SEMELE
Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Händel-Portal

Theater an der Wien
15.9.2010
Premiere

Musikalische Leitung: William Christie

Inszenierung: Robert Carsen
Ausstattung: Patrick Kinmonth
Licht: Robert Carsen und Peter van Praet
Choreografie: Philippe Giraudeau

Les Arts Florissants
Arnold Schoenberg Chor


Kooperation mit dem Opernhaus Zürich

Semele - Cecilia Bartoli
Jupiter / Apollo - Charles Workman
Cadmus/Somnus - David Pittsinger
Ino - Malena Ernman
Juno - Birgit Remmert
Athamas - Matthew Shaw
Iris - Kerstin Avemo


Gelungenes Recycling
(Dominik Troger)

Mit dieser Aufführung gelang dem Theater an der Wien ein prächtiger Saisonstart: Händels „The Story of Semele“ – ein „dramatisches Oratorium“ aus dem Jahre 1744 – feierte mit Cecilia Bartoli in der Titelrolle einen großen Erfolg.

Man könnte dem Theater an der Wien natürlich vorwerfen, dass es sich zunehmend auf eine geschickte Art der „Restlverwertung“ spezialisiert, aber wenn man mit solchen „Restln“ prunken kann, was solls? Jetzt hat man für vier Aufführungen eine Produktion nach Wien geholt, die 1996 (!) in Aix-en-Provence Premiere hatte, und dann über die English National Opera nach Zürich reiste, wo sie 2007 auf dem Spielstand stand. Auch die Tonträgerindustrie hat diese Produktion längst „verewigt“. Doch bei den raren Bühnenauftritten von Cecilia Bartoli in Wien ist schon allein ihr Mitwirken Sensation genug.

Außerdem durfte hierzulande William Christie im Gegensatz zu Zürich mit den Musikerinnen und Musikern der Les Arts Florissants antreten. Händels stimmungsvoll-erotische, teilweise auch sehr pointierte Musik wurde von diesem Ensemble gefühlvoll umgesetzt. Das Theater an der Wien durchströmte ein betörender, gleichsam in Goldfolie gepackter „Originalklang“ barocker Sinnlichkeit, wie man ihn selten zu hören bekommt. Auf solcher Basis – und die erprobte Regie von Robert Carsen als Rückgrat – stand einem fulminanten Saisonstart nichts im Wege.

Cecilia Bartoli erfüllte die Partie der Semele mit der koketten Lustbarkeit müheloser Koloraturen. Der Höhepunkt des Abends war ohne Zweifel die Arie „Myself I shall adore“, eine verzierungsreiche hymnische Selbstanhimmelung, scheinbar endlos sich in langen Wiederholungen ergehend. Bartoli machte ein natürlich und ungemein belebt wirkendes Kabinettstück barocken Operngesanges daraus und erntete begeisterten Szenenapplaus.

Die nicht so große, aber überaus wendige Stimme der Bartoli scheint fürs sängerergonomisch gebaute Theater an der Wien ohnehin wie maßgeschneidert: in der klaren Akustik kam ihre wunderbare Stimmbeherrschung bestens zur Geltung. Zudem bezauberte ihre mädchenhafte Ausstrahlung das Publikum, ihre selbstbewusste Laszivität, kokett und keck und verträumt, je nach Anforderung.

Um noch die inhaltliche Seite anzusprechen: Semele erkennt in der oben genannten Arie anhand ihres Spiegelbildes, dass sie zu „Höherem“ geboren ist – und geht damit Juno auf den Leim, die in Semele nur die Nebenbuhlerin sieht. Juno hat ihr diesen Spiegel „untergeschoben“. Sie gibt ihr zudem den Rat, sie solle Jupiter den Eid abnehmen, dass er sich ihr in seiner wahren Gestalt nähern werde. Jupiter steigt triebgetrieben darauf ein – und Semele verglüht unter der göttlichen Annäherung. Ihr ungeborenes Kind wird aber gerettet und später als Bacchus Karriere machen.

Robert Carsens Regie hat das Götterpaar den Herrscherpersönlichkeiten der britischen Monarchie nachempfunden – und aufgrund dieses zeitgenössischen Vorbilds aktualisiert. Trotz der langen „Reisezeit“ – wenn auch für Wien neu erarbeitet – wirkt diese Produktion schwungvoll und frisch. Carsen setzte auf einen requisitenarmen, geschmackvoll arrangierten szenischen Rahmen, da und dort deutlich ironisch überzeichnend. Manchmal ergaben sich fast operettenhafte Züge – durchaus passend die parodieähnlichen Momente des Werkes herausgreifend.

Semeles Schicksal näherte er sich mit viel Einfühlungsvermögen – und er scheute nicht davor zurück, Juno mit etwas spitzem Humor anzufassen, versagte aber zugleich Jupiter nicht seine emotionale Anteilnahme. Er entwickelte viel Gespür für die sublime Erotik des Stoffes, die Händel mit einfühlsamer Musik zu steigern wusste (was ihm in puritanischen Kreisen nicht so hoch angerechnet wurde). Wenn sich im zweiten Akt im Bühnenhintergrund der Sternenhimmel zeigt und Semele und Ino sich duettieren, dann wird auch von Carsen mit sanftem Kitsch ans Herz gerührt.

Birgit Remmert gab eine rustikale Queen Juno, sozusagen als „komische Alte“, deren Gehabe einiges Gelächter im Publikum hervorrief. Charles Workman sang den Jupiter. Seine Mittellage klingt sehr hell, durchaus betörend. Konfrontiert mit musikalischem Zierrat zeigte er sich in der Stimmführung doch etwas begrenzt. Die übrige Besetzung war im Vergleich zu Zürich verändert: David Pittsinger bot als Cadmus beziehungsweise Somnus ein Beispiel seiner darstellerischen und sängerischen Wandlungsfähigkeit, Malena Ernman überzeugte als Ino mit elegantem Liebesklagen, Kerstin Avemo als eine von Carsen mit Missgeschicken überhäufte Iris – hier gleichsam als ungeschickte Dienerin der Queen unterwegs. Der Counternor von Matthew Shaw (Athamas) klang noch sehr jung. Wie immer bestechend: der Arnold Schönberg Chor.

Der Schlussbeifall war groß und dauerte rund zehn Minuten – für das Theater an der Wien ist das schon beachtlich. Das Regieteam durfte sich ebenfalls über einhelligen Beifall freuen.

Fazit: Keinesfalls versäumen, möglicherweise schon einer der ganz großen Höhepunkte der noch so jungen Opernsaison 2010/11!