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Theater a.d. Wien
14. November 2018
Premiere

Dirigent: René Jacobs
Inszenierung: Moshe Leiser & Patrice Caurier
Bühne: Christian Feriouillat
Kostüme: Agostino Cavalca
Licht: Christophe Forey

Akademie für Alte Musik Berlin

Arnold Schönberg Chor

Egeo - Christophe Dumaux
Teseo - Lena Belkina
Medea - Gaelle Arquez
Agilea - Mari Eriksmoen
Clizia - Robin Johannsen
Arcane - Benno Schachtner
Fedra - Soula Parassidis


Opernrarität von Händel
(Dominik Troger)

Die dritte Premiere der laufenden Spielzeit am Theater an der Wien widmete sich Georg Friedrich Händels „Teseo“. Die Oper wurde 1713 in London uraufgeführt. Obwohl sie „Teseo“ heißt, ist Medea die eigentliche Hauptfigur. Sie macht die Handlung mit ihren Zauberkräften spannend und hat Händel auch musikalisch inspiriert.

„Teseo“ teilte das Schicksal vieler Händelopern, wurde über 200 Jahre lang nicht gespielt und erst im 20. Jahrhundert wieder ausgegraben. Seinen Raritätenstatus hat das Werk aber bis heute nicht verloren – und die aktuelle Neuproduktion des Theaters an der Wien wird daran wenig ändern. Händel hat mit dem „Teseo“ auf die französische Barockoper „geschielt“: Das Libretto basiert auf Philippe Quinaults Libretto zu Jean-Baptiste Lullys Oper „Thésée“ aus dem Jahr 1675, und dessen fünfaktige Form wurde von Händels Librettisten Nicola Francesco Haym beibehalten.

Für die Produktion im Theater an der Wien wurde von René Jacobs eine Neubearbeitung erstellt, deren Stellung im Rahmen der Händel-Rezeption vielleicht einmal zum Thema einer musikwissenschaftlichen Dissertation werden wird. Im Programmheft sind dazu einige Angaben enthalten. Die Überlieferung der Oper ließ offenbar einigen Spielraum, und so wurde zum Beispiel die Figur der Medea-Vertrauten Fedra auf Basis des Librettos von Quinault in diese Fassung „hineinrekonstruiert“ und mit Rezitativen bedacht. Außerdem wurden aus dramaturgischen Gründen Arien gestrichen, verschoben oder gar zu einem Duett umfunktioniert. Im ersten Akt wurde ein kurzer Chor eingefügt, kurze Orchestereinleitungen aus anderen Händelopern wurden während Bühnenbildwechseln gespielt.

Die Oper dreht sich um den Konflikt zwischen Teseo, seinem Vater Egeo, König von Athen, der Prinzessin Agilea und Medea. Teseo wird von Agilea und Medea geliebt. Egeo hat sich zwar Medea versprochen, möchte aber lieber Agilea heiraten und Medea seinem Sohn zur Gemahlin geben. Medea bleibt bei diesem Ränkespiel auf der Strecke, erscheint – laut Libretto – im Finale mit einem von Drachen gezogenen Himmelswagen, um den Palast des Königs in Flammen zu setzen, aber Minerva hilft aus und rettet die Athener Aristokratie vor Medeas Rache. Die Königstochter aus Kolchis ist jedenfalls die tragende Säule der Oper.

Im Theater an der Wien wurde der Versucht gemacht, das Werk auf „seriös“ zu inszenieren: die Handlung spielt an einem Königshof in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Imperiale Gemächer bilden den Rahmen für dieses sich in hochgestellten Kreisen zutragende Liebesdrama. Im ersten Akt herrscht allerdings noch Krieg und der Palast dient als Lazarett. Das Inszenierungsteam Moshe Leiser & Patrice Caurier hat Medeas Zauber leicht ironisierend in Szene gesetzt: Kulissenmobiliar bewegt sich poltergeistartig, die Diener verwandeln sich in werwolfartige Furien, zwei übergroße Hände schieben sich auf die Bühne und bedrohen Agilea. Über das ziemlich „unmythische“ Finale, in dem Medea auf der gedeckten, herrschaftlichen Tafel eine Handgranate zündet, kann man geteilter Meinung sein. Dass dieser Schluss aber im Rahmen der Gesamtdramaturgie gut funktioniert, steht außer Zweifel – und dass Leiser & Caurier die Ouvertüre nicht verinszeniert haben, sei außerdem höchst positiv angemerkt.

