SERSE
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Theater an der Wien
22. Oktober 2018
Konzertante Aufführung

Musikalische Leitung: Maxim Emelyanychev

Il pomo d’oro

Serse - Franco Fagioli
Arsamene - Vivica Genaux
Amastre - Delphine Galoi
Romilda - Inga Kalna
Atalanta - Francesca Aspromonte
Ariodate - Andreas Wolf
Elviro - Biagio Pizzuti


Serse im Theater an der Wien“
(Dominik Troger)

Georg Friedrich Händels „Serse“ galt die zweite konzertante Opernaufführung der laufenden Saison im Theater an der Wien. Im Zentrum des Abends stand der Countertenor Franco Fagioli, der in der Rolle der Titelfigur für eine – im wahrsten Sinne des Wortes – atemberaubende Aufführung sorgte.

Der 1738 uraufgeführte „Serse“ nimmt unter Händels Opern eine Sonderstellung ein. Die Opera seria mit ihren langen, formal festgelegten Arien wurde zugunsten einer, ein wenig an die Venezianische Oper erinnernde, flüssigere „Dramaturgie“ durchbrochen. Die Handlung, die Liebesintrigen am Persischen Hof zum Inhalt hat, enthält auch komische Elemente, die Arien sind meist kürzer und verzichten auf den „Da-capo-Apparat“, die Musik ist enger an den Text gebunden. Händels Zeitgenossen haben diese Merkmale aber nur bedingt goutiert. Im Theater an der Wien wurde der „Serse“ zuletzt im Jahre 2011 in einer szenischen Produktion (Regie: Adrian Noble) aufgeführt.

Wie schon angedeutet, die Besetzung konnte sich sehen und hören lassen. Im Mittelpunkt stand natürlich Franco Fagioli. Er ist derzeit so etwas wie der „Superstar“ unter den Countertenören. Eines seiner Markenzeichen ist der enorme Stimmumfang, der von „brustigen“ fast schon baritonalen Gefilden bis zu Sopranhöhen aufsteigt, ohne deshalb an Qualität oder Volumen einzubüßen. Koloraturen, die zünden wie pyrotechnischer Feuerwerksbedarf, breit gurrende Triller, so als würde er dunklen, schweren Rotwein verkosten, lange auf einen Atem gespannte verzierte Phrasen sorgen dafür, dass einem selbst beim Zuhören schon fast der Atem ausgeht.

Sein Countertenor besitzt eine unverkennbares Timbre, dem die Aura dunkelrot ausgepolsterter Logen in einem alten Theater anhaftet, durchtränkt von Frauenparfum, Rasierwasser und Zigarrengeruch. Es ist eigentlich eine eminent erotische Stimme, die an diesem Abend dem persischen Großkönig in einer Mischung aus schwärmerischer (Selbst-)Verliebtheit und hysterischer Verrücktheit zu einer opulenten, outrierenden Bühnenexistenz verhalf. Man könnte auch sagen, Fagiolis Stimme war in diesem Fall schon das ganze Kostüm und die ganze Kulisse. Der „Wahnsinn“ der Barockoper, mit ihrem Manierismus, mit ihrem Kastratentum, mit ihrer „Affektbezogenheit“ wurde von Fagioli mit unermüdlicher Energie durchdrungen und vor einem ausgebreitet. Der Liebe zum Gesang galt hier jede Nuance und jede Emotion – vom berühmten, schmachtend vorgetragenen Larghetto des Beginns bis zur furiosen Gefühlsaufwallung des Serse im dritten Akt zog Fagioli mit seiner Darbietung das Publikum ganz in seinen Bann.

Arsamene, der Bruder des Großkönigs, wurde von Vivica Genaux verkörpert. Der Beitrag Alaskas zur internationalen Opernszene ließ einen flexiblen, leicht rauchig-aparten Mezzo hören, der gut zur Männerrolle von Serses Bruder passte, und sich – ein wenig „abgeklärter“ wirkend – auch gut von Fagiolis „Serse“ abhob. Inga Kalna (Romilda) hat sich in der Vergangenheit dem Wiener Barockopernpublikum bereits als Alcina (Wiener Staatsoper und Konzerthaus) vorgestellt. Die Sängerin ist aber nicht nur im Barockrepertoire tätig, die Stimme nach meinem Eindruck schon leicht über das Fach hinausgewachsen, auch wenn Kalna ihren Sopran (bis auf wenige Spitzentöne) fest „an den Zügeln“ hielt. Delphine Galou, die großgewachsene Pariser Mezzosopranistin, gab die als Mann verkleidete Amastre. Ihre Mezzo besitzt einen leicht virilen, leptosomischen Einschlag, der in diesem Besetzungsumfeld ein wenig zurückhaltend wirkte.

Francesca Aspromonte präsentierte als Atalanta die aufgedrehte Kokettheit der Opera buffa und ihre Verführungskünste. Die Sängerin ist vom Typ jener lyrischen Soprane, in die sich Maturanten verlieben, wenn sie die Oper für sich entdecken. Ihre Stimme hatte ein leicht silbriges Timbre und eilte verführerisch durch die von Händel ersonnenen Noten. Man würde die Sängerin gerne einmal als Zerlina hören oder in einer Opera buffa – dortselbst am besten im Team mit Biagio Pizzuti, der zweiten sängerischen „Neuentdeckung“ dieses Abends. Pizzuti zeigte als Elviro seine Opera buffa-Qualitäten: ein spielfreudiger, schön timbrierter, aber auch kerniger, unter Italiens Sonne gereifter Bassbariton, der an die Tradition großer Vorbilder anschließen könnte. Andreas Wolf steuerte mit seinem, das Auditorium mit angenehmer Fülligkeit flutenden Bassbariton den Ariodate bei.

Für die orchestrale Begleitung sorgte Il pomo d’oro unter Maxim Emelyanychev. Emelyanychev leitete den Abend vom Cembalo aus, schwungvoll, auf jeden Einsatz bedacht, pointiert nicht nur in der Rezitativbegleitung. (Die Rezitative waren sehr gut durchgearbeitet.) Der erst vor sechs Jahren gegründete Klangkörper Il pomo d’oro beeindruckte ebenso durch nuanciertes Spiel und eine leidenschaftliche Freude am Musizieren. Die Chöre waren, bis auf den, von den Protagonisten gesungenen Schlusschor, gestrichen worden. Der Abend dauerte inklusive einer Pause knapp über drei Stunden. Manche Szenen wurde halbszenisch aufgelöst: etwa die Opera buffa-Sequenz im zweiten Akt (Elviro mit Blumenstrauß, eine Rose überreichte er einer Solistin im Orchester) oder am Beginn das Singen der seitlich im Eingang zum Orchestergraben „versteckten“ Romilda).

Das Publikum feierte nicht nur Fagioli, sogar rhythmisches Klatschen stellte sich ein. Der Applaus dauerte rund sieben Minuten lang.