„Start des konzertanten Barockopernzyklus“
(Dominik Troger)
Das
Schicksal der Langobardenkönigin Rodelinda hat 1725 das Londoner
Publikum gerührt. Auch das Wiener Publikum hat sich an diesem
Montagabend von Georg Friedrich Händels Oper gerne becircen lassen:
Endlich spielt es wieder Barockoper im Stammhaus des Theaters an der
Wien an der Linken Wienzeile und die zwei „Hallenjahre“ im
Ausweichquartier sind vorbei.
Zwar
hatte der Aufführung kurzfristig sogar die Absage gedroht, wie dem
Publikum am Beginn der Vorstellung mitgeteilt wurde: Aber nach
hektischer Um- und Neubesetzung lief dann doch alles wie „am
Schnürchen“. Karina Gauvin, als Rodelinda angekündigt, hatte wegen
einer Erkältung kurzfristig absagen müssen. Daraufhin rückte Giuseppina
Bridelli von der Eduige zur Rodelinda auf und Sonia Prina wurde von
Mailand eingeflogen, um in die Rolle von Bertaridos Schwester zu
schlüpfen.
Sonia Prina ist den
Wiener Barockopernenthusiasten natürlich ein Begriff. Die Sängerin hat
schon in der Vergangenheit das Publikum auch auf die längsten
„Händelläufe“ mitgenommen. Prina hat 2006 im Konzerthaus bei einer
konzertanten Aufführung der „Rodelinda“ den Bertarido gesungen und ist
an diesem Abend vom Bruder zur Schwester „mutiert“, die sie mit starker
Persönlichkeit auszustatten wusste.
Der Abend hatte aber noch eine Besonderheit aufzuweisen. Der Countertenor Raffaele Pe
war nicht nur als Bertarido aufgeboten, sondern zeichnete laut
Programmheft auch für die musikalische Gesamtleitung verantwortlich. Pe
konzentrierte sich dann aber auf das Singen, auch wenn er sich bei
seinen Arien quasi selbst den Einsatz gab. Pe sorgte mit der Arie „Vivi tiranno“ kurz
vor dem Finale der Oper dann auch für ein gesangliches Prunkstück. Mit
viel Leidenschaft und Virtuosität Händels Vorgaben folgend verkörperte
er den in Exil geflüchteten Gatten Rodelindas, der zuerst von ihr tot
geglaubt, sich dann doch wieder als höchst lebendig erweist. Das bestens eingespielte Ensemble La Lira di Orefo war von der violinisierenden Konzertmeisterin Elisa Citterio unter ihre Fittiche genommen worden.
Giuseppina Bridelli hat
kurzfristig die Titelpartie übernommen. Sie ließ einen angenehm
timbrierten Mezzo mit gut ausgebauter Höhe hören: eine ausgewogene,
bewegliche Stimme, seit vielen Jahren am barocken Repertoire
geschult. Dazu gesellte sich Mirco Palazzi als machtbewusster Garibaldo mit einem eleganten, wendigen Bass ausgestattet. Luigo Morassi sang den um Rodelinda werbenden Grimoaldo mit einem nicht minder eleganten, kernigen Tenor. Unulfo wurde vom Countertenor Rafal Tomkiewicz gegeben,
ebenfalls virtuos und im Timbre eine Spur markanter als Raffaele Pe,
wodurch er sich deutlich genug von Bertarido abhob, den er im dritten
Aufzug aus den Banden Grimoaldos zu erretten hat. Das Ensemble
harmonierte sehr gut miteinander und hinterließ trotz der kurzfristigen
Umbesetzung einen geschlossenen Gesamteindruck.
Doe Mitwirkenden hatten sich außerdem auf eine „semiszenische“
Aufführung verständigt, zwar ohne Kostüm, aber im
Bühnenvordergrund hinter dem Orchester stand mittig ein großer
Thronsessel und im dritten Akt kam sogar ein langes Schwert ins Spiel,
mit dem Garibaldo versucht, den König zu ermorden – aber zum Glück
kommt ihm Bertarido dazwischen. Die Handlung wurde dadurch leicht
ironisiert. Aber wer sich an die szenische Produktion der „Rodelinda“
erinnert, die das Theater an der Wien 2011 gezeigt hat (eine
„Koproduktion“ von Nikolaus und Philipp Harnoncourt), wird diese
einfache, augenzwinkende, konzertante Umsetzung wahrscheinlich
umso mehr geschätzt haben.
Das kleine Orchester war auf den gedeckelten Orchestergraben
vorgeschoben, die Protagonisten positionierten sich ganz an der Rampe,
traten je nach Szene auf oder ab, bezogen mehrmals auch den Raum hinter
dem Orchester ein. Nach dem Hintergrunde zu war der Großteil der Bühne
durch eine Projektionsleinwand abgetrennt.
Für die konzertante Aufführung im Theater an der Wien hat man die drei
Akte in zwei Teilen zusammengefasst, die Pause war im zweiten Akt
angesetzt worden (zwischen Unulfos „Fra tempeste funeste a quest'alma“ und Bertaridos „Con rauco mormorio“).
Dem Programmheft konnte man außerdem entnehmen, dass das Ensemble eine
neue Ausgabe der Partitur erstellt hat. Das Vorwort von Raffaele Pe zu
dieser Neuedition ist im Programmheft abgedruckt, über die Neuedition
selbst erfährt man dort leider nichts.
Auch beim dritten Besuch im renovierten und umgebauten Haus darf ein
kleiner Rundgang nicht fehlen. Dieses Mal ging es hinab in die „Hölle“,
die als Pausenraum ausgedient hat und in einen kleinen
Veranstaltungsraum umgebaut worden ist. Hauptattraktion bei den wenigen
Besuchern, die in der Pause der „Hölle“ einen Besuch abgestattet haben,
war die neue Unisex-Toilette, die zuerst einige Verwirrung ausgelöst
hat. Die ehemalige Herrentoilette links neben dem Höllenaufgang ist in
ein barrierefreies WC umgebaut worden. Die beiden kleinen Pausenräume
im dritten und zweiten Rang mit den Motivtapeten aus der Zeit um 1960
sind erhalten geblieben, während das neue große Publikumsfoyer im
ersten Rang, wo jetzt auch die Einführungsvorträge stattfinden, in
seiner hellen Kühle leider keine Individualität ausstrahlt: hier hat
erneut der globalisierte „Einheitsgeschmack“ zugeschlagen, der sich
schon seit Jahren durchs Wiener Stadtbild frisst.
Ich
empfand Stimmen und Orchester akustisch kräftiger als bei
Barockopernaufführungen vor der Renovierung. Nach der Pause schien es
besser adaptiert zu sein oder es hat sich bei mir ein Gewöhnungseffekt
eingestellt. Die Aufführung dauerte inklusive einer Pause knapp drei
Stunden. Das Publikum war sehr angetan und erklatschte sich als
Zugabe noch die Wiederholung des von den Solisten gegebenen
Schlusschores. Nach rund zehn Minuten Schlussapplaus strebte es den
Ausgängen zu.