperçu gibt
es noch einen „Engel“, schwarzes Gewand und große weiße Flügel an den
Schultern, der sich kurz im Obergeschoß des Cafés zeigt, ehe dieses
zusammenzubrechen droht und der Vorhang fällt.
Im Programmheft zur Aufführung wird Herheim wie folgt zitiert: „Schon der Name Café Central dient als Gedankenmodell. Ein Kaffeehaus als Zentrum der Welt.“ Herheim
entzieht sich in seiner Inszenierung der Religionsthematik, er möchte
im Kaffeehaus unter seinen sozial heterogenen und touristisch
unterwanderten Besuchern ein philosophisches Streitgespräch initiieren
– über Gesetz, Gewalt, persönliche Freiheit oder was auch immer. Dabei
hat er übersehen, dass die realweltliche Bildhaftigkeit des Café
Central mit seinen Tischchen, Torten und Touristen und ein von
religiösem Überschwang triefendes Händel-Oratorium aus dem 18.
Jahrhundert schwer in Einklang zu bringen sind. Herheim hat mit diesem
Bühnensetting die existentialistische Position von Händels in Musik
gesetzten Märtyrern zu einer säkularen „Meinungsverschiedenheit“ unter
Angestellten im Gastgewerbe sowie ihrer Kundschaft verwässert. Und
obwohl Herheim wie immer einer guten Personenführung pflog, praktikable
(Chor-)Tableaus formte und das Licht für stimmungsvolle Szenen nützte,
blieb deshalb das Gesamtergebnis gemessen an Händels Vorlage viel zu
banal und uninteressant.
Musikalisch hinterließ der Abend einen viel überzeugenderen Eindruck. Bejun Mehta
am Pult des La Folia Barockorchesters packte das Werk bei seinen Stärken, ohne es ruppig auf „Oper“
aufzublasen. Er ließ das Publikum in Händel den sensiblen Musiker
entdecken, gefühlvoll, farbenreich, manchmal wie ein Vorgriff auf das
19. Jahrhundert anmutend: Händel als Klangzauberer, gleichsam der Welt
enthoben, eine innere Seelendramatik nachspürend, deren ausufernde
Selbstgespräche mehr zelebriert als „kaschiert“ wurden.
Die Solisten agierten durchwegs auf gutem bis hohem Niveau, auch
darstellerisch ganz auf diese seltsame Produktion eingeschworen. Mit Christopher Lowrey präsentierte
sich ein ausgezeichneter Countertenor dem Wiener Publikum, mit
angenehm timbrierter Stimme folgte er den von Händel mit sensiblem
Gefühl gespannten musikalischen Bögen. Jacquelyn Wagner gab
die Titelpartie, machte dem Publikum mit ihrem leicht kühl umflorten,
glaubensfesten Sopran sogar Theodoras mitleidheischendes Räkeln auf dem
Billardtisch erträglich. David Portillo sang den Septimius mit sicherem lyrischem Tenor, Julie Boulianne steuerte einen agilen Mezzo als Irene bei, Evan Hughes hätte ein noch bösartigerer Kaffeehauschef alias römischer Statthalter sein können. Der Arnold Schönberg Chor
gab wieder ein Beispiel seiner gesanglichen Integrität und
darstellerischen Wandlungsfähigkeit. Ohne diesen Chor müsste das
Theater an der Wien zusperren.
Das Publikum reagierte mit starkem Applaus für Dirigenten und Sänger,
beim Regieteam hielten sich die Bravorufe in engen Grenzen und es gab
keine Buhrufe.
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