Was sind die Minuspunkte dieser Produktion? Das Regieteam hat den Schwächen des Werkes wenig Hilfestellung angedeihen lassen. Der ganze erste Akt versprühte den zweifelhaften Charme einer zu langen und langweiligen Einleitung, und war nicht nur szenisch, sondern auch musikalisch und gesanglich der schwächste Teil des Premierenabends. Medea war zwar als starker Charakter positioniert (durch zwei mondän-erotische Kostüme auch optisch besonders herausgestrichen) – aber sie fand auf der Bühne keine Gegenspieler. Egeo wurde als etwas gehemmter Kriegsveteran gezeichnet, Agilea und Teseo blieben blass und konturlos. Die konfliktreiche Figurenkonstellation wurde von Medea so stark dominiert, dass es eigentlich unverständlich scheint, warum nicht sie den Sieg davon getragen hat.

Aber dieser Eindruck ist nicht nur auf die Regie zurückzuführen, die Besetzung hatte einen großen Anteil daran. Es wäre wahrscheinlich vorteilhaft gewesen – in Anlehnung an die Kastratenbesetzung der Uraufführung – den Teseo von einem Countertenor singen zu lassen. Während Gaelle Arquez mit ihrem leicht dunklen, kräftig ausholenden Sopran ihre Gefühlsausbrüche wirkungsvoll kundtat, waren der Teseo von Lena Belkina, die Agilea von Mari Eriksmoen und Clizia (Robin Johannsen) einander zu ähnliche, zu blasse Bühnenerscheinungen. Und alle drei ließen Stimmen hören, die auch aus manch virtuoser Anlage ihrer Partie keine das Publikum anfeuernde Energie zu generieren wussten. Der erste Akt – ohne Medea – litt besonders stark unter diesem Manko.

Lena Belkina war als Teseo gegenüber Medea schon in der Lautstärke zu stark unterlegen, als dass man sie als begehrenswerten Kriegshelden wahrgenommen hätte. Mari Eriksmoens Sopran klang mir im ersten Akt leicht nasal verschattet und auch später fand sie stimmlich nicht zu der aufblühenden Sopranunschuld, die einer Händel’schen Prinzessin so gut anstehen würde. Sie unterschied sich auch im Timbre zu wenig von ihrer Vertrauten Clizia. Müssten die soziale Bühnenhierarchie und die demgemäß unterschiedenen Persönlichkeiten nicht auch in den Stimmen zum Ausdruck kommen? Ein Countertenor hätte in diesem Umfeld den Teseo viel stärker „markiert“ – auch den Sohn gegenüber einem nicht sehr durchsetzungsstark gezeichneten König herausgehoben. Diesen König sang Christophe Dumaux im ersten Akt mit noch zu metallisch gefärbtem Countertenor, später seriös, aber zu zurückhaltend. Benno Schachter als Arcane fand auch kaum Möglichkeiten, Akzente zu setzen.

Überhaupt scheint man seitens des Produktionsteams den gesanglich virtuosen Aspekt bewusst zugunsten der Dramaturgie reduziert zu haben. Aber gerade eine erstklassige Besetzung, die diese gesangliche Virtuosität auch souverän „ausspielen“ kann, hätte nach meinem Eindruck dieser Aufführung mehr geholfen, als der wohldurchdachte Handgranatenschluss. Dass es während des ganzen Premierenabends keinen Szenenapplaus gab, ist ein weiteres Indiz für den oben ausgeführten Eindruck.

Zu guter Letzt sei angemerkt, dass René Jacobs mit seinem Dirigat dem Spannungsaufbau wenig förderlich war. Nur die Medea-Szenen kamen packend über die Rampe. Die langsamen Nummern gerieten alle langsam und breit, oder – wie man auch sagen könnte – „erdenschwer“. Von der Akademie für Alte Musik Berlin und ihrem Dirigenten hätte ich mir insgesamt eine pointiertere, straffere, die Akzente stärker betonende Wiedergabe gewünscht.

Der Schlussapplaus fiel sehr freundlich aus – Medea erhielt mit Abstand die stärkste Zustimmung.