TAMERLAN
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Odeon Musikalische Leitung: Huw Rhys James Inszenierung: Dominik Wilgenbus Orchester:
Musica Poetica Wien |
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"Vom
Sieg der Musik über die Dichtkunst" Die Idee, Georg Friedrich Händel und Christopher Marlowe's Drama "Tamburlaine the Great" zusammenzuspannen, ergab Stoff für rund viereinhalb Stunden "Opern-Theater" - wobei die musikalische Umsetzung viel Fingerspitzengefühl bewies, während Marlow der Odeon-Akustik und den Problemen zum Opfer fiel, die junge Schauspieler mit dem Sprechen von Blankvers-Dramen haben. Das Odeon präsentierte sich diesmal mit "umgekehrten Vorzeichen". Die aufsteigenden, taborstraßen-seitig gelegenen Sitzplatzreihen wurde als Bühne genützt. Das Publikum war in der ebenen Weite des Saals untergebracht. Das Orchester war kammermusikalisch klein gehalten, die Bühne bis auf ein "dreistöckiges" Baugerüst, das sich links von der Bühnenmitte schräg in den Hintergrund erstreckte, leergefegt. Marlow's deftiges Drama und Händels "gefühlsechte" Hof-Kabale gingen also auf den flachansteigenden Stufen der eigentlichen Zuschauertribüne in Szene, mit dem daraufgebauten Gerüst als dem bestimmenden bühnenarchitektonischen Element. (An das Gerüst links vorne schloss sich noch ein runder, hochgezogener Käfig an, in dem der türkische Sultan würde aktlang schmachten müssen.) Die Seitenräume des Saales waren mit schwarzen Vorhängen abgetrennt worden. Während sich Marlowe am Aufstieg und Tod des grausamen Despoten und "Weltherrschers" Tamerlan alias Timur dem Großen (1336-1405) ergötzt, dessen Reich sich von den asiatischen Steppen mit Samarkand als Hauptstadt über den Iran bis Südrussland erstreckte und der dabei bis tief in das Gebiet der heutigen Türkei vorstieß, schildert Händel in seinem "Tamerlano" Liebesintrigen, mit Mord und Selbstmord, ein "seelisches Machtspiel". Regisseur Dominik Wilgenbus mag genau das fasziniert haben, das Gegenüberstellen barocker Charaktere - hier Marlowe, hier Händel - wobei sich Schauspieler und Sänger gegenseitig "spiegeln" und auch miteinander auf der Bühne agieren. Es gibt also zwei Tamerlans und zwei Irenen undsoweiter, die während die/der eine spricht oder singt, auch auf der Bühne sind, als Alter ego, psychologisierend, kommentierend, hilfeleistend. Aber auch die anderen Figuren mischen sich ins Spiele und schaffen das Beziehungsgeflechte der dargestellten Charaktere gewissermaßen neu. Während Händel dadurch gewann, weil die Statik der Oper mit einer hübschen, ausdeutenden Personenregie bereichert wurde - blieb Marlowe auf der Strecke, weil die musikalischen Teile ihm den Wind aus den Segeln nahmen (und weil bei der "Eloquenz" der Schauspieler solch eine Figuren-Vermehrfachung natürlich viel weniger Effekt macht.) Im Programmheft liest sich das, mehr theoretisierend, so: "Die Intention Dominik Wilgenbus' war es, durch die Aufbrechung traditioneller Gattungsformen (Schauspiel - Oper) zu einem Theater von neuer Intensität zu finden, in dem der Zuschauer dank facettenreicherer Erlebnisqualität zu mehr Selbstbezug findet." Das Resultat bewegte sich schließlich aber doch in eine andere Richtung: Händel wurde zum eindeutigen "Matchwinner". Im ersten Akt behielt ja noch Marlow's Drama klar die Oberhand, doch bald entwickelte es sich immer mehr zum Handlager von Händels Seelenschilderungen - eine letztlich nur folgerichtige Entwicklung. Das Wort verlor sich im hohen, schönen Saal, während dieser die Musik zumindest nicht nachteilig beeinflusste. Der erste Akt, noch stark auf Marlow ausgerichtet, machte deshalb auch wenig Eindruck: kein Wunder, wenn man nur die Hälfte von dem, was gesprochen wird, versteht. Ab dem zweiten Akt spielte sich Händel in den Vordergrund, gestützt von der sehr stimmig akzentuierten, aber immer auch sehr klangschönen musikalischen Umsetzung, die Huw Rhys James als musikalischer Leiter mit dem Barockensemble Musica Poetica Wien besorgte. Die Gesangssolisten waren sehr gut ausgewählt, mit innigen, frischen, nicht überforderten Stimmen, die sich mit ganzer Seele Händel'scher Opernkunst hingaben. Natürlich ist man versucht einzelne Sänger herauszugreifen, etwa den jungen Countertenor Romeo Cornelius (Jahrgang 1979(!) der sich eindrucksvoll als Tamerlan präsentierte - und schwindelfrei sich nicht nur auf Händel's Koloraturen einließ (ja, gewiss, hier sind noch einige technische Vervollkommnungen angesagt), sondern auch ansprechend an diesem Baugerüst herumturnte. Als Meisterkletterer überhaupt erwies sich der schauspielernde Darsteller des Andronicus, Laszlo Malecky, der sein überzeugendes gesangliches Gegenüber, Iulia Mercia, mit einer "Solo-Tour" zur dritten Gerüstplattform begleitete. Wenn die Regie an einer Stelle ihrem Ziel nahe kam, dann in diesen Momenten, wo sich die Emotionalität des Gesanges im Schauspiel-Gegenüber in einem einprägsamen Bild verselbständigte. (Soviel zu der, aus dem Programmheft zitierten "facettenreicheren Erlebnisqualität"...) Die Länge brachte es mit sich, dass schon nach der ersten Pause gewisse Lücken im ursprünglich vollbesetzten Auditorium sichtbar wurden, die sich dann um halb elf Uhr abends, als der letzte Teil begann, zu riesigen Löchern ausgewachsen hatten. Das Ende um halb Zwölf fand einen halbleeren Saal vor. Die verbliebenen Besucher zollten der Produktion viel Beifall, vor allem den Sängern und dem Orchester. Romeo Cornelius, der sich in diesem Schlussteil auch noch als "Zehnminuten-Pin-up", mit entblößter Brust und vom Gesange bebenden Flanken präsentiert, war da gleich ins Herz geschlossen worden. Weil es der Schauspiel-Part mit dem hochstehenden musikalischen Niveau einfach nicht aufnehmen konnte, hätte es einen nicht gestört, nur Händel zu hören und auf die Marlow'schen Einwürfe zu verzichten: dafür etwas kürzer und damit auch publikumsfreundlicher, was die Aufführungsdauer betrifft. Was überhaupt nicht gefiel, war - trotz der nahezu akrobatischen Klettereskapaden - das Bühnenbild, dem man zumindest ein paar Farbtupfen hätte spendieren können. Diese visuelle Dimension blieb völlig ausgespart. Das konnte auch - das mittels Gerüst forcierte - ausgefeilte Bewegungstheater nicht wettmachen, und die paar Kampfszenen, in denen die Ringenden effektvoll über die Stiegen der umfunktionierten Zuschauertribüne kollerten. Vielleicht war aber auch einfach kein Budget mehr vorhanden, um die Produktion auch optisch ein wenig "aufzumascherln". Aber zum Glück ist da ja noch Händel's Musik... |