SEMIRAMIDE
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Kammeroper
23. September 2013
Premiere

Musikalische Leitung: Alan Curtis


Inszenierung & Ausstattung: Francesco Micheli

Licht: Frank Sobotta

Bach Consort Wien

Semiramide - Çigdem Soyarslan
Tamiri - Gan-ya Ben-gur Akselrod
Scitalce - Andrew Owens
Mirteo - Rupert Enticknap
Ircano - Igor Bakan
Sibari - Gaia Petrone
Nino, Schauspieler - Alessio Calciolari (stumme Rolle)



Opern-Baukasten

(Dominik Troger)

Die Wiener Kammeroper „neu“ mit dem Jungen Ensemble des Theaters an der Wien hat sich zum Beginn ihrer zweiten Spielzeit ein Opern-Pasticcio von Händel vorgenommen. Es beruht auf der Oper „La Semiramide riconosciuta” von Leonardo Vinci (uraufgeführt 1729). Für die gespielte Fassung und für die musikalische Einstudierung sorgte Händelspezialist Alan Curtis.

Der Name „Semiramis“ weckt orientalische Assoziationen, aber eine historische Persönlichkeit lässt sich daran kaum festmachen. Vielleicht geht die antike Überlieferung auf eine assyrische Königin des ersten vorchristlichen Jahrtausends zurück. Auf den Opernbühnen der Barockzeit ist Semiramis dafür um so intensiver greifbar. Pietro Metastasio schuf zu diesem Stoff ein berühmtes Libretto, heiß begehrt von den Komponisten seiner Zeit. Auch Leonardo Vincis Vertonung geht auf Metastasio zurück. Der Stoff erfreute sich bis ins 19. Jahrhundert großer Beliebtheit, sogar Rossini hat noch eine „Semiramide“ komponiert – allerdings auf ein Libretto nach der Tragödie von Voltaire.

Die Handlung ist auf den ersten Blick verwirrend, die szenische Umsetzung in der Kammeroper war aber soweit eindeutig – und von den mitlaufenden Übertiteln unterstützt konnte man dem Abend gut folgen: Semiramis herrscht als Mann über Assyrien anstelle ihres Sohnes Nino. Diesen hat sie als Frau erziehen lassen. Drei Prinzen werben um Prinzessin Tamiri: Mirteo, Ircano und Scitalce. Tamiri entscheidet sich für Scitalce, ein früherer Geliebter von Semiramis. Das weckt in Semiramis Eifersucht. Die ungelöste Frage, wer Tamiri jetzt wirklich bekommen soll, schafft ein großes Durcheinander. Dazu kommen Intrigen, die von Sibari, dem Vertrauten der Semiramis, gesponnen werden. Das Finale beherrscht großes Verzeihen. Semiramis legt die Männerkleider ab. Das Volk huldigt ihr. Sie reicht Scitale die Hand, Tamiri entscheidet sich für Mirteo.

Alan Curtis erläutert im Programmheft ausführlich seinen Zugang zu dieser Oper, die Händel für ihre Londoner Aufführung 1733 in den Rezitativen stark gekürzt hat. Außerdem hat Händel Arien ausgetauscht, um seiner verfügbaren Sängerbesetzung Genüge zu tun. Curtis hat sich dafür entschieden, Händels Bearbeitung nicht in allen Punkten zu übernehmen. Im Programmheft ist dankenswerter Weise aufgelistet, welche Nummer von welchem Komponisten stammt – Vinci gilt die „Mehrheit“, aber es gibt auch Arien von Porpora, Händel, Leo und Feo. Außerdem hat Curtis aus drei Akten zwei gemacht: inklusive einer Pause dauerte der Abend unter drei Stunden.

Leonardo Vinci gehörte zu ersten Garnitur der Opernkomponisten seiner Zeit. Letzte Saison wurde im Theater an der Wien sein „Artaserse” konzertant aufgeführt – und es ist bereichernd, dass nach Händel und Vivaldi weitere Komponisten dieser Epoche vermehrt zur Aufführung kommen. Der Abend servierte dem Publikum eine ganze Reihe packender und feinsinniger Arien, einigen Humor in der Figur des derb um Tamiri werbenden Skythen Ircano, und expressive accompagnierte Rezitative. Dank der reizvollen Pasticcio-Anordnung konnte das Publikum an diesem Abend ein wenig in die Praxis barocken Operntheaters hineinschnuppern: nur dass nicht Georg Friedrich Händel, sondern ein umsichtiger und mit wissenschaftlichem Anspruch agierender Alan Curtis für die „Zusammenstellung“ verantwortlich war.

Für die szenische Umsetzung sorgte Francesco Micheli. Micheli hat die Handlung in den Tanzpalast „Babilonia“ verlegt. Das Bühnenbild bestand aus einer Tanzfläche, zu der im Hintergrund wenige breite, weiße Stufen hinabführten. Requisiten waren rar. Die ersten Szenen wurden mit großen, illustrierten Würfeln gestaltet, die je nach den Seiten, die man zusammensetzte, unterschiedliche Bilder ergaben. Das war zuerst originell, nützte sich aber rasch ab. Danach war die Bühne meist leer, ein Fransenvorhang teilte sie des öfteren in einen vorderen und einen rückwärtigen Bereich.

Micheli hat stark auf die „Körperlichkeit“ der Sänger gesetzt, die ein breites Repertoire an Bewegungsmöglichkeiten durchspielten, von Slapstick über Tanz bis zur Gestik im Zeitlupentempo. Damit wurden die Arien und Rezitative quasi „choreographiert“. Außerdem mischte sich der Sohn von Semiramis (stumme Rolle) als „Drag Queen“ in das Geschehen. Das wirkte „barock“ – und passte zur Handlung, in der das Spiel mit Geschlechteridentitäten eine nicht unwichtige Rolle spielt. Die Kostüme waren zeitlos gehalten, eher einfach geschneidert. Die Sängerin der Semiramis musste mehrmals die Überkleider wechseln, so nach dem Motto: aus Mann wird Frau – aus Frau wird Mann. Auf diese Weise hat Micheli die Grundkonflikte der Handlung gut, aber etwas plakativ thematisiert. Einige kürzere „Leerläufe“ konnte er trotzdem nicht vermeiden.

Am eindrücklichsten hat sich an diesem Abend Gaia Petrone dem Publikum empfohlen, als intriganter Sibari mit sehr guter Bühnenpräsenz und ihrem schönen, dunkelgetönten Mezzo, der flüssig durch die barocke Gesangslinie eilte. Rupert Enticknap gab den ägyptischen Prinzen Morteo. In seiner ersten Arie besang er poetisch seine Liebesqualen: ein stilistisch schon sicherer Countertenor, fähig zu zärtlichem, allerdings noch nicht ganz vollgerundetem Klang. Çigdem Soyarslan wirkte auf mich als Semiramis stilistisch schon eine Spur zu veristisch, was ihrem Sopran ein wenig die Lockerheit nahm. Andrew Owens als Scitalce ließ einen schönen lyrischen Tenor hören, der auch mehr auf das klassisch-gängige Repertoire fokussiert scheint. Der Bassbariton Igor Bakan dürfte sich in Bufforollen wohl fühlen, und als herumpolternder Skythe war er passend besetzt. Gan-ya Ben-gur Akselrod gab eine selbstbewusste Prinzessin Tamiri, mit recht leichtgewichtigem Sopran.

Das Bach Consort Wien spielte mit etwas dunklerem, schwererem Klang und animiert, aber weil Alan Curtis am Pult stand, fiel es einem nicht leicht, darüber die Eleganz und die interpretatorische Nuancierungsfähigkeit eines Il Complesso Barocco zu vergessen. Das Premierenpublikum war von der Aufführung angetan und spendete starken, lang anhaltenden Applaus.