SAUL
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Theater an der Wien
16.2.2018
Premiere

Musikalische Leitung: Laurence Cummings
Inszenierung: Claus Guth
Ausstattung: Christian Schmidt
Choreographie: Ramses Sigl
Video: Arian Andiel
Licht: Bernd Purkrabek

Freiburger Barockorchester
Arnold Schönber Chor

Saul - Florian Bösch
David -
Jake Arditti
Merab - Anna Prohaska
Michal - Giulia Semenzato
Jonathan - Andrew Staples

Abner / High Priest / Doeg - Marcel Beekman
Amalekite - Quentin Desgeorges
An Evil Spirit (Stumme Rolle) - Paul Lorengar


„Psychodrama im Alten Israel“
(Dominik Troger)

Das Theater an der Wien entführt mit seiner neuesten Produktion das Publikum in das Alte Testament. Das Oratorium „Saul" behandelt das schwierige Verhältnis von König Saul zu seinem Nachfolger David und wurde vom Regisseur Claus Guth in Szene gesetzt.

Das Werk wurde 1739 uraufgeführt. Der Inhalt ist dem alten Testament entnommen: Er greift die Rivalität zwischen König Saul und dem jungen David auf, der im Kampf Goliath besiegt hat und dem das Volk huldigt. Saul ist auf den allseits beliebten David eifersüchtig, trachtet ihm nach dem Leben, verzweifelt schließlich an seiner eigenen Gottesferne und stirbt in einer Schlacht gegen die Philister. David wird zum neuen König ausgerufen.

Claus Guth hat bekanntlich eine Vorliebe für großbügerliche Beziehungskisten, die er den Musikdramen eines Richard Wagner genauso überstülpt wie zum Beispiel einem Oratorium von Georg Friedrich Händel. Diesmal wurden vom Regisseur König Saul, sein Sohn Jonathan, seine Töchter Merab und Michal sowie David zur „Familienaufstellung“ gebeten. Die religiöse Ebene des Werkes wurde durch eine psychoanalytische ersetzt.

Das Geschehen spielte sich auf der eifrig genutzten Drehbühne ab: Sauls Badezimmer, Sauls Esszimmer, ein Zimmer mit dem berühmten „Saul und David“-Gemälde von Rembrandt als Hintergrund, ein „Versammlungsplatz“. Das gutbürgerliche Ambiente war im Esszimmer zu Hause mit gedeckter Tafel und auftragendem Personal. Die schäbige Seite von Sauls Königtum repräsentierte das mit großen weißen Fliesen und bereits ausbrechenden Bodenkacheln ausgestatteten Badezimmer. Der Versammlungsplatz diente den Massenszenen – wie zum Beispiel bei Sauls Totenfeier im Finale.

Guth hat Saul als zornigen, verzweifelten Herrscher gekennzeichnet, der spürt, wie ihm die Gnade Gottes abhanden kommt. Aber am Beginn darf er gleich einmal auf die weißen Badezimmerfliesen seinen Namen schreiben: „SAUL“ (David wird es ihm am Schluss gleich tun: „DAVID“.) Saul wurde von Guth sehr expressiv gezeichnet. Er muss sich auf dem Boden wälzen und einmal sogar ins Waschbecken kotzen. Seine instabile Psyche verleitet ihn schließlich dazu, eine Geisterbeschwörung vornehmen zu lassen. Und wenn der Guth‘sche Saul auf den Propheten Samuel trifft, dann muss er diesen selber spielen und singen. Saul hat Samuel in sich gefunden, seine Persönlichkeit hat sich gespalten, ihm bleibt nur noch der Tod in der Schlacht.

Diesem Saul hat Guth einen fast schüchtern wirkenden David gegenübergestellt, der sich zuerst an der königlichen Tafel erfrischend lümmelhaft aufführt und Goliaths abgeschlagenen Kopf als „Vorspeise“ serviert, der aber, je mehr er selbst dem Königamte näher rückt, um so verzagter wirkt. David weckt zwar Sauls Zorn, aber zugleich das Begehren von Sauls Kindern. Merab wehrt sich dagegen, aber dann verfällt auch sie dem Softi-Charme des Goliath-Bezwingers. Zu dritt umwerben sie David, wollen ihn sogar entkleiden, Jonathan eindeutig von homoerotischen Gefühlen gedrängt.

Guth lässt die Charakterzüge der Figuren fast manieristisch ausspielen, er setzt der „abstrakten“ Wort-Musik-Beziehung des Oratoriums eine starke szenische Expressivität gegenüber, versucht überdeutlich „eine Oper daraus zu machen“. Nun hat „Saul“ eine recht konkrete Handlung, die sich gegen eine solche optische Umsetzung nicht sperrt, aber die Übergänge zwischen den vielen Nummern sind doch etwas lose. Dementsprechend oft wird die Drehbühne angeworfen, die Mitwirkenden begeben sich von einer Szenerie zur nächsten, und vieles wird an Figurencharakter und -entwicklung ausformuliert, was das Oratorium bestenfalls vage andeutet.

Ein gutes Beispiel ist das Finale, die „Elegie auf den Tod von Saul und Jonathan“, in der die von Guth szenisch entwickelte „Trauerarbeit“ der beiden Schwestern selbige als betuliches Beiwerk zur Musik erscheinen lässt, weil sie die im Oratorium gleichsam als öffentlichen Akt abgehandelte Trauer viel zu stark individualisiert. Eine „Elegie“ ist eben doch kein „Drama“. Es ist also fraglich, ob diese szenische Umsetzung wirklich einen Mehrwert generiert hat – nach meinem Dafürhalten war es mehr eine „Ablenkung“ von Händels Oratorium „Saul“, denn eine „Hinlenkung“

Musikalisch hat das Freiburger Barockorchester unter dem etwas „akademischen“ Dirigat vom Laurence Cummings einen mir zu „gleichförmigen“ Händel präsentiert, der in den langsamen Teilen schon recht träge werden konnte. Sehr guten Effekt machten die Chöre (Arnold Schönberg Chor), die das Werk (das wohl nicht unter die besten Händels zu stellen ist) auf die starken Säulen stellten, denen es bedurfte. Florian Bösch gab – wie von der Regie gewünscht – gesanglich und darstellerisch einen ausdrucksstarke Saul – der im Spiel an seinen Wozzeck erinnerte, den er erst letzten Oktober (in der Regie von Robert Carsen) im Theater an er Wien gesungen hat. (Ob das stilistisch zu einem Oratorium aus dem 18. Jahrhundert passt, steht auf einem anderen Blatt.)

Jake Arditti wirkte im Vergleich stimmlich weniger durchschlagskräftig, sein etwas „sehniger“ Countertenor war auch mehr dem wendigen Steinschleuderer, weniger dem poetischen Harfenisten zuzurechnen. Giulia Semenzato sang die Partie der Michal mit einem auf mich nach oben hin etwas schmal wirkenden lyrischen Sopran. Anna Prohaskas Stimme musste an diesem Premierenabend erst „in die Spur finden“ und benötigte eine längere Aufwärmphase. Ihr Sopran schillert leicht nachgedunkelt, und das wie mit einer feinen Lackschicht gehärtete Timbre eignet sich sehr gut für die Darstellung solch arroganter Geschöpfe wie Merab (und weniger für poetische Vollblutlyrik). Andrew Staples hat als Jonathan einen schlanken, etwas nüchternen Tenor ins Feld geführt. Marcel Beekman wurde als rekonvaleszent angesagt, und brachte den Abend ohne Unfall und mit seiner ihm eigenen Pointierungsgabe über die Runden.

Der Schlussjubel war groß.