SERSE
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Theater an der Wien
16.10.2011
Premiere

Musikalische Leitung: Jean-Christophe Spinosi
Inszenierung: Adrian Noble
Ausstattung: Tobias Hoheisel
Licht: Alan Burrett

Orchester Ensemble Matheus
Chor Arnold Schoenberg Chor (Ltg. Erwin Ortner)

Serse - Malena Ernman
Arsamene - Bejun Mehta
Amastre - Luciana Mancini
Romilda - Adriana Kucerova
Atalanta - Danielle de Niese
Ariodate - Anton Scharinger
Elviro - Andreas Wolf


Barockes Platanengrün
(Dominik Troger)

Der erste Premierendurchgang der neuen Saison an den drei großen Wiener Opernhäusern wurde mit einer umjubelten Aufführung von Georg Friedrich Händels „Serse“ im Theater an der Wien abgeschlossen.

Der Intendant des Theaters an der Wien, Roland Geyer, hat Adrian Noble, den Regisseur der Staatsopern-„Alcina“ für einen neuen „Serse“ ans Theater an der Wien geholt – und damit einen glänzenden Erfolg eingefahren. Noble hat gewiss ein „Händchen“ für Händel. Der langjährige Intendant und künstlerischer Leiter der Royal Shakespeare Company (bis 2003) hat die Handlung wie schon bei seiner „Alcina“ ins 18. Jahrhundert verlegt – die Personenregie und das Herausstellen der Affekte sind im „Serse“ aber viel detailreicher und pointierter gearbeitet.

Außerdem kommt Noble das heterogene Werk entgegen, das wie eine ganz zarte Vorahnung Mozart'scher Gefühlseskapaden den Liebesverwirrungen des Perserkönigs Xerxes nachspürt, diese aber auch durch den Einbau von „Buffo“-Elementen zu ironisieren sucht. Die Mischung von Tragödie und Komödie erfordert von den Sängerinnen und Sängern viel Spielwitz, die teils kurzen Arien (ohne „Dacapo“) beschleunigen den Handlungsablauf. Das Publikum im Uraufführungsjahr 1738 war über dies „andere“ Art der Opera seria weniger entzückt, im Theater an der Wien des Jahres 2011 wurde die Produktion mit einem Bravosturm gefeiert.

Noble kennt nicht nur das historische Umfeld der Händel’schen Opernproduktion, sondern ist auch mit „britischem Humor“ gesegnet, um abseits kalauernder Bühnenscherze, den Gefühlsregungen der Figuren zugleich ein mehr oder weniger mildes ironisches Lächeln abzugewinnen – das manchmal auch ins Lachen umschlägt. Zugleich sorgte er für eine bestens abgestimmte Be- und Entschleunigung im Szenenablauf und bei den Arien. Der Abend dauerte inklusive Pause rund dreieinhalb Stunden – aber die Zeit verflog im Nu.

Das Bühnenbild bot die eigentliche Überraschung: hinter einer hohen weißen, wenig gegliederten Mauer, die der Rundung der Drehbühne folgte, verbarg sich ein Garten, zur Hälfte mit grünen Bäumen bewachsen, zur Hälfte mit dürren Baumskeletten bestückt: üppige Seelenlandschaft der erfüllten Liebe und der unerfüllten Sehnsucht und ausgedörrten knorrigen Eifersucht. Die Mauer konnte sich teilen – und somit ergab sich schon eine Gliederung der Spielfläche: vor der Mauer, im Garten, im Tor, das die beiden abschließenden Mauerteile freigaben und beliebig vergrößert oder verkleinert werden konnte.

Bevor Serse zum bekanntesten Musikstück aller Händelopern schritt – dem „Ombra ma fu“ – öffnete sich die Mauer, und in sattem Grün fächelt eine Platane dem erhitzen Gemüt des edlen Serse linde Kühlung zu - ein grandioser Einfall des Ausstatters Tobias Hoheisel. Und Malena Ernman, mit ihrem hier noch etwas schläfrig wirkenden Mezzo, bettete sich singend in ihren Schatten.

Der Mezzo von Ernman sollte nach der kurzen „Anfangs-Träumerei“ noch gehörig Gas geben. Ernman spielte den Großkönig hervorragend, gesanglich gab sie ihm eine etwas extrovertierte Note, eine Mischung aus Dandy und Macho. Ihr Mezzo ist nicht strahlend, klingt etwas gebleicht, erinnert im Timbre ein wenig an einen Countertenor. Man hätte nicht sagen können, ob hier eine Frau oder ein Mann im Platanenschatten liegt und singt.

Der Garten war die Welt von Romilda, gesungen von Adriana Kucerová. Der jugendliche Sopran mit fester, klarer Stimme kletterte dort sportlich auf Bäumen umher, verzehrte sich in Liebe nach Arsamene und wurde von Serse heiß begehrt. Aber sie krönte ihre Tugend mit Standhaftigkeit - und zum Schluss bekam sie ihren Arsamene doch. Arsamene wurde von Bejun Metha beigesteuert. Der Counternor zählt im Theater an der Wien schon zu den Stammgästen und vermag das Publikum immer wieder erneut zu begeistern.

Danielle de Niese fand in der Atalanta ihre bisher beste Rolle im Theater an der Wien. Sie gab trefflich die unbekümmerte Intrigantin, die ihrer Schwester den geliebten Arsamene ausspannen möchte. Ihr etwas eigenwilliger Sopran mit dem rauchigen Timbre passte perfekt für diese stark komödiantisch ausgelegte Partie. Außerdem wickelte de Niese mit ihrer starken Bühnenpersönlichkeit und lasziv-kecken Erotik das Publikum um den Finger.

Mit der jungen Sängerin Luciana Mancini stellte sich eine neue Stimme dem Wiener Publikum vor: ein wendiger, spielfreudiger Mezzo, mit leicht männlicher Tönung, auf Barockmusik spezialisiert und sehr vielversprechend. Von den beiden Herren hinterließ Andreas Wolf als Elviro einen vorzüglichen Eindruck als buffonesker Diener. Anton Scharinger steuerte einen schon etwas gesetzter wirkenden Feldherrn und Vater zweier Töchter bei.

Der Enthusiasmus des Ensemble Matheus und seines musikalischen Leiters, Jean-Christophe Spinosi (der auch mal selbst zur Violine griff), übertrug sich auf die Sänger und das Publikum. Das Ergebnis war ein schwungvoll und pointiert, aber auch feinfühlig und emotional stimmig musizierter Abend, bei dem „alles passte“, und der das Lachen und Weinen der Bühnenfiguren intensiv zum Leben erweckte.

Fazit: Knappe zehn Minuten enthusiastischer Schlussapplaus für eine rundum gelungene Produktion